Wie lange ich brauchte? Ich weiß es nicht mehr. Gefühlt zog sich mein Kampf gegen die Panzerspinne über Tage, ja sogar Wochen. Tatsächlich hing ich vielleicht zwei, drei Nachmittage daran fest. Wir schreiben die frühen 2010er-Jahre. Anstatt für's Abitur zu lernen, übe ich mich in Demon's Souls, lausche nebenbei Podcasts und Hörspielen. Und endlich, endlich schlage ich diesen vermaledeiten Boss.
Die Geschichte hinter meinem Sieg handelt aber von keinem tapferen Recken, der in die Steinfangkatakombe hinabstieg, um sich als Herrscher über das Kampfsystem zu erheben. Nein. Diese Geschichte handelt von einem Trick. Sie erzählt davon, wie ich das Action-Rollenspiel überlistete, wieso ich diesen Trick bis heute nicht nur als Triumph sehe. Vielmehr deute ich ihn auch als Ausdruck einer Designphilosophie, die die Soulsborne-Serie von Demon’s Souls über Bloodborne bis hin zu Elden Ring beseelt.
Die Seele der Soulsborne-Spiele
Doch der Reihe nach. Zurück zu Demon’s Souls: Die ersten Versuche gegen die Panzerspinne unternahm ich mit konventionellen Mitteln. Angriffsmuster studieren, Lücken ausmachen, Gegenwehr. Doch ein ums andere Mal scheiterte ich. Irgendwie wollte es nicht. Aber irgendwie musste es doch gehen. Nach all den anderen Hürden würde ich ja wohl auch diese nehmen.
Tim Hödl
Demon’s Souls war für Tim einer der Gründe, sich eine PS3 zuzulegen, obwohl er kaum etwas über das Spiel wusste – außer dass Tester*innen das Spiel mit Awards und Traumwertungen auszeichneten. Ein Rollenspielhighlight, hieß es. In seiner Naivität versprach er sich epische Abenteuer im Stil westlicher RPGs wie Dragon Age. Armer Tölpel. Auf den ersten Kulturschock folgte Ernüchterung, danach Neugier, was Demon’s Souls dann so besonders macht. Er blieb dran und schließlich hängen. Das Demon’s Souls-Remake war dann übrigens sein Kaufgrund für die PS5.
Ich überdachte meine Taktik. Ich probierte, die Umgebung einzubeziehen, sie im Notfall zu meinem Schutz zu nutzen. Da fand ich ihn, einen Pfeiler, der mich vor den Attacken des vielbeinigen Biests deckte. Mir kam die rettende Idee. Schwert und Schild tauschte ich gegen Pfeil und Bogen. Und während im Hintergrund eine Folge Die drei Fragezeichen lief, jagte ich Pfeil um Pfeil am Pfeiler vorbei in den Boss. Dämon besiegt.
Kein glorreicher Sieg, dennoch ein verdienter. Trotz aller Rückschläge gab ich nicht auf. Ich fiel, ich stand wieder auf – bis heute tue ich das. Seit Demon’s Souls begleiten mich die Soulsborne-Spiele von From Software. Manchmal sind sie eine Zumutung für mich. Manchmal ertrage ich diesen Schwierigkeitsgrad nicht mehr. Dann reicht es mir. Über Monate liegt ein Ableger brach, bis ich doch wieder zurückkehre. Hinschmeißen ist nicht. Denn mit Trickserei oder ohne, diese Spiele lehren mich Selbstwirksamkeit. Das zeichnet sie aus. Das ist ihre Designphilosophie.
Macht kaputt…
Also, wieso gebe ich in Soulsbourne-Spielen nicht auf? Warum kehre ich wieder und wieder zurück? Weil diese Spiele meine Selbstwirksamkeit nähren. Weil sie einen Reigen großer und kleiner Erfolge arrangieren, durch die ich auch bei Rückschlägen weiter auf mein Können vertraue. Wie gesagt: “Irgendwie wollte es nicht. Aber irgendwie musste es doch gehen. Nach all den anderen Hürden würde ich ja wohl auch diese nehmen.”
Doch um etwas als Erfolg zu verbuchen, muss ich es eben erst als Herausforderungen sehen. Schon ein flüchtiger Blick und die Soulsborne-Spiele erscheinen als einzige Tour de Force. Bevor sie uns in den Hauptteil entlassen, zwingen sie uns gerne mal durch einen Bosskampf, den wir verlieren sollen. Der verpflanzte Spross aus Elden Ring ist das jüngste Beispiel. Über ihre Funktionsweisen sprechen sie oft in Rätseln zu uns. Das Welttendenzen-System in Demon’s Souls musste ich mir damals über Forenbeiträge erschließen. Linda hingegen grübelt aktuell über die Statussymbole in Elden Ring. Wer zu diesen Spielen einen Zugang will, muss an grimmigen Securities vorbei.
Auch über die Einstiegshürde hinaus spicken sie den Spielverlauf mit Hindernissen. Gegner fallen mich hinterrücks an, Drachen scheuchen mich umher. Ganze Spielabschnitte reihen sich in meinem Wortschatz hinter fies, infam und garstig ein. Stichwort: Schandstadt. Selbst meinen Erfahrungsschatz aus anderen Titeln führen diese Spiele gegen mich ins Feld. Eine Truhe muss hier keine Truhe sein. Und wer glaubt, ein Kampf mit zwei Bossgegnern würde einfacher, nur weil man einen der beiden… aber nein, wer Ornstein und Smough nicht kennt, findet das schön selbst heraus.
…, was euch kaputt macht
Ob nun Demon’s Souls, Bloodborne oder Elden Ring – sie streuen mir Sand in die Augen, stoßen mich zu Boden. Ab und zu treten sie nach. Allerdings fordern sie mich auch heraus. Auf den Bildschirmtod folgt meistens ein Lerneffekt. Ein Hinterhalt überrascht mich nur ein Mal. „Ihr seid gestorben“ brüllt: „Jetzt mach es besser, los!“ Mehr noch. Die Soulsborne-Spiele werfen mir zudem das Rüstzeug zu, mich aus dem Dreck zu ziehen. Sofern ich mich mit ihren Regeln und Funktionen beschäftige, eröffnen sie zahlreiche Wege, die Spielerfahrung entlang meiner Fähigkeiten zu formen.
In Elden Ring beginnt dies bereits bei der Klassenwahl. Krieger, Samurai, Astrologe und Co. bilden nicht nur verschiedene Spielstile über diverse Nah- und Fernkampfvarianten ab. Die Unterschiede bei Ausrüstung, bei Charakter- und Schadenswerten münden auch in jeweils anderen Anforderungsprofilen an die Spieler*innen. Als Astrologe geht mir der Fernkampf mit Magie im Vergleich zu Pfeil und Bogen merklich leichter von der Hand. In beiden Fällen existiert zwar ein Target-Lock. Allerdings jagt der Standardzauber des Astrologen anvisierten Gegnern nach, sodass ich eher treffe. Nachdem ich austeste, welche Klasse zu mir passt, erschließe ich mir weitere Spielelemente.
Elden Ring ist zwar der zugänglichste Teil der Reihe, aber immer noch ein Soulsborne. Den Tutorial-Abschnitt könnte ich im wahrsten Sinne des Wortes übersehen. Ein so grundlegendes Spielsystem wie das Aufleveln muss ich freischalten. Im Anschluss erprobe ich, wie ich meine Attribute austariere, welches Verhältnis von Schaden und Beweglichkeit, von magischer wie körperlicher Ausdauer mir liegt. Mit Elden Ring knie ich mich nämlich zum ersten Mal in eine magiebegabte Klasse hinein.
Auch nach Stunden kommen neue Hilfsmittel zum Rüstzeug hinzu. Erst lerne ich die Geisteraschen kennen, später wühle ich mich durch eine dieser kryptischen Nebenquests, in deren Verlauf ich die Geisteraschen upgraden kann. Eine tolle Belohnung!
Just Do It
Wie gründlich man diese einzelnen Hilfsmittel prüft, in welchem Umfang man sie nutzt, das entscheidet jede*r für sich. Max beispielsweise farmt Runen im nördlichen Caelid, während Stephan trickst, wo es nur geht. Er nutzt Türrahmen aus, um seine Feinde vorzuführen, triezt Drachen mit dem Steinschleuder-Zauber.
Und Samara enträtselt so ziemlich jede Geheimniskrämerei von Elden Ring. Sie weiß, wie wir früh im Spiel ans Eisige Beil gelangen oder wo die zwölf Heiligen Tränen sind.
All diese Geschichten entspinnen sich aus separaten Herangehensweisen. Eines eint sie jedoch: die Erfolgserlebnisse. Wir verdienen sie uns, indem wir uns dem Spiel stellen, mit den vielen kleinen und großen Hürden wachsen, auf unser Können vertrauen. In unserem Tempo. Auf unsere Art.
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Die Soulsborne-Spiele nehmen uns nicht an die Hand. Aber dafür nehmen sie uns ernst. Was wir Spieler*innen tun, macht einen Unterschied. Unsere Entscheidungen haben Gewicht. Dafür liebe ich diese Reihe. Meistens zumindest.
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