Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage, das ist normal, so haben wir's gelernt. Denn Märchen und Fantasy-Geschichten unterscheiden sich meist nur im Umfang voneinander: Der tapfere Held überwindet Unglück und Gefahr, erschlägt den Drachen, befreit die Prinzessin und gründet eine neue Dynastie, die das Königreich noch lange Jahre nach seinem Tod wohlwollend regiert.
Wo das Märchen sich auf eine schlanke, wirkungsvolle und hundertmal gehörte Moralbasis beschränkt, müssen in der Fantasy-Literatur zwar auf dem Weg zum glücklichen Ende noch ein paar Begleiter dran glauben und politische Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt werden, im Grunde bleibt die Botschaft jedoch gleich: Das Gute gewinnt, die Bösen verlieren; Friede, Freude, Eierkuchen.
Immerhin ein ganzes Buch lang lässt der Romanautor George R. R. Martin seine Leser in dem Glauben, dass es auch diesmal wieder so laufen wird, dass sich Edelmut und Ehre über höfische Intrigen hinwegsetzen, auch wenn es Opfer erfordert. Und dann schlägt sie zu, die Realität von Westeros. Ob es nun die Leser der Romanreihe Das Lied von Eis und Feuer oder die Zuschauer der TV-Serie Game of Thrones sind, mit einem einzigen Hieb zertrümmert Martin die Illusionen seines Publikums und verschleppt es in eine Welt, in der edle Helden eben nicht ins Fangnetz aus Märchenkonventionen fallen, sondern in den Abgrund. Willkommen bei Game of Thrones.
Abschied vom Märchenhaften
Spätestens seit dem Serienstart von Game of Thrones im Jahr 2011 ist Westeros, ist diese abgründige Welt ein popkulturelles Phänomen geworden, um das niemand mehr herumkommt, der sich nicht konsequent allen News, Kolumnen und Preisverleihungen entzieht. Dabei hat der Kampf um den Thron von Westeros, das Lied von Eis und Feuer, bereits 15 Jahre früher begonnen, im August 1996.
Der erste Band mit dem englischen Untertitel »A Game of Thrones« ist nicht bloß Dekonstruktion einiger liebgewonnener Fantasy-Kuschelklischees, sondern die Eskalation eines kompletten Machtgefüges, dessen Verfall Martin von da an in unregelmäßigen Abständen in weiteren Bänden vorantreibt. Aber warum quält sich jemand durch mittlerweile fünf - in der deutschen Übersetzung sogar zehn - dicke Wälzer, in denen reihenweise Menschen sterben, Regeln gebrochen und Hoffnungen zerschmettert werden?
Weil hinter all den Morden und Intrigen nachvollziehbare Charaktere stehen, keine entrückten Lichtgestalten. Weil sich diese Menschen inmitten der Intriganten und Mörder und unter den Augen der Leser weiterentwickeln, zum Besseren oder Schlechteren. Weil Gut und Böse mit sehr wenigen Ausnahmen im Auge des Betrachters liegen und jede fiktive Biografie mehr als genug Ansatzpunkte für Sympathie, Unwohlsein und blanken Hass bietet.
Aus den Jugendfreunden Robert Baratheon und Eddard Stark etwa, die in ihrer Jugend eine Rebellion gegen den wahnsinnigen König Aerys II. vom Zaun brachen, werden ein fetter Alkoholiker, der seine Pflichten für Huren und Wein vernachlässigt, sowie ein nachdenklicher Herrscher, der einem Ehrencodex folgt, den schon lange niemand mehr beachtet. Vor allem die Geschehnisse um Eddard und seinen Stark-Clan sind für viele Fans der Dreh- und Angelpunkt der Faszination um Westeros und werfen eine der Kernfragen der Romane auf: Wie weit kommt ein guter Mensch in einer schlechten Welt, ohne selbst schlecht zu werden? Die Ungewissheit um die Antwort verschärft der Autor noch, indem er selbst beliebte Charaktere unrühmlich untergehen lässt und keine Tabus zu kennen scheint.
Hinzu kommt, dass Martin auf viele andere Fantasy-Stereotypen ebenso verzichtet wie auf das vom strahlenden Helden. Schlachten sind keine Gelegenheiten, um Tapferkeit zu beweisen und Ruhm zu erringen, sie sind Gemetzel, die in Blut und Dreck ersticken. Politik ist nicht die Sorge um das Wohl des Volkes, sondern das Bereichern an den Ärmsten und das Ausschalten jeglicher Konkurrenz am Futtertrog.
Magie, wenn sie denn überhaupt vorkommt, ist nicht der Fachbereich freundlicher, pfeiferauchender Bartträger, sondern immer mit Okkultismus und Opfern verbunden - und für die meisten Bewohner von Westeros nicht mehr als Aberglaube und Hirngespinste. Für ihre Anwender dagegen erweist sich die Zauberei als zweischneidig: Feuerspeiende Drachen sind ohne Training nicht mehr als wilde Bestien, Visionen der Zukunft ungenau und vieldeutig. Wer sich einen Eindruck davon machen will, wie viel Spielraum für Interpretationen bleibt, der suche online nach dem »wahren Azor Ahai« und den vielen möglichen Weltenrettern von Westeros und Essos. Wer sich darauf einlässt, sollte allerdings auch alle Bücher gelesen haben: Die Nacht ist dunkel und voller Spoiler.
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