Schwer zu glauben, aber das allererste Dynasty Warriors von 1997 war ein 3D-Prügler im Stil von Soul Calibur. Doch auf der ersten PlayStation war in diesem Genre der Konkurrenzdruck immens. Also wagte Entwickler Omega Force damals den Schritt: Statt Mann gegen Mann hieß es in der Fortsetzung Mann gegen Armee. Aus dieser Formel wurde eine in Japan sensationell erfolgreiche Serie, die das Genre des Musou aus der Taufe gehoben hat.
Das ist der japanische Begriff für "herausragend", und damit Spieler sich so fühlen, brauchte es bis heute bloß unzählige Gegner und abgesteckte, in sich geschlossene Schlachtfelder. Zwei Jahrzehnte später riskieren die Entwickler mit Dynasty Warriors 9 den nächsten radikalen Eingriff in ihr Erfolgsrezept: eine offene Welt.
Geschichte schreiben
Diese Open World mutet wie die längst überfällige Erfüllung eines lang gehegten Traums an. Seit jeher interpretiert die Reihe den historischen chinesischen Roman "Geschichte der Drei Königreiche" des Autors Luo Guanzhong. Darin geht es um die Zeit zwischen dem Untergang der östlichen Han-Dynastie und der Entstehung der Drei Reiche. Omega Force entnimmt auch im neunten Teil Figuren aus der Überlieferung und trimmt die Geschichtsstunde auf Schnelldurchlauf.
Diesmal jedoch ohne Ladezeiten und dafür in einem nachgebildeten, riesigen China. Die nächste Schlacht ist nur einen kurzen Pferderitt entfernt. Befreundete Generäle kämpfen an anderen Orten um strategisch wichtige Punkte. Aufstände und Tyrannei im Land sollen schließlich ein Ende finden! All das ist sichtbar auf einer riesig wirkenden Karte, in separat anwählbaren Zeitlinien. Obendrein wechselt man während der Story auch noch zwischen 83 Charakteren, manchmal mit Überschneidungen. Das ist nichts weiter als episch.
Die offene Welt macht nicht nur die Weite Chinas spürbar, sondern bringt zudem eine Reihe neuer Aktivitäten. Optionale Schleichmissionen sind zwar nicht unbedingt das, was einem Musou-Titel gefehlt hat. Tiere jagen und Fischen gehen dafür schon eher, da Kochen und Verzehren von Wild zu zeitlich begrenzten Statuseffekten verhilft. Immerhin wird der erschreckend leblosen Welt so etwas Sinn eingehaucht wird. Eine soziale Komponente kommt durch eigene Wohnhäuser ins Spiel.
Sie lassen sich nicht nur individuell einrichten, auch NPC-Verbündete genehmigen sich dort gerne mal eine Tasse Tee. Zieht man mit ihnen daraufhin in die Schlacht, sind sie ein wenig munterer. Interaktion mit anderen Figuren findet darüber hinaus nur in Städten bei Verkäufern statt. Oder bei befreundeten Generälen, die Nebenmissionen anbieten.
Das ist zwar nett, aber über das Leben des normalen Bürgers ist so gut wie gar nichts in Erfahrung zu bringen. Für wen befreien wir China noch einmal? Immerhin: Zur Belohnung winken nicht nur Erfahrungspunkte, sondern mitunter seltene Rohstoffe. Manche davon lassen sich zu Juwelen verarbeiten, die in Waffen eingesetzt werden können. Auf diese Weise werden sie mit Elementarkräften ausgestattet. Mit Eis werden zum Beispiel Gegner in eine Starre versetzt, während Feuer ihnen ordentlich die Frisur versengt.
Wie der Traum zerfällt
Den eigenen Charakter aufwerten und Schriftrollen für bessere Waffen finden - der unwiderstehliche Drang zur Selbstoptimierung greift auch hier. Das überarbeitete Kampfsystem ist im Vergleich zu den Vorgängern zugänglicher geworden, komplett gelungen ist es aber nicht. Über die rechte Schultertaste rufen wir ein Menü für Sonderfertigkeiten auf. Die sehen wuchtig aus, bewirken aber nicht viel. Ansonsten ist das Musou-typische Wegschnetzeln von Gegnerwellen nach wie vor reizvoll.
Der bekannte Trance-Zustand setzt nach ein paar Sekunden ein. Nur bei stärkeren Gegnern wie den Zwischenbossen fällt das Button-Mashing negativ auf. Weg ist zudem das Schein-Schere-Papier-System aus dem direkten Vorgänger, das den Gefechten einen Hauch Taktik verlieh. Jetzt ist stumpf wieder Trumpf: Effektiv besiegen lassen sich Bosse, wenn man ihnen nahtlos eine Sonderattacke nach der nächsten vor den Latz knallt. Erst ab Level 40 - bis dahin dauert es eine lange Zeit - sind sie etwas gewiefter.
Das ist zu anstrengend? Dann hilft es, einen der zahlreichen Glitches und Lücken im Missionsdesign oder der künstlichen Intelligenz auszunutzen. Gegner kommen mit Höhenunterschieden auf dem Gelände nicht zurecht, also ist es völlig ausreichend von einem Dach aus mit Pfeil und Bogen zu agieren. Groß angelegte Eroberungen von Festungen werden durch den neuen Enterhaken ad absurdum geführt. Wozu mit Rammböcken Holztore aufstoßen, wenn der Weg über die Mauer kürzer ist? Schnurstracks geht es über unbeaufsichtigte Seitenwege zur Zielperson, vorbei an Hunderten von Soldaten. Die Erfahrungsstufe des Endgegners ist zu hoch? Keine Panik: Sehr wahrscheinlich bleibt er ohnehin unglücklich an einer Dekoration hängen. Oder rutscht gleich vor lauter Aufregung durch die nächste Wand.
Eins der größten Mankos ist jedoch paradoxerweise die taktische Karte. Hier wählen wir die nächsten Ziele aus und planen unseren Eroberungsfeldzug. Blöd nur, dass Wendungen in der Story unsere Pläne immer wieder durchkreuzen und Fortschritte zunichte machen. Das ruiniert die Motivation.
Ein unfertiges Spiel
Dynasty Warriors 9 ist voll von solchen Fehlern und macht den Eindruck, als hätte den ansonten recht fähigen Entwicklern von Omega Force eine ganze Menge Zeit gefehlt. Die Liste ist schier endlos: Gegnerscharen verschwinden oder erscheinen von einer Sekunde auf die andere vor euren Augen, wenn sie nicht sowieso untätig herumstehen. Tiere, Menschen, Kriegsgefährt - allesamt zuckeln sie unbeholfen über die tristen Landschaften.
Die Kollisionsabfrage ist so ungenau, dass sie bloß für die grobschlächtigen Schwerthiebe taugt. Filigrane Pfeile verfehlen gerne mal ihr Ziel, obwohl sie mit Sicherheit hätten treffen müssen. Ihr wollt mit einem Enterhaken einen mobilen Belagerungsturm erklimmen? Oben angekommen, glitcht ihr gleich wieder zum Boden durch. Im Galopp mit dem Pferd wollt ihr automatisches Reiten aktivieren, um mal schnell etwas zu trinken? Bis der Gaul durch die konfuse Wegfindung an einem Fels hängen bleibt, schafft ihr nicht einmal einen Schluck.
Garniert wird die zweifelhafte Spaßpackung mit der schlechtesten Optimierung, die wir seit Langem auf Konsolen bewundern durften. Auf der Standard-PS4 und der Xbox One ist die Framerate grundsätzlich niedrig und es braucht bloß ein zufällig auftauchendes Rudel Wölfe, um sie in den einstelligen Bereich bröckeln zu lassen. Mit dem Patch 1.03 lässt sich ein Grafikmodus einschalten, der schnellere Bildraten bevorzugt. Die wird jedoch mit aggressivster Detailreduzierung und Bildzerreißen erkauft.
Texturen laden darüber hinaus weitaus langsamer nach, was der Tristesse noch eine Extraportion Matsch hinzufügt. Der cinematische Modus in den Optionen klingt verheißungsvoll, doch er ändert weder etwas am Geflimmer der Baumkronen, noch an den fast grundsätzlich fehlenden Schatten. Dynamischen Tageszeiten und Wetter zum Trotz fehlt es der Welt an visueller Tiefe. Alles wirkt flach und schwammig. Wenigstens ist die Musik über jeden Zweifel erhaben. In Kämpfen schrammelt der Rock fett aus den Boxen, während beim Ritt durch die Lande immerhin auf ein gewisses Reisegefühl eingestimmt wird. Plopp! Oh, das kann selbst der Soundtrack nicht übertönen: Das Geräusch des zerplatzenden Traums einer epischen Interpretation der Geschichte der drei chinesischen Reiche.
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