Gewalt ist manchmal schön. Mehr noch, im interaktiven Medium ist sie sogar kreativ. Aber das sagt keiner. Seit Jahrzehnten wird in Deutschland über die Faszination von Gewaltdarstellungen, insbesondere in Spielen, diskutiert - aber diese Aussage hört man nicht. Weil es im ersten Moment natürlich auch völlig irre klingt.
Weil man gerade im Klima der »Killerspiel«-Debatte nicht als der bekloppte Gamer dastehen will, der abgetrennte Arme und spritzendes Blut allen Ernstes »schön« findet.
Selbst im Filmbereich wäre das eine Aussage, die Augenbrauen nach oben und Mundwinkel nach unten zucken ließe.
Aber wenn Millionen von Menschen im Kino staunend mitverfolgen, wie im Film 300 der Tod in Zeitlupe zelebriert wird, stellt sich zwangsläufig die Frage: Sind die wirklich alle nicht ganz dicht?
Oder wohnt der künstlichen Inszenierung von Gewalt tatsächlich auch eine künstlerische Note inne?
Bildgewaltig - gewalthaltige Bilder
»Gewalt hat einen Bildcharakter«, sagt Dr. Jörg von Brincken. Der Kunst- und Medienwissenschaftler von der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität ist ein Experte für Filmästhetik, forscht aber nun auch schon seit Jahren im Bereich der Videospiele. Mit »Bildcharakter« meint er, dass wir Gewaltdarstellung nicht einfach nur als eine neutrale Handlung wahrnehmen à la »Aha, der Zombie beißt dem Mädchen in den Arm, mir egal.«
Stattdessen reagieren wir auf Gewalt immer, immer emotional. Denn unser Gehirn ist durch Jahrtausende des Überlebenstrainings geschult, auf Zeichen von Gewalt zu reagieren. Und das betrifft selbst uns als verwöhnte Nachkriegs-Generation, die reale Konflikte meist nur noch aus dem Sommer-Schlussverkauf bei C&A kennt.
»Gewalt liefert immer ein frappierendes, exzentrisches Motiv. Gewalt hat grundsätzlich immer eine starke Wirkung auf uns, sie setzt einen starken visuellen und akustischen Impuls, der aus der Geschichte heraus springt, der ins Auge fällt«, erklärt von Brincken.
Damit ist die Grundlage geschaffen für die Rolle, die Gewaltdarstellungen seit jeher in der Kunstgeschichte aller Medien gespielt haben. Egal ob Luke Skywalker im Lichtschwert-Duell seine Hand verliert, eine Shakespeare-Aufführung die blutige Ermordung Cäsars inszeniert oder der Vater von Marty McFly in Zurück in die Zukunft endlich den Mumm aufbringt, Biff eine zu scheuern: Die Darstellung von Gewalt reißt den Betrachter mit, sie ist dynamisch und aufregend.
»Natürlich bietet es sich an, die natürliche bildästhetische Kraft von Gewalt noch zu überhöhen, ihr einen ästhetischen, vielleicht sogar schönen Anstrich zu geben«, führt von Brincken aus. »Und das bedeutet dann eben nicht ›langweilig schön‹, wie ein Sonnenuntergang, sondern frappierend, dynamisch.«
Katana-Ästhetik
Ein Entwickler, der sich mit diesem Thema sehr genau auseinandergesetzt hat, ist Yosuke Hayashi, der Produzent des Spiels Ninja Gaiden 3. Er erzählt: »Es gibt einen japanischen Ausdruck, der heißt ›Chanbara‹. Er bezeichnet ein klassisches Genre im japanischen Film, in dem es um Samurai und Schwertkämpfer geht.
In diesen Filmen waren der künstlerische Umgang mit Gewalt und ihre Darstellung traditionell sehr wichtig. Wie und wohin spritzt das Blut, wie reagiert ein Körper auf die Gewalt? Ninja Gaiden 3 steht in der Tradition dieser Filme. Nicht nur, weil es um einen Schwertkämpfer geht, sondern vor allem wegen der Art und Weise, wie wir Gewalt präsentieren.«
Um ihren Vorbildern gerecht zu werden, haben er und sein Team sehr viel Zeit investiert.
Wochenlang tüftelten und recherchierten sie, wie es aussehen sollte, wenn das Schwert des Helden einen Gegner trifft.
Genau wie die akkurate Simulation des Fahrverhaltens in einem Rennspiel, dient die Gewaltdarstellung eines Actionspiels wie Ninja Gaiden auch dazu, eine glaubwürdigere virtuelle Welt zu erschaffen.
»Wir wollten dieses Mal nicht die zerbrechlichen Körper der vorherigen Spiele, die mit jedem Hieb zerteilt wurden. Stattdessen wollten wir einen stärkeren physikalischen Eindruck vermitteln«, berichtet der Produzent.
»Das Schwert sollte in den Körper eindringen, der ihm einen spürbaren Widerstand entgegensetzt, bis es dann im Gegner ›stecken bleibt‹. Wir haben auch die Timings genau abgewogen, sodass es einen kurzen Moment dauert, bevor das Blut explosionsartig aus dem Gegner herausspritzt.«
Kopfkino
Eine solch unbefangene Beschreibung von exzessiver Gewalt liest sich selbst für Spielekenner oft schockierend. Doch das liegt daran, dass hier der Kopf des Lesers die »passenden« Bilder zur Beschreibung liefert. Das Erlebnis im Spiel ist jedoch ein völlig anderes.
Was in Spielen gern als »realistische Gewaltdarstellung« verkauft wird, ist meist weit davon entfernt, diesem Begriff gerecht zu werden.
»Was wir für ›real‹ halten in diesen Spielen, basiert auf dem, was wir bereits aus anderen Medien kennen «, erläutert Jörg von Brincken.
»Wenn also jemand von einem Schuss getroffen wird und meterweit zurück fliegt, wenn das Blut bis zur Decke spritzt - das nehmen wir als realistisch wahr. Wenn man hingegen mit einer realen Gewaltszene konfrontiert wird, also etwa, wenn man im Internet mal ein Video von einer Erschießung sieht, dann ist das auf geradezu erschreckende Weise banal. Da spritzt nichts, da klappt der Körper einfach zusammen und das war’s. Der Begriff des Realismus ist in diesem Zusammenhang also am Film geschult.«
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