Mass Effect mit Abstrichen
Das alles klingt nach großer Rollenspiel-Kunst – und in der Tat fühlten wir uns bisweilen wie in einem Fantasy-Mass-Effect, zumal wir ständig vor moralische Entscheidungen gestellt werden, die tatsächlich einen Einfluss auf die weitere Handlung nehmen und nebenbei ethisches Bauchweh verursachen. Indes: Der Cyanide-Produktion fehlt es an allen Ecken und Enden an Feinschliff; und am Budget.
Das fängt mit den Dialogen an: Von einigen Totalausfällen einmal abgesehen, sind die Sprecher zwar ordentlich besetzt, tragen ihre Texte aber bisweilen völlig emotionslos vor, was bei besonders dramatischen Momenten (jemand ermordet gerade ihre Tochter, zum Beispiel) beinahe ins Absurde abgleitet. Wer jetzt denkt, mir doch egal, ich spiele sowieso im englischen Original, der bekommt genau die gleiche latente Emotionslosigkeit – aber deutlich mehr Totalausfälle.
Weiter geht’s mit der Präsentation: Dass die Optik generell morsch ist und die Animationen teils ungelenk komisch – Schwamm drüber. Aber wenn die Hauptstadt Königsmund so urban wie ein Fischerdorf in Cornwall wirkt, weil wir in zwei Minuten von einem Ende zum anderen gelaufen sind, dann stört das atmosphärisch schon. So ähnlich geht’s übrigens allen Schauplätzen im Spiel: Sie sind in der Regel winzig und abwechslungsarm, dafür aber geradezu absurd verwinkelt und mit Sackgassen nur so gespickt. Womit wir beim eingangs erwähnten Umwegfinder wären.
Der Umwegfinder
Die grobe Richtung des aktuellen Questziels zeigt Game of Thrones nämlich über einen goldenen Pfeil auf dem Radar. Instinktiv würden wir diesem Pfeil nun gerne folgen, praktisch allerdings führt er uns zielsicher im Kreis oder prompt in eine Sackgasse, weil das Radar überhaupt nicht einsieht, Gänge, Wände oder Hindernisse zu illustrieren. Also konsultieren wir alle naselang die Karte.
Trotz der angestaubten Technik erlebt Game of Thrones sowohl auf Xbox 360, als auch auf der PlayStation 3 Performance-Einbrüche, vor allem in Gebieten mit vielen NPCs. Auch Grafikfehler und einige Bugs stören uns beim Spielen.
Blaue Bogenschützen, grüne Lanzenträger
Wenn uns Game of Thrones nicht gerade mit Ruckelorgien und Sackgassen-Architektur piesackt, dann jagt es uns Gegner auf den Hals. Viele davon. Und immer die gleichen. Oh, manchmal haben sie andere Waffen und andere Rüstungen mit einem anderen Wappen drauf, aber wenn wir einmal kapiert haben, wie die wenigen unterschiedlichen Gegnertypen funktionieren, wird das eigentlich komplexe Kampfsystem zur formelhaften Routine.
Theoretisch können wir die Keilereien jederzeit per Leertaste in einen Zeitlupen-Modus versetzen, um gezielt Spezialangriffe festzulegen und die richtige Taktik zu planen, praktisch tut’s nach gewisser Eingewöhnungszeit das »Spammen« der immer gleichen Skills wunderbar. Zu Spielbeginn räumen wir mit Flächenangriffen alles weg, später entwickeln sich Unterbrechen- und Niederschlag-Fähigkeiten zu Allzweckwaffen.
Okay: Dass die Vorlage genre-untypisch keine Orks, Goblins, Werwölfe oder Monster hergibt, dafür kann Cyanide wenig. Aber wenn man lizenzgebunden schon nur mit menschlichen Gegnern arbeiten kann, dann sollte man sich in Sachen Abwechslung was einfallen lassen. Tipp: Ihnen einfach eine andere Farbe auf die Brust zu malen, ist keine gute Lösung.
Schnee in Casterlystein
Unter den anspruchslosen, weil eindimensionalen Kämpfen leidet letztlich auch das im Grunde sehr motivierende Charaktersystem. Freuen wir uns in den ersten Spielstunden noch aufrichtig über neue Level, weil sie vergleichsweise selten sind und jeder neue Skill unsere Charaktere spürbar stärker macht, verteilen wir die Fähigkeitspunkte nach einer Weile quasi blind und nutzen die dabei neu gewonnen Talente kaum bis gar nicht – schließlich tut’s die eingespielte Rotation wunderbar.
Wenn wir durch unsere Entscheidungen in besonderen Spielsituationen dann mit einzigartigen Boni belohnt werden (zum Beispiel, weil wir trotz Folter brav den Mund gehalten haben), ist das zwar toll gedacht, macht aber überhaupt keinen greifbaren Unterschied. Apropos Folter: Wie auch die Roman- bzw. TV-Serie geizt Game of Thrones nicht mit derber Sprache und Gewalt bis hin zu explizit dargestellten Verstümmelungen.
Außerdem im Überfluss vorhanden: Die kontroversen und unter Fans ungeliebten Übersetzungen der Eigennamen. Aus »Jon Snow« wird in der deutschen Version also »Jon Schnee«, »King’s Landing« wird zu »Königsmund« und die Familie Lennister wohnt nicht in »Casterly Rock«, sondern in »Casterlystein«. Unbestätigten Gerüchten zufolge blättert sie dort in einer übersetzten Ausgabe von »Oliver Drehung« und spielt das neue »Ruf der Verpflichtung«.
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