Der Endzeit-Bastler
Crafting spielt nicht nur bei der Powerrüstung eine Rolle, ich darf auch an allen anderen Klamotten und Waffen herumbasteln. Upgrades gibt es nämlich jede Menge, von Schalldämpfern über exaktere Visiere und Läufe bis hin zu strahlungsabweisenden Legierungen. Die Zutaten dafür sammle ich in der Welt, selbst Schrott wie Aschenbecher und alte Zeitungen (die seltsamerweise»Stoff«abwerfen) lässt sich verwerten. Anders als in The Witcher 3 werden Items automatisch in Handwerksmaterial zerlegt, was die Bastelei komfortabler macht.
Das Schrauben und Plündern passt nicht nur ins Endzeit-Szenario (neue Waffen werden ja keine mehr hergestellt), sondern motiviert mich auch enorm: Es gibt stets irgendwas zu optimieren, irgendwelches Material ist immer knapp. Im Test habe ich mal mehrere (Spielzeit-)Tage lang nach Dosen gesucht-weil ich Aluminium bauchte, um meine durchlöcherte Powerrüstung zu flicken. Nennt mich irre, aber ich mag sowas! Praktisch auch, dass ich gesuchte Zutaten im Handwerksmenü markieren kann, damit in der Spielansicht kleine Lupen über den zugehörigen Items schweben. Das macht die Sucherei einfacher.
Auch abseits des Handwerks kann sich das Waffen- und Rüstungssortiment sehen lassen. Von Pistolen, Schrotflinten und Gewehren über Laser- und Plasmawaffen bis hin zu Flammen- und Raketenwerfern hat das Fallout-Arsenal viel zu bieten. Der Rüstungsvielfalt kommt zugute, dass es für Brust, linken und rechten Arm sowie linkes und rechtes Bein neuerdings getrennte Panzerungsteile gibt, die unterschiedliche Boni bringen können-beispielsweise Vorteile beim Schlösserknacken der erhöhten Energiewaffen-Widerstand.
Nach dem Zufallsprinzip verteilt Fallout 4 außerdem »legendäre« Gegner in der Welt, die besondere Gegenstände mit einzigartigen Boni abwerfen. Wofür ich die Elitefeinde aber erst mal besiegen muss, sie haben mehr Lebenspunkte als normale und »mutieren« oft während des Kampfes, was sie komplett heilt.
Die legendären Items können es jedoch wert sein, neben allerlei überflüssigen Baseballschlägern und Reifenhebern habe ich dabei auch eine hervorragende Laserpistole erbeutet, die mich durch das halbe Spiel begleitet hat. Wohlgemerkt durch Zufall, als ich im strahlenverseuchten »Leuchtenden Meer« in eine Fabrikruine hinabstieg und einen legendären Ghul traf. So dienen die Spezialgegner auch als Belohnung für fleißige Erkunder.
Kollege Klinge hat sogar eine legendäre Waffe gefunden, die sich nachhaltig auf seine Spielweise auswirkt. Denn sein »Nachtaktiver Impro-Revolver« verursacht zusätzlichen Schaden bei fortschreitender Nacht und wird dann zu seiner mächtigsten Waffe, hat am Tag aber nur die Durchschlagskraft einer Wasserpistole. Also zieht Heiko erst dann ins Abenteuer, wenn die Sonne untergegangen ist und feilt tagsüber lieber an seinen Siedlungen.
Zu guter Letzt wirft auch noch jede Fraktion eine besondere Waffe ab. Die Minutemen etwa drücken mir eine Leuchtpistole in die Hand, mit der ich Milizionäre zu Hilfe rufe. Die Stählerne Bruderschaft spendiert mir ein paar Signalgranaten, mit denen ich einen Transport-Vertibird anfordere. Der kann mich an jeden bereits entdeckten Punkt der Karte fliegen und ersetzt so die (natürlich ebenfalls wieder mögliche) Schnellreise über die Karte. Das dauert zwar länger, dafür kann ich während des Fluges mit der Bord-Gatlingkanone die Gegner am Boden beharken.
Noch nützlicher ist der herbeigerufene Vertibird aber als Geschützturm: So lange ich an der Gatling stehe, aber kein Ziel angebe, kann ich mit dem Geschütz in aller Seelenruhe und mit unerschöpflicher Munition drauflos ballern. Im Test habe ich so ein anderweitig unüberwindliches Supermutanten-Nest ausgehoben. Dieses kreative »Beugen« der Spielmechanik hat in Bethesda-Spielen Tradition, und spaßig ist es auch.
Ein Perk für alle Fälle
Spaßig ist in Fallout 4 auch die Charakterentwicklung. Bethesda hat das althergebrachte SPECIAL-Charaktersystem nämlich übersichtlicher gestaltet. Jedem Attribut von Stärke bis Glück sind nun zehn freischaltbare Fähigkeiten (»Perks«) zugeordnet, insgesamt gibt's also 70. Jedes Talent lässt sich dann nochmals in zwei bis fünf Stufen steigern-vorausgesetzt, ich habe die nötige Charakterstufe erreicht und genügend Punkte ins zugehörige Attribut gesteckt. Pro Level verdienen ich nämlich einen Zähler, den ich entweder in einen Perk oder einen Charakterwert investieren darf.
Angeordnet sind die Fähigkeiten als übersichtliches »Poster« mit animierten Vault-Boy-Bildchen statt wie früher als umständliche Liste - Schön! Ich muss mich in dieser Perk-Hierarchie natürlich nicht stur von oben nach unten durcharbeiten, also nicht erst leiser schleichen lernen (Beweglichkeitsstufe 3), bevor ich schneller nachladen darf (Beweglichkeitsstufe 8). So lange ich die Voraussetzungen erfülle, darf ich kreuz und quer alles lernen, was mein Heldenherz begehrt. Für Spezialisierungs-Freiraum ist also gesorgt, zumal mir alle Perks sinnvoll erscheinen.
Bleibt nur die Frage: Was will ich eigentlich? Einen heimlichen Pistolero, einen schlösserknackenden Plasmagewehr-Rambo, einen Powerrüstungs-Panzerschrank? Investiere ich lieber in möglichst viele Talente oder spezialisiere ich mich auf wenige, dafür aber hochstufige? Letzteres kann sich lohnen, aber dauern. Die vierte Stufe von »Wissenschaft« etwa schaltet zwar geniale Powerrüstungs- und Waffen-Upgrades frei, setzt aber sechs Intelligenzpunkte und Stufe 41 voraus. Die coolsten Perks bietet übrigens das Glücks-Attribut, mein Favorit ist der »Mysteriöse Fremde«. Damit taucht im V.A.T.S.-Modus hin und wieder eine Schlapphutgestalt auf, die meine Gegner zerlegt. Einfach so, ohne Erklärung. Das ist einfach typisch Fallout!
Diese! Menüs!
Womit wir fast am Ende wären. Fast? Ja. Es gibt nämlich noch ein »Aber«, und dessen Größe hängt davon ab, auf welcher Plattform man Fallout 4 spielt. Und mit welchem Eingabegerät. Die PC-Version ist logischerweise die technisch stärkste, etwa dank der höheren Detail-Sichtweite, die sich vor allem bei Panoramablicken auswirkt. Auf der PS4 und der Xbox One verschwindet der Grasbewuchs schon nach rund 50 Metern und offenbart hässlich-kahlen Boden. Die grafischen Unterschiede zwischen den Konsolen halten sich allerdings in Grenzen, keine Version ist wahrnehmbar hässlicher als die andere, beide laufen in 1080p bei 30 fps.
Zudem gibt es - anders als bei The Witcher 3 - keine übertriebenen Pop-Ins. Es »ploppen« zwar auch hier Gegenstände ins Bild, aber eben nicht viele. Auf PS4 und Xbox One kann die Framerate bei dichtem Nebel oder sehr chaotischen Szenen allerdings schon mal einbrechen. Auch beim Blick durchs Scharfschützenvisier rucket das Spiel manchmal - aber nicht immer!
Das war aber nicht das »Aber« . Wegen seiner teils matschigen Texturen und hakeligen Animationen ist Fallout 4 auf allen Plattformen zwar kein topmodernes, aber doch ein ansehnliches Rollenspiel. Vor allem die Beleuchtung zaubert immer wieder Stimmung auf den Bildschirm. Das »Aber« betrifft die Bedienung.
Denn die Pip-Boy-Menüs sind zwar stimmungsvoll gestaltet, aber mit dem Gamepad schwierig zu bedienen. Das Inventar etwa entpuppt sich als umständliche Liste, die nicht mal lange Item-Namen vollständig zeigt. Bei aufgerüsteten, legendären Waffen steht da dann beispielsweise »[des Ghultöters] [Schallgedämpft] [mächtig]…« - aha, aber welcher Waffentyp ist das? Es hilft zwar, dass ich Waffen und Rüstungen per Tastendruck heranzoomen und an der Werkbank umbenennen kann, das sollte aber nicht nötig sein. Außerdem werden Item-Fähigkeiten gerne mal in winziger Schrift angezeigt, wichtige Werteboni verstecken sich als schnöde Zahl irgendwo am Rand. Das hat sogar Skyrim besser gemacht, und schon dessen Inventar war …gewöhnungsbedürftig.
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