In gewisser Hinsicht ist Far Cry New Dawn ein kleines Novum. Zum ersten Mal überhaupt greift ein Far Cry-Teil die Geschichte eines Ablegers auf und erzählt sie weiter. Die knallbunte Postapokalypse, die Ubisoft in den bisherigen Trailern gezeigt hat, basiert auf den Ereignissen von Far Cry 5, das - Achtung, Spoiler - mit einem überraschenden Atomkrieg endete.
Und auch wenn New Dawn kein klassischer Hauptableger ist, verhält es sich dennoch wie ein waschechter Nachfolger. Viele Gameplay-Mechaniken kehren zurück, wir bereisen das jetzt zerstörte Hope County und es gibt ein feierliches Wiedersehen mit wichtigen Charakteren aus dem Vorgänger. Es ist interessant zu sehen, dass sich Ubisoft an der direkten Fortsetzung eines Far Cry-Spiels versucht - aber warum musste das gerade mit Far Cry 5 passieren?
Sequel in Rekordzeit
Mehr Story-DLC als Sequel: Far Cry 5 erschien am 27. März 2018 und das bedeutet, dass bis zum Release von Far Cry New Dawn gerade einmal 11 Monate vergangen sind. Dieses enge Zeitfenster sollte alle Fans skeptisch machen, die bei dem Spin-off auf ein Spiel in derselben Größenordnung wie beim Vorgänger gehofft hatten. Far Cry New Dawn ist eher ein ausgewachsener Story-DLC, der irgendwann den Rahmen gesprengt und als Standalone-Titel veröffentlicht wurde.
Im direkten Vergleich zu Teil 5 ist New Dawn in vielen Belangen kleiner. Obwohl es zurück nach Hope County geht, ist die Weltkarte deutlich geschrumpft und auch in Sachen Umfang wurden Abstriche gemacht. Die Story ist schneller auserzählt und auch bei den Nebenmissionen gibt es insgesamt weniger zu tun. Was hier jetzt irgendwie negativ klingt, ist tatsächlich einer der größten Pluspunkte von New Dawn.
Kleinere Map, weniger Missionen: Es ist ein deutlich gerafftes Abenteuer, das uns nicht mehr um die Ohren haut, als wir eigentlich haben wollen. Denn soviel sei hier schon einmal gesagt: die Story von Far Cry New Dawn wird nicht der Hauptgrund sein, warum ihr euch in der pinken Ödnis von Hope County aufhalten werdet. Aber die gewohnt unterhaltsame Action bekommt ihr trotzdem.
Postapokalypse nach Maß
Anstatt gegen fanatische Kultisten vorzugehen, die mit ihrem erzkonservativen Wahn einen fiktiven US-Bundesstaat unsicher machen und Far Cry 5 eine latent politische Note gaben, macht es sich Far Cry New Dawn in einem Endzeit-Setting gemütlich.
Schöne Endzeit: 17 Jahre nach dem Fall der Bomben hat sich die Natur alles zurückerobert und in bester Super Bloom-Manier erblüht die verstrahlte Welt in satten Farben, die sogar den Hirschen rosafarbene Geweihe verleiht. Hinter der Blüten- und Farbenpracht verbirgt sich aber dennoch eine typische Postapokalypse, die noch immer genauso funktioniert wie die Spielwelt aus Far Cry 5.
In Prosperity, dem Lager der örtlichen Überlebenden, geht es um eben das: das blanke Überleben. Eine Zugladung voller Unterstützer, rund um den Anführer Thomas Rush, soll beim Ausbau der Siedlung helfen. Doch die Anwohner haben die Rechnung ohne die Highwaymen gemacht. Die Highwaymen werden von den Zwillingen Mickey und Lou angeführt und bestehen aus überdrehten Mad Max-Banditen, die Motorrad-Ausrüstung tragen und ihre Überfälle mit lauter (wirklich guter) Musik und Feuerwerk ankündigen. Dass sie brutal und gnadenlos sind, muss wohl nicht erwähnt werden.
Es gibt wieder Koop
Auch in Far Cry New Dawn könnt ihr auf Wunsch mit einem Online-Freund in den Kampf gegen die Highwaymen ziehen. Allerdings plagt den Modus dasselbe Problem wie in Far Cry 5 - Storyfortschritte werden nicht übernommen. Ein "echtes", gemeinsames Durchspielen ist abermals nicht möglich. Immerhin darf der Koop-Partner nun auch gefundene Crafting-Materialien in seinen Spielstand mitnehmen.
Wieder ein Held ohne Namen: Der Zug wird attackiert, Thomas Rush wird entführt und der Spieler schlüpft in die namenlose Rolle von dessen Sicherheitschef. Von da an geht es im Grunde nur noch darum, den Einfluss von Prosperity zu stärken und die Highwaymen zurückzuschlagen. Dafür werden Experten rekrutiert und feindliche Außenposten inklusive Fässern voller Ethanol eingenommen. Denn ohne Ethanol geht in Far Cry New Dawn gar nichts. Nur damit können die Verbesserungen von Werkbank, Werkstatt und Co. freigeschaltet werden.
Es gibt aber noch eine dritte Fraktion im Spiel und die stellt die wohl größte Verbindung zu Far Cry 5 dar. Denn auch die Kultisten, allen voran der Sektenanführer und manipulative Massenmörder Joseph Seed, haben die Apokalypse überlebt und führen die Glaubensgemeinschaft Eden's Gate unter neuem Namen fort. Die Anhänger von New Eden sind jetzt isoliert, aber eher harmlos und haben jeder Form von Technologie abgeschworen.
Ein Comeback, das niemand gebraucht hätte
Es ist genau dieses Comeback, das die Story von Far Cry New Dawn deutlich dröger werden lässt, als sie eigentlich sein müsste. Denn trotz aller Rehabilitation und interessanter Neuausrichtung als glaubensstarkes Naturvolk, ist New Eden weiterhin getränkt mit nichtssagendem Pathos und einem überzeichneten Führerkult. Joseph Seed ist noch immer nicht spannend und sein Auftreten als geläuterter Killer-Prophet finde ich gelinde gesagt problematisch.
Denn sogar die Charaktere, die unter ihm zu leiden hatten, als er einst mordend durch die Kleinstädte zog, sagen jetzt "Naja, es war halt eine andere Zeit". Das ist unrealistisch und erinnert an schlechte TV-Serien-Plots. Mit der Hilfe von New Eden und ihren von der Droge Bliss besoffenen Kriegern geht es dann mehr oder weniger geschlossen gegen die Übermacht der Highwaymen an. Dieses Dreieck der Fraktionen ist simpel gestrickt, doch Far Cry New Dawn versucht dennoch, eine bedeutsame Geschichte über Verantwortung und Wahrung der Menschlichkeit zu erzählen.
Kein Sinn für Humor: Dass das so gar nicht klappt, liegt auch an dem Humor, dem sich Ubisoft wie schon bei Far Cry 5 verschrieben hat. Far Cry New Dawn ist über weite Strecken peinlich. Derart peinlich, dass ich bei manchen "Witzen", Notizen und Sprüchen nur sprachlos den Kopf schütteln konnte. Da gibt es die betagte Sniperin, die ihr eigenes Gesicht mit einem "Hoden, der zu lange in der Sonne lag" vergleicht. Da gibt es die Kräuterkundlerin, die vor lauter Überraschung "Ach du haariges Tittchen!" ruft. Dazu muss man wohl nichts weiter sagen.
Gekoppelt mit der uninspirierten deutschen Synchronisation und den Versuchen, zwischendurch immer wieder mal so etwas wie Dramatik auftischen zu wollen, versagt Far Cry New Dawn auf ganzer Linie dabei, eine in sich geschlossene, glaubwürdige Welt zu erschaffen. Ich glaube niemandem, dass er wirklich leidet, und ich glaube niemandem, dass er wirklich Leid verursacht. Ich weiß nur, dass da ein NPC im Lager steht, der in seinem Tagebuch schreibt, dass er herausfinden möchte, was ein "Orgasmus" ist. Die Postapokalypse muss die Hölle sein.
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