Hach, die Ubisoft-Formel
Dass ich bisher so wenig über das eigentliche Spiel gesprochen habe, hat einen handfesten Grund: Far Cry Primal sollte man sich vor allem wegen seiner Atmosphäre und dem innovativen Setting zulegen. Wer die Neugier mitbringt, eine wilde Welt zu erkunden und sich an exotischen, stimmungsvollen Schauplätzen erfreut, kommt hier auf seine Kosten. Wer hingegen auf eine spielmechanische Revolution hofft, wird sich mit der Ubisoft-Formel abfinden müssen - und das heißt vor allem zwei Dinge: das Abhaken von Icons auf der Mini-Map und das Füllen diverser Erfahrungsbalken.
Um meinen Stamm wiederaufzubauen, muss ich als Takkar sammeln und kämpfen - und das für knapp 35 Stunden, wenn ich wirklich alles in der Spielwelt erkunden will. Anders als in den bisherigen Far-Cry-Spielen verlasse ich mich dabei nicht auf Pistolen und Gewehre, sondern greife zu Keule, Speer und Bogen.
Die Auseinandersetzungen in Primal enden oft im Nahkampf. Takkar wechselt zwischen leichten und schweren Schlägen, haut anderen Menschen voll auf die Rübe oder piekst Wölfe, Bären und Löwen mit seinem Speer. Primal steuert sich zwar unkompliziert wie ein normaler Ego-Shooter, dabei verpasst Ubisoft aber die Chance, dem neuen Nahkampf-Fokus ausreichend Feinschliff zu geben.
Gerade im Vergleich mit einer gewissen Zombie-Prügelei, die in Deutschland indiziert ist, fehlt den Rangeleien ein sattes Kolisionsgefühl (die aufgeladene Zweihandkeule ist hier die Ausnahme). Als Takkar kann ich nicht mal einen Ausfallschritt unternehmen oder blocken, stattdessen kloppe ich stupide auf dem Gegner rum, laufe ein paar Meter weg, um mich zu heilen, und gehe dann wieder rein in den Kampf.
Erwische ich einen Krieger mit der Keule, gerät der kaum ins Schwanken - das Treffergefühl reagiert viel zu wenig auf das, was ich tue. Gegen Tiere wird es noch fummeliger: Wenn ein Bär auf mich zurennt, laufe ich so lange wild im Kreis, bis die KI an irgendeinem Stein hängen bleibt. Denn ein einziger Prankenschlag reicht aus, um mich zu töten.
Bogen trumpft Keule
Zum Glück habe ich in der Open World meist die Wahl, wie ich an den Gegner herantrete. Stille Takedowns sind eine elegante Möglichkeit, wenn die Situation mir das Schleichen ermöglicht. Die funktionieren allerdings nur bei Menschen - ärgerlich, denn so bringt das Heranpirschen an Jagdwild kaum einen Vorteil. Als echtes Highlight entpuppt sich allerdings Takkars Bogen: Die Fernkampfwaffe hat bei einem Kopftreffer nicht nur ein gutes Treffergefühl, sondern ist auch meine mächtigste Waffe. So stoße ich auf vier feindliche Jäger und habe mit schnellen Schüssen bereits drei erledigt, bevor die Kerle überhaupt begreifen, was da los ist.
Was man den Entwicklern lassen muss: Sie haben sich wirklich bemüht, das von Natur aus eher begrenzte Arsenal der Steinzeitmenschen mit cleveren Ideen anzureichern. Jede Waffe kann ich beispielsweise mit Tierfett entzünden. So wird meine Keule gleichzeitig zur Fackel, mit der ich Pflanzen anzünde oder Wölfe auf Distanz halte.
Auch die Beastmaster-Funktion ist eine coole Idee. Takkar kann dank einer natürlichen Gabe wilde Bestien zähmen, wenn er sie richtig ködert. Wölfe, Löwen und Panther werden so zu Begleitern, die auf unsere Angriffsbefehle hören. Bestimmte Tiere kann man sogar reiten - auf einem Mammut oder Säbelzahntiger durch die Landschaft zu flitzen und dabei Speere zu schleudern, gibt mir ein großartiges Allmachtsgefühl. Allerdings macht das nur in weitläufigen Steppen wirklich Spaß, in dichteren Gebieten ist die Bedienung zu fummelig.
Außerdem kann ich mir jederzeit eine Eulenbegleiterin zu Hilfe rufen, die aus der - Überraschung - Vogelperspektive die Landschaft erspäht, Gegner markiert und (nach einigen Upgrades) sogar angreift. Alles coole Ansätze, die über weite Strecken auch ordentlich funktionieren - aber keine dieser Mechaniken sticht so heraus, dass ich damit ohne Ermüdungserscheinungen zig Stunden in der Open World verbringen kann.
Gleichförmiges Missionsdesign
Das gilt auch für die Facetten des Spiels, die mit der Sammlerei und dem Wiederaufbau meines Stammes zu tun haben. Zum Beispiel die Missionen: Far Cry Primal trennt weniger scharf zwischen Haupt- und Nebenaufträgen als ein Assassin's Creed. Alle Missionen sind dem Ziel untergeordnet, Leute für meinen Stamm zu rekrutieren, eine Siedlung aufzubauen und die feindlichen Sippen zu besiegen. Größere Storykapitel erledige ich für die wichtigsten Personen der Wenja - also zum Beispiel Sammlerin Sayla oder Handwerker Wogah. Allerdings unterscheiden die sich häufig in ihrer Inszenierung kaum von den Sidequests.
Mal muss ich einen Bären erlegen, um eine Kriegerin zu beeindrucken. An anderer Stelle schlage ich mich durch ein Höhlenlabyrinth, weil ich einer Falle entkommen muss. Klar, es gibt natürlich auch einige spektakuläre Missionen, in denen ich beispielsweise mein Dorf vor einer ganzen Horde Kannibalen verteidige. Aber insgesamt bedient Primal rein spielmechanisch eher Genre-Standardkost und bleibt über die Kampagne hinweg sehr gleichförmig.
Die zufällig aufploppenden Nebenmissionen in der Open World sind da keine Ausnahme: Mal muss man Gefangene vor ein paar Gegnern retten, wilde Tiere erdolchen oder Wenja dabei helfen, einen Löwen zu bezwingen. Darüber hinaus schalte ich Aussichtspunkte frei, indem ich Leuchtfeuer anzünde, entdecke besondere Orte, an denen am Ende aber nur ein Beutepaket auf mich wartet, und sammle 100 magische Steine, die in der ganzen Welt verteilt sind - Ubisoft-Formel halt.
Bemühtes Rollenspiel
Nebenbei muss ich noch Unmengen von Schiefer, Blättern, Pflanzen und Ästen einsacken, um mich selbst und das Dorf mit Rohstoffen zu versorgen. Eigentlich sollte das ungemein motivieren, weil man (ähnlich wie in Assassin's Creed Syndicate mit dem Wiederaufbau von London) ein klares Ziel vor Augen hat: Alles, was ich erreiche, kommt den Wenja zugute. Und die Auswirkungen sieht man, wenn neue Gebäude und Bewohner hinzukommen und Takkar langsam stärker wird. Das Problem ist nur: Keine dieser Aktionen macht für sich genommen herausragend viel Spaß.
Zum Beispiel kriegt Takkar für alles, was er tut, Erfahrungspunkte und kann damit Skills freischalten. Die meisten davon sind aber ziemlich belanglos. Hier ein bisschen mehr Lebensenergie, da zwei Pfeile craften statt nur einem. Bis auf neue Takedowns, bessere Beastmaster-Fähigkeiten und stärkere Waffen gibt's eigentlich kein Upgrade, auf das man nicht auch verzichten könnte. Die einzelnen Mechaniken tun sich schwer damit, für sich selbst zu stehen - Ubisoft verpasst aber auch die Chance, Dinge wie die Sammlerei mit motivierenden Belohnungsspiralen zu verbinden.
Diese Ungereimtheiten machen aus Far Cry Primal kein schlechtes Spiel - sie verhindern aber, dass es mit seiner famosen Welt zu einem Meisterwerk wird. Ich will an der Stelle nochmal meine Worte vom Anfang des Tests aufgreifen: Ich habe mit dem Oros-Tal, Takkar und den Wenja irrsinnig viel Spaß erlebt.
Aber ich bin auch ein Geschichts-Freak, der sich an jeder neuen Waldlichtung satt sehen kann und sich in den tollen Dynamiken der Welt verliert. Vor dem Kauf sollte sich jeder potenzielle Spieler fragen, ob in ihm nicht ein kleiner Steinzeitjäger mit Naturbewusstsein oder zumindest ein begeisterter Ubisoft-Completionist steckt. Allen anderen könnte nämlich nach ein paar Spielstunden schon die Puste ausgehen, weil sie 1.000 Dinge zu tun, aber auf nichts so richtig Lust haben.
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