Google Stadia ist die neue Streaming-Hoffnung im Bereich des Cloud Gaming. Neben 21 altbekannten Spielen schleicht sich mit dem gruseligen Action-Adventure Gylt auch das erste Stadia-Exclusive auf die Cloud-Plattform - und das hat uns im Test auf vielerlei Hinsicht begeistert.
Entwickler Tequila Works bewegte sich bislang mit Spielen wie Rime, The Sexy Brutale oder Deadlight in soliden, aber nicht immer überzeugenden Wertungssphären. Mit dem ca. sechsstündigen Horror-Ausflug in wunderschöner Disney Pixar-Optik soll sich das nun ändern.
Und tatsächlich: Dank einer Spielmechanik, die an Alan Wake und Styx erinnert, und einer herzzerreißenden Geschichte rund um das ernste Thema Mobbing, gelingt den Schöpfern der Sprung aufs nächste Level.
Kleines Mädchen, großer Grusel-Faktor
Gylt erlebt ihr aus der (Third Person-) Perspektive der kleinen Sally, die auf der Suche nach ihrer Cousine Emily eine düstere und mysteriöse Kleinstadt erkundet. Schauplatz des Geschehens ist zu großen Teilen die Schule der beiden Kinder. So stromert ihr durch Klassenräume, den Kunsttrakt oder die angebundene Turnhalle.
Aber die Suche nach Klein Emily wäre aus erzählerischer und spielerischer Sicht nur halb so spannend, würden nicht an jeder Ecke gruselige Monster im Halbdunkel auf euch lauern. Diese tragen zu der fantastischen Horror-Mischung von Gylt bei, die weniger aus deftigen Schockmomenten besteht, sondern ihren Reiz vielmehr aus subtilen Grusel-Passagen bezieht.
Garniert wird das Ganze mit einer hervorragenden deutschen Sprachausgabe, einem Soundtrack, der uns genau in den richtigen Momenten das Blut in den Adern gefrieren lässt, und gelegentlichen Comic-Cutscenes. Letztere sind zwar toll gezeichnet, erwecken aber gleichzeitig ein wenig den Eindruck, dass hier das Budget der Entwickler an seine Grenzen gestoßen ist und es für animierte Zwischensequenzen nicht mehr gereicht hat. Schade.
Stadia/Technik-Check: Während unseres Tests über den Stadia-Stream hatten wir keinerlei Probleme mit Rucklern oder Verbindungsabbrüchen. Zudem blieben wir von Bugs komplett verschont. Lediglich eine leichte Latenz war spürbar, die sich aber nicht negativ auf das Spielgefühl ausgewirkt hat. Gylt präsentierte sich als wunderschönes Spiel in Disney Pixar-Optik mit einer Auflösung von bis zu 4K und einer konstanten Framerate.
Das Gruselabenteuer der kleinen Sally spinnt seine Geschichte rund um das Thema Mobbing, wie zuletzt Concrete Genie, geht dabei aber deutlich subtiler ans Werk. Bekommen wir im PS4-Exclusive die Geschichte ab Minute eins offen und ohne Schnörkel präsentiert - was in Anbetracht der jüngeren Zielgruppe voll in Ordnung ist - entfaltet sie sich in Gylt über die komplette Spieldauer.
Durch Environmental Storytelling, beispielsweise durch Krakeleien an den Wänden und das Design der Gegner, wird die Story toll ergänzt und hat uns so bis zum Schluss gefesselt.
Zudem haben wir lange nicht mehr so mit einer Spielfigur mitgefiebert, wie mit der kleinen Sally. Sind kleine Mädchen als Horror-Tropes aufgrund ihrer vermeintlichen Hilflosigkeit ein gern gewähltes Mittel, wählen Tequila Works hier einen anderen Weg. Spürbar ist die Verzweiflung von Sally, die nicht begreifen kann, was um sie herum geschieht.
Ist Sally etwa mitverantwortlich für das ganze Drama rund um das Verschwinden von Emily? Ist sie der Auslöser? Bei einer bestimmten Entscheidung (es gibt Wege, wie ihr den Ausgang des Spiels verändert), die wir aus Spoiler-Gründen nicht erwähnen wollen, hatten wir sogar einen richtig dicken Kloß im Hals.
Hey Alan, hey Styx
Spielerisch präsentiert sich Gylt als eine Mischung aus dem Mystery-Abenteuer Alan Wake und dem Schleichspiel Styx. Beispielsweise findet Sally bereits recht früh im Spiel eine Taschenlampe. Ähnlich wie in Alan Wake kann sie hiermit Gegner bekämpfen, indem sie bestimmte Punkte auf deren Körpern anstrahlt und sie daraufhin zu Staub zerfallen. Im Vergleich zum offensichtlichen Remedy-Vorbild wirkt die Umsetzung der Leuchtmechanik jedoch arg hakelig.
Generell sind Frontalangriffe aber meist nicht die beste Verteidigung. Über weite Teile des Spiels schleichen wir an den Schrecken vorbei oder brutzeln ihnen mit einem tödlichen Angriff von hinten eine große Ladung Licht auf den Pelz.
Den Tod von hinten sollten wir aber nicht allzu oft einsetzen. Nach jeder Attacke reduziert sich nämlich die Leistung unserer Lampenbatterie. Zum großen Glück der kleinen Sally ist Gylt aber kein besonders schweres Spiel. Daher finden wir häufig neue Batterien, und die nächste Heil-Ration in Form eines Inhalators ist nie fern. Aufgrund des nicht einstellbaren Schwierigkeitsgrads wird das Spiel sogar zu leicht. Hier hätten wir uns ein wenig mehr Herausforderung gewünscht.
Langweilig wurde uns dieses Schleich-und Versteckspiel bis zum Ende aber nicht. Einfallsreiche Gegnertypen, die von humanoiden Rabenwesen bis hin zu gruseligen Marionetten reichen, sorgen für Abwechslung. Auch bekommt Sally recht früh im Spiel eine Fähigkeit, mit der sie Gegner in Schockstarre versetzt. Neben einem weiteren Gadget war's das aber auch schon in Sachen Abwechslung im Umgang mit den Schrecken. Aufgrund der recht kurzen Spieldauer fällt das aber zum Glück nicht sonderlich negativ auf.
Aufgelockert wird Gylt nämlich zudem mit kleinen Rätseln. Mal müssen wir einen elektrischen Mechanismus korrekt verbinden, während wir an anderen Stellen Objekte im Raum verschieben. Das ist nett und sorgt für Abwechslung, gewinnt aber keinen The Witness-Preis für ausgefallenes Rätseldesign.
Gylt sorgt mit seinem größtenteils aufs Schleichen ausgelegte Gameplay und Sally als Charakter, mit dem wir mitfühlen können, dafür, dass Tequila Works nach viel Mittelmaß endlich der Durchbruch gelingt. Das erste Stadia-Exclusive wird so zu einer Riesenüberraschung, mit der wohl nur die wenigsten gerechnet haben.
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