Bullet-Time
Spiele, die sich visuell seit jeher stark am Film orientieren, griffen dessen Stilmittel auf, darunter auch die Zeitlupe.
Titel wie Max Payne und F.E.A.R. gingen sogar noch einen Schritt weiter und integrierten sie in ihre Spielmechanik. So wird dem Spieler nicht nur die Kontrolle über die Gewalt gegeben, sondern auch über die Verlangsamung der Zeit
Auf diese Weise kann man nicht nur die Spielhandlung zu beeinflussen (lies: die Schusswechsel), sondern auch ihre Inszenierung. Auch wenn in beiden Fällen die Zeitlupenfunktion einen spielerischen Nutzen hatte, wurde sie von den Spielern mindestens genau so oft als ästhetisches Gestaltungsmittel eingesetzt. Etwa indem man bei F.E.A.R. direkt vor der Explosion einer Granate nochmal die Zeitlupe aktivierte, um mitzuerleben wie der Raum und die Gegner von einer unmöglich langsamen Druckwelle zerfetzt werden.
Destruktive Kreativität ist Freiheit
Bei den zerstörbaren Umgebungen von F.E.A.R. tritt zudem ein erstaunlicher Effekt zutage: Je mehr Zerstörung und Gewalt das Spiel zulässt, desto mehr erlaubt es dem Spieler, selbst als Gestalter in Erscheinung zu treten.
Was uns zur gewagten These verleitet: »Frei« simulierte Gewalt und Zerstörung, die nicht in immer gleichen Bahnen abläuft, macht ein Spiel abwechslungsreicher und gibt dem Spieler Raum für Kreativität.
»Gewaltakte als Ausdruck von Kreativität« – das hört sich schon wieder sehr fragwürdig an. Doch bei nüchterner Betrachtung stellt man fest: Wenn wir uns in einem Spiel ohne jede Gewaltdarstellung durch einen statischen Raum mit fest positionierten Gegnern schießen, dann fühlt sich das im Grunde wie ein Hindernisparcours an. Oder wie eine Schießbude auf dem Jahrmarkt.
Am Ende sind alle Feinde beseitigt und der nächste Abschnitt beginnt. Doch wenn das Terrain zerstör- und die Gegnermodelle zerlegbar sind, dann sind der Raum und die Gegner vor uns plötzlich keine unveränderlichen Gegebenheiten mehr, die wir schießbudenhaft hinnehmen müssen.
Jetzt können wir Löcher in die Wände sprengen, Töpfe vom Herd reißen und uns frei entscheiden, ob wir dem Gegner mit unserer Schrotflinte den Arm oder das Bein abschießen.
In Worten klingt dies furchtbar grausam, weil unsere Sprache nicht zwischen der virtuellen und der realen Welt unterscheidet.
Im Spiel jedoch haben die Entscheidungen des Spielers in erster Linie nicht Mord und Totschlag zur Folge, sondern einen visuellen Impuls. Ob wir mit Waffen auf Menschen schießen oder mit Feuerbällen Monster flambieren – das sind nur Spielarten des mehr oder weniger abstrakten Geschehens auf dem Bildschirm.
In jedem Fall aber benutzen wir die Werkzeuge, sprich: die Waffen, die uns die Entwickler in die Hand gegeben haben, um unsere Spielumgebung umzugestalten, um auf sie Einfluss zu nehmen. Das ist der Kerngedanke eines interaktiven Mediums und der Grund, warum die Spieleforschung das »Selbstwirksamkeitserleben« als einen der wichtigsten Aspekte von »Spielspaß« identifiziert hat.
Unter Selbstwirksamkeit versteht man das Gefühl, die Welt beeinflussen und selbstständig darin bestehen zu können. Wenn wir also in Dead Space 3 Necromorphs »strategisch zerstückeln« und in Battlefield 3 Häuser zu Klump sprengen, dann fühlen wir uns eigenständiger, wir drücken der Welt unseren Stempel auf. Und haben damit auch mehr Spaß.
Die Waffe als Pinsel
Das zu verstehen, fällt je nach eigener Biografie sehr schwer. Der Mensch ist nicht geschult darin, zwischen der wirklichen Welt und den künstlichen Menschen zu unterscheiden, denen auf dem Bildschirm mitunter Schreckliches angetan wird. Viele Spieler sind daher noch nicht gewillt, zu akzeptieren, dass das virtuelle Abbild eines Menschen nicht mehr oder weniger künstlich ist als das Gemälde eines Monsters.
Überwindet man jedoch diese Hürde, erkennt man rasch, dass die Gewalt dem Spieler eine Staffelei bietet, auf der er selbst malen darf, anstatt nur eine statische, vorgefertigte Welt zu betrachten. So mancher Shooter-Spieler wird sich schon mal dabei ertappt haben, dass er einen Gegner, den er schon im Fadenkreuz hatte, eben nicht sofort abgeknallt hat.
Warum? Weil er erst vor der Wand stehen sollte, auf die dann das Blut spritzt. Zu glauben, der Spieler treffe eine solche Entscheidung aus Mordlust, ist weltfremd. Es geht ihm um den krassen Effekt beim Treffen und darum, die Spielwelt mit seiner Entscheidung zu verändern. Dem stimmt auch Dr. von Brincken zu: »Schon Adorno hat gesagt, dass Kunst immer mit Gewalt zu tun hat.
Man nimmt etwas, man reißt es heraus und bringt es in einen neuen Zusammenhang. Man gestaltet um. Etwas, das vielleicht auch gar nicht umgestaltet werden will.« Für von Brincken geht es in Spielen nicht nur um das visuelle Erleben, sondern auch um eine »Art von kreativer, ästhetischer Mitarbeit«.
Der Spieler malt, im weitesten Sinne, mit der Schusswaffe als Pinsel. Ein Motiv übrigens, das nicht so fremd und absurd ist, wie es sich anhört. [Einer der Spitznamen für das Maxim-Maschinengewehr im Ersten Weltkrieg war »The Devil's Paintbrush«.]
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