Nackte Brüste und wandelnde Spoiler
Dieses Konzept zieht, laut dem US-Magazin The New Yorker verkauft Martin alleine bis April 2011 über 15 Millionen Bücher. Im selben Monat erlebt das Lied von Eis und Feuer zudem seinen zweiten Frühling auf der TV-Bühne: am 17. April 2011 startet die HBO-Adaption Game of Thrones, die einschlägt wie eine Bombe und mit durchschnittlich neun Millionen Zuschauern pro Folge (inklusive Zugriffen aus Mediathek und Wiederholungen) im Rekordtempo die Rangliste der weltweit erfolgreichsten Serien emporklettert. Und die Zahlen hören nicht auf zu steigen: In der zweiten Staffel liegt der Durchschnitt schon bei knapp zwölf Millionen Zuschauern, die aktuelle vierte Staffel verzeichnet fast 19 Millionen.
Das Erfolgsrezept der Serie fußt auf den Qualitäten der Bücher, also der glaubwürdigen, harschen Welt und den nachvollziehbar handelnden Charakteren sowie der TV-Expertise, die sich HBO mit modernen Klassikern wie der preisgekrönten Mafiasaga The Sopranos erarbeitet hat. Hochkarätige Stars wie Sean Bean (Eddard Stark), Lena Headey (Cersei Lannister) und Charles Dance (Tywin Lannister) verleihen den Charakteren der Romane ein Gesicht, daneben etablieren sich viele andere, bis dato unbekannte Schauspieler wie Kit Harrington (Jon Snow) erst durch Game of Thrones.
Die Serie ist ein Sprungbrett; für junge Stars ebenso wie für Zuschauer, die noch nie etwas von der Romanvorlage gehört haben. Auch wenn die oft von Buchveteranen belächelt werden, machen sie nämlich den Löwenanteil des Publikums aus, der eben keine Lust hat, sich erst durch mehr als 4.000 Seiten Text zu wühlen, sondern jeden Sonntag bang auf die Überraschungen der neuesten Folge wartet. Und die lauern vor allem im Staffelfinale - traditionell in der neunten Episode.
Unter dem Stichwort »Fans react to …« zeigt Youtube (Achtung, Spoiler!), wie die Serie ihre Anhänger zu Tränen, Wut und Entsetzen rührt. Und selbst die langjährigen Leser bleiben nicht vor unerwarteten Wendungen gefeit, da sich die Drehbuchschreiber aufgrund der Format- und Übertragungsproblematik immer wieder die Freiheit herausnehmen, mehr oder weniger stark von der Vorlage abzuweichen.
Das können einfache Namensänderungen sein, zeitliche Anpassungen (etwa plötzlich parallel verlaufende Handlungsstränge) oder gar vollkommen neue Charaktere- vor allem daran scheiden sich die Geister. Außerdem geizt die Serie nicht mit erotischen Reizen. Die Schäferstündchen sind in den Büchern zwar schon alles andere als handzahm dargestellt, scheinen in der einen Stunde Laufzeit jedoch noch expliziter, um bestimmte Handlungsstränge schneller voranzubringen - dass sich nackte Brüste und Sexszenen als gezielte Provokation gut verkaufen, schadet der Sache nicht.
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Stannis im Weißen Haus?
Die enorme Beliebt- und Bekanntheit der Serie führt sogar dazu, dass sie auch immer öfter als Beispiel für reale politische Verhältnisse herangezogen wird. An die Stelle des mittelalterlichen Europas, das Martin als Vorlage diente, treten beispielsweise die Bewerber ums Präsidentenamt, die mit den fiktiven Thronanwärtern von Westeros verglichen werden. Der Mormone Mitt Romney wird zu Stannis Baratheon, weil beide eine »verquere Religion und absolute Unbeliebtheit bei allen« teilen, Al Gore und Eddard Stark »reden beide ständig über den Klimawandel«, Bill Clinton und Robert Baratheon sind für ihre Frauengeschichten und notorisch ehrgeizigen Gattinnen berühmt.
Neben solchen eher spaßigen Darstellungen finden sich allerdings auch ernsthafte Analyseversuche, die die Aufteilung der Macht unter wenigen einflussreichen Familien (»Haus Clinton und Haus Bush«) und die gewaltige Schere zwischen Arm und Reich sowohl in Westeros als auch in Amerika diskutieren.
Game of Thrones ist deshalb längst keine bloße Adaption mehr, sondern vielmehr ein eigenständiger Meilenstein der Popkultur, der die unterschiedlichsten Fans aus ganz verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Gruppen anspricht. Die stecken ihre kreative Energie derweil in Unmengen von Vergleichen, Theorien über die Mysterien von Westeros und Memes. Jede Menge Memes.
Die geflügelten Worte des Internets gibt es zwar nicht nur zu Game of Thrones, die Reichweite der Serie hilft bei ihrer Verbreitung jedoch ungemein. Es ist mittlerweile wohl fast unmöglich, zu überblicken, wie oft der Satz »Brace yourselves, Winter is coming.« umgeformt wurde, um irgendwelchen Blödsinn wie die herbstliche Kürbissaison anzukündigen. Um Game of Thrones kommt niemand mehr herum.
Genauso wenig wie um Ramin Djawadis Soundtrack zur Serie, Parodien über den »Weihnachtsmann« (also grauhaarigen, korpulenten Bartträger) George R. R. Martin und sein Werk oder Berühmtheiten, die sich mit den Insignien von Westeros abbilden lassen; zuletzt besuchte die englische Queen den eisernen Thron am Serienset in Belfast.
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