Ein altes deutsches Sprichwort sagt: »Allen Leuten Recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann.« Einerseits möchte Codemasters mit F1 2012ein authentisches Formel-1-Erlebnis liefern, andererseits sollen aber auch Gelegenheitsraser die Faszination der Motorsport-Königsklasse nachvollziehen können. Sowohl F1 2010als auch F1 2011haben diesen schwierigen Drahtseilakt gut hinbekommen, auch wenn Simulationspuristen ob der nicht ganz schraubengenauen Fahrphysik ein wenig die Nase rümpften.
Dass sich Letzteres auch mit F1 2012 nicht grundlegend ändert, war zu erwarten. Dass jedoch Codemasters in dieser Saison trotz oder gerade wegen vieler Neuerungen ausgerechnet den guten alten Drahtseilakt sträflich vernachlässigt und entsprechend wertungstechnisch auf die Nase fällt, dürfte sowohl Gelegenheitsraser als auch Simulationspuristen negativ überraschen.
Tutorial für Schimpansen
Dabei beginnt F1 2012 durchaus verheißungsvoll: Wir suchen uns ein Spitzenteam wie Ferrari, McLaren oder Red Bull aus, für das wir den so genannten »Young Driver Test« absolvieren wollen – eine Art Talentschmiede für künftige Formel-1-Fahrer, die es auch in der Realität gibt.
Wir erwarten: fordernde Fahrprüfungen, Verhaltensstrategien für besondere Rennsituation wie Wetterwechsel oder fliegende Starts, Einweisungen in die wichtigsten Regeln, einen abschließenden Test und – bei besonders gutem Abschneiden – natürlich ein Cockpit bei unserem Lieblingsteam.
Wir bekommen: ein ultrakurzes strunzödes Simpel-Tutorial, das uns in gerade mal acht Lektionen und drei Videos unter anderem zeigt, wie wir Gas- und Bremspedal bedienen (!) oder Kurven richtig nehmen. Nach der Abschlussprüfung (eine ganze Runde fahren, wow!) landen wir kommentar- und teamlos im Hauptmenü. Das ist kein »Young Driver Test«, sondern ein »Idiotentest« – zumindest für passionierte Rennspieler.
Saisonmodus? Gestrichen!
Nun gut, wenn wir kein Spitzenteam-Cockpit bekommen, dann nehmen wir uns eben eins. Dafür gab’s im Vorgänger schließlich den frei konfigurierbaren Grand-Prix-Modus, in dem wir uns mit unserem Wunschteam unsere Wunschsaison mit Wunschregeln zusammenbasteln konnten. In F1 2012 wird dies jedoch nur ein Wunsch bleiben, denn Codemasters hat den Grand-Prix-Modus ersatzlos gestrichen! Lediglich in Einzelrennen bleibt uns noch die freie Team- und Streckenwahl.
Zwei neue Spielmodi sollen diesen Verlust kompensieren: In der Season Challenge absolvieren wir eine verkürzte Saison mit zehn Rennen á fünf Runden. Dabei starten wir in einem schwachen Team wie Marussia oder Torro Rosso, können uns jedoch in einen besseren Rennstall hocharbeiten, wenn wir einen seiner Fahrer in zwei von drei Rennen schlagen.
Im »Champions Mode« treten wir gegen die sechs aktuell aktiven Weltmeister in ebenso vielen vorgefertigten Szenarien an. So müssen wir etwa im Regenrennen von Brasilien drei Runden lang auf Slicks die Attacken von Lewis Hamilton abwehren. Beide neuen Spielmodi sind durchaus unterhaltsam, können aber mit ihrem geringen Umfang und den festgelegten Regeln nur kurzzeitig motivieren und sind alles andere als ein adäquater Ersatz für den gestrichenen Grand-Prix-Modus.
Karriere-Marathon
Die aktuelle Formel-1-Saison können wir entsprechend nur im Karrieremodus nacherleben. Auch hier starten wir in einem schwachen Team und haben fünf Jahre Zeit, uns erst einmal in ein konkurrenzfähiges Auto und schließlich bis zum Weltmeistertitel vorzukämpfen.
Letzteres werden aber vor allem Gelegenheitsfahrer nur in Ausnahmefällen erleben. Denn Codemasters hat die Mindest-Rennlänge von drei Runden auf 25% der Real-Distanz angehoben. Die Karriererennen dauern so je nach Wetterbedingungen 20 bis 30 Minuten. Und das am Stück, denn eine Speicherfunktion fehlt ärgerlicherweise.
Zwar können wir nach wie vor bei Missgeschicken bis zu vier Mal die Zeit zurückspulen. Wenn wir aber ausgerechnet in der letzten Kurve den entscheidenden fünften Fehler machen, möchten wir nach 30 Minuten harter Arbeit unser Lenkrad am liebsten aus dem Fenster werfen (oder an den Kopf der Entwickler). Die Karriere richtet sich somit trotz zuschaltbarer Fahrhilfen wie ABS oder Traktionskontrolle und vier KI-Schwierigkeitsgraden fast ausschließlich an ausdauerende Rennspielprofis, die dafür locker über 100 Stunden bis zum Karriereende einplanen dürfen.
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