Realitätsbezug = Null
Genau deswegen sind die Debatten darüber übertrieben, ob virtuelle Gewalt die Spieler denn nun für reale Gewalt desensibilisiere oder nicht. Die Spielgewalt ist eine völlig überzeichnete Darstellung, die mit der Realität wenig bis nichts gemein hat. Und das nicht zufällig: Entwickler in aller Welt sind extrem bedacht darauf, dass ihre Spiele eben gerade nicht zu realistisch zu werden.
Selbst Spiele, die für ihre brutalen Gewaltszenen berüchtigt sind, etwa die Gears-of-War-Reihe, haben kein Interesse am Prädikat »realistisch«. »Es gibt Aspekte der Darstellung, manche physikalische Simulationen zum Beispiel, die sich um ein Abbild der Realität bemühen. Aber wir machen ein Unterhaltungsprodukt«, verrät uns Michael Capps, dessen Firma Epic die Gears of War-Reihe entwickelt.
»Das Letzte, was wir wollen, ist, die Leute anzuwidern. Es ist daher wichtig, bestimmte Grenzen nicht zu überschreiten.«
Um diese Grenzen einzuhalten, sichern sich Capps und auch Yosuke Hayashi mit Fokusgruppen-Tests ab, bei denen sie die Reaktionen der Spieler auf die Gewaltszenen auswerten. »Die Soundeffekte darf man in diesem Zusammenhang nicht unterschätzen“, meint etwa Hayashi. »Wenn ein Gegner stirbt, dann schreit er auch. Aber sobald diese Schrei zu überzeugend nach echtem Schmerz, echtem Leid klingt, ist das dem Spieler extrem unangenehm, obwohl er ja weiß, dass er ›nicht echt‹ ist.«
Der Anblick von Blut fasziniert uns
Ein weiterer wichtiger Punkt ist laut Michael Capps der genaue Farbton der Blutdarstellung. Aus den Tests bei Epic hat er folgende Lehre gezogen: »Sobald der Farbton und die Reflexionseigenschaften des Blutes im Spiel zu sehr denen von echtem Blut ähneln, wirkt eine Szene, bei der die Leute eben noch Spaß hatten, plötzlich abstoßend. Es ist daher sehr wichtig, die Farben und Eigenschaften entsprechend zu ›verfremden‹.«
In diesem Zusammenhang sollte man auch erwähnen, dass Bluteffekte in Spielen nicht nur aus ästhetischen Erwägungen eingesetzt werden. Als wir Jay Wilson, den Ex-Chefentwickler von Diablo 3, zu den heftigen roten Spritzern in seinem Spiel befragen, schüttelt er nur gleichmütig den Kopf.
»Der Grad der Gewaltdarstellung ist uns erst mal völlig egal. Wir setzen diese Effekte nicht ein, weil wir Gewalt mögen, sondern in erster Linie aus praktischen Erwägungen,« sagt er. »Bei uns sind oft sehr viele Kreaturen gleichzeitig auf dem Bildschirm zu sehen und es ist wichtig, dass der Spieler auch im dichtesten Schlachtgetümmel genau weiß, welchen Gegner er trifft.«
Bei unseren Gesprächen mit zahllosen Entwicklern zu diesem Thema wurde sehr deutlich: Die Funktion von Blut als »Treffer-Feedback« ist einer der wichtigsten Gründe für die scheinbare Omnipräsenz von Gewaltdarstellung in Spielen. Dass viele Entwickler aus Scheu vor einer Moraldebatte diese spielmechanische Funktion als Feigenblatt vorhalten, versteht sich von selbst. Das macht das Argument jedoch nicht falsch.
Rot als Signalfarbe
Ob nun gewollt oder nicht: Blut spielt eine große Rolle dabei, warum wir eine eigentlich grausame Gewaltszene als visuell ansprechend empfinden können. Diese Attraktivität von Bluteffekten rührt in erster Linie von ihrer Farbe her. Jörg von Brincken erläutert: »Rot ist eine Signalfarbe. Wir assoziieren sie mit Blut, selbst wenn es ein ganz heller Rot-Ton ist, der mit der Farbe von echtem Blut nichts zu tun hat.
Wir assoziieren es auch mit Gefahr, aber genauso mit einer gewissen Wärme. Es gibt einen Grund, warum Rot die Farbe ist, die wir einsetzen, wenn wir am dringendsten Aufmerksamkeit erwecken wollen – beispielsweise bei Verkehrsschildern. All diese Dimensionen von Rot wirken höchst anziehend auf uns.«
Zur grellen Farbe stößt noch ein zweiter Aspekt. Blut als Flüssigkeit hat für uns etwas Faszinierendes. Die Formlosigkeit, das Umschließende und Umfließende, das sich ewig wandelt und dabei in jeder Sekunde eine neue, makellos runde Form ohne jede Ecke oder Kante annimmt, ist für den menschlichen Betrachter grundsätzlich ein faszinierendes Motiv.
Wer erinnert sich nicht an Hitchcocks Psycho, in dem sich der Blutstrom nach dem Dusch-Mord gen Abfluss schlängelt? Übrigens: Hitchcock ließ den Film seinerzeit in Schwarz-Weiß drehen, weil er fürchtete, die blutige Duschszene würde sonst so brutal wirken – so viel zur Wirkung der Farbe Rot.
Die Faszination flüssigen Blutes greift umso mehr, wenn stilistische Mittel wie die Zeitlupe zum Einsatz kommen. Erst in der Verlangsamung wird der Blutfluss nachvollziehbar als ein Akt der endlosen Umformung. Angesichts der starken Anziehungskraft der Signalfarbe Rot und der intensiven Bildsprache von Gewalt ist es kein Wunder, dass diese Verlangsamung im Kontext einer Gewaltszene nur noch stärker wirkt.
Der bereits genannte Film 300 exerziert dies daher über seine gesamte Lauflänge immer wieder durch. Den chinesischen Action-Regisseur John Woo machten seine ballettartig durchchoreographierten Gewaltszenen sogar weltbekannt.
In ihnen setzte Woo gezielt auf die malerische Kraft von Bluteffekten. Im Finale seines Films The Killer trägt ein Teil der Darsteller extra weiße Kleidung, um einen extremen Kontrast zu den hervorschießenden Blutfontänen zu erzeugen. Auch Quentin Tarantino nutzt Blut als Stilmittel, zuletzt etwa im Sklaverei-Western Django Unchained, der sich gegen Ende in einer regelrechten Blutorgie ergeht.
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