Jason verändert sich
»Och nöö, diese olle Leier«, gähnt an dieser Stelle der von tausenden kitschigen Hintergrundgeschichten fast zu Tode gelangweilte Spieler. Weil er unwillkürlich annimmt, auch diese Story würde sich mit der typischen »Am Ende kommt doch sowieso raus, dass ich der Auserwählte bin«-Auflösung begnügen. Genau diese lahme Variante vermeidet Far Cry 3 allerdings. Oder besser gesagt: Es widmet sich stattdessen lieber der Frage, ob das Auserwähltsein überhaupt ein erstrebenswertes Schicksal ist.
Denn Jasons Wandlung vom behüteten Mittelklasse-Amerikaner zum eiskalten Racheengel ist keine moralisch eindeutige - ganz im Gegenteil. Jason verändert sich; und diese schleichende Veränderung wirft Fragen auf: Heiligt der Zweck tatsächlich die Mittel? Verschwimmt die Grenze zum Wahnsinn irgendwann? Und wenn ja, merken wir es dann überhaupt? Far Cry 3, das muss man ihm hoch anrechnen, drückt sich nicht um solche Konflikte; es packt sie direkt an der Gurgel.
Wenn wir gegen Ende des Spiels einen Unschuldigen foltern, dann ergibt das im Kontext durchaus Sinn - Jason hat schlicht keine andere Wahl. Trotzdem fühlen wir uns dabei schmutzig, und wenn wir im Verlauf dieser Szene mit dem virtuellen Finger in einer Schusswunde bohren, während unser Gegenüber vor Schmerzen förmlich winselt, dann kostet es uns enorm viel Überwindung, die entsprechende Taste gedrückt zu halten - denn das müssen wir, sonst geht das Spiel nicht weiter. In gewisser Weise gelingt Far Cry 3 in diesem Moment etwas, was dem Medium »Spiel« sonst viel zu selten gelingt: Es macht uns zum Täter, hält uns einen Spiegel vor und lässt uns mit der Fratze zurück, die wir darin (möglicherweise) erkennen können.
Die Mehrspieler-Modi
Im Koop-Modus erleben wir mit bis zu drei Mitspielern in insgesamt sechs Kapiteln eine eigene Story-Kampagne rund um vier Mitglieder einer Schiffsbesatzung, die von ihrem Kapitän mächtig übers Ohr gehauen wurden. Das Ganze ballert sich launig-flott, überzeugt mit großartig egoistischen Protagonisten und erfordert immer wieder Teamwork, zum Beispiel beim Wiederbeleben von Mitspielern. Gelegentlich allerdings kabbeln wir uns auch untereinander, etwa um bei einem spaßigen Quad-Wettrennen als Erster die fürs Weiterkommen nötigen Bomben einzusammeln und den Weg freizusprengen. Im Laufe der Koop-Kampagne sammeln wir übrigens Erfahrungspunkte, mit denen wir unseren Charakter ähnlich wie im Solo-Spiel verbessern können.
Darüberhinaus stehen ingesamt vier Multiplayer-Modi (Team-Deathmatch, Kampfzone, Feuerzone und Übertragung) für bis zu 18 Spieler zur Verfügung.
Spielplatz ohne Schaukel
Apropos Fratze: So eine hatte der Serienvorgänger ja auch. Und zwar eine ziemlich hässliche. Die Rede ist von der offenen Spielwelt, die … nun ja … offen war. Sperrangelweit war sie offen; bloß machen konnte man darin nicht viel. Far Cry 2 war gewissermaßen ein Spielplatz ohne Schaukel. Und ohne Rutschbahn. Und ohne Klettergerüst.
Da trifft es sich blendend, dass es im Nachfolger deutlich mehr zu tun gibt: Wir dürfen jagen und Kräuter sammeln, die Beute mit dem Handwerkssystem zu Spritzen, Rucksäcken oder größeren Brieftaschen verarbeiten, Funktürme erklimmen und damit einen Teil der Karte aufdecken, was nicht nur wie Assassin’s Creedklingt, sondern auch haargenau so funktioniert. Oder gegnerische Außenposten stürmen und so neue Schnellreisepunkte freischalten. Unvermittelt in ein Feuergefecht zwischen Vaas Piraten und den Rebellen platzen. Einem Rudel Dingos dabei zuschauen, wie es eine Büffelhorde jagt … oder einem Tiger, wie er Vaas Piraten zum Frühstück verputzt.
Das Ganze ist also endlich ein echtes Open-World-Vergnügen, hat in der Praxis aber zwei Haken: Die riesige Spielwelt wirkt trotz der neuen Möglichkeiten streckenweise immer noch zu leer und die Entwickler haben schlicht das Balancing vergessen.
Der Haken: Das Balancing
Mit dem ersten Haken könnten wir uns arrangieren; es zwingt uns schließlich niemand, jede Palme beim Namen zu kennen, und wenn wir mal fünf Minuten ereignislos durch die Pampa stiefeln, dann war das in Skyrim auch nicht anders. Der zweite Haken allerdings ist schon ärgerlicher. Weil er uns zumindest teilweise den Spaß daran nimmt, überhaupt auf große Entdeckungsreise zu gehen.
Ein Beispiel: Um unseren Rucksack zu vergrößern, brauchen wir Felle. Wildschweinfelle, um genau zu sein. Also rufen wir die Karte auf, schauen, wo ein Wildschweinsymbol ist, rennen hin und erschießen zwei. Voilà. Anschließend würden wir gerne unseren Munitionsbeutel erweitern. Dazu brauchen wir Tapirfelle. Also rufen wir die Karte auf, schauen, wo ein Tapirsymbol ist … und fragen uns, warum sich das Spiel überhaupt die ganze Mühe mit dem Handwerkssystem macht, wenn das Einsammeln der dazu nötigen Materialien bloß anspruchslose Routine ist.
Noch ein Beispiel: Geld. Das nämlich benötigen wir, um neue Waffen zu kaufen, Munition aufzufüllen oder die frisch gekauften Knarren mit Aufsätzen wie einem Visier oder einem erweiterten Magazin zu verbessern. Blöd nur, dass wir nach ein paar Stunden im Schotter förmlich ertrinken und uns problemlos jede verfügbare Waffe, weil die Rook Islands mit Schatztruhen förmlich gepflastert sind. Vorausgesetzt natürlich, wir haben unsere Brieftasche erweitert. Dazu brauchen wir Hundefelle, also rufen wir die Karte auf … und täglich grüßt das Murmeltier.
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