Man könnte meinen, das »Herr der Ringe«-Universum wäre in Spieleform bereits bis in die letzten Ecken ausgewalzt worden: Knapp 20 Titel gibt es auf alle Systeme verteilt, darunter Filmumsetzungen, ein Rollenspiel, ja selbst Echtzeitstrategietitel wurden dem geneigten Tolkien-Fan kredenzt. Doch es gibt tatsächlich noch unerforschte Gebiete in Mittelerde: Warner Bros. und die Snowblind Studios (Baldur’s Gate: Dark Alliance)schicken euch nun in den Krieg im Norden. Parallel zur Handlung der Bücher und Filme tobt im nördlichen Mittelerde ebenfalls ein epischer Kampf zwischen Saurons Streitkräften und den Mächten des Guten. Ihr schlüpft wahlweise in die Rolle eines Zwergenkriegers, einer Elbenmagierin oder eines menschlichen Waldläufers, um euch durch Horden von Orks, Trollen und anderem Getier bis zu Saurons Lieutnant Agandaur vorzukämpfen. Der Fiesling mit der stählernen Maske im schicken Sauron-Design will den Norden Mittelerdes in seine Gewalt bringen. Das könnt ihr natürlich nicht zulassen.
Rollenspiel? Wo?
Der Herr der Ringe: Der Krieg im Nordenwill ein Action-Rollenspiel im Stil der Konsolen-Baldur’s Gates sein, und auf den ersten Blick steckt auch genug Rollenspiel unter der Rüstung: Inventar, Fertigkeitenbaum sowie Level- und Dialogsystem lassen es Abenteurern in den Fingern kribbeln. Unterwegs findet und kauft ihr zahlreiche Gegenstände, Waffen und Rüstungsteile, die sich sogar zu seltenen (und besonders widerstandsfähigen) Sets zusammenfügen lassen. Dazu levelt ihr eure Figur mit Erfahrungspunkten auf und schaltet neue Fertigkeiten frei. Die sind besonders wichtig, wenn ihr gegen die schier endlosen Horden von Orks und Uruk-Hai bestehen wollt. Ihr merkt schon: Der Schwerpunkt liegt eindeutig auf Geschnetzel. Und so enttarnt ihr die rudimentären Gespräche mit Weggefährten, blöd in der Gegend herumstehenden Nebencharakteren und Händlern schnell als sinn- wie inhaltlose Zeitvergeudung. Immerhin wirkt das alles aber nicht ganz so aufgesetzt wie im ähnlich gelagerten X-Men: Destiny. Die Illusion eines Rollenspiels bleibt also weitgehend erhalten.
Zu dritt kämpft’s sich besser
Im Prinzip habt ihr es bei Der Herr der Ringe: Der Krieg im Norden mit einem Hack & Slay zu tun, das euch durch schlauchige Levels schickt und im Sekundentakt mit Gegnern bombardiert. Entsprechend macht ihr unterwegs ausgiebig von Schwert- und Axtkombos sowie magischen Spezialfähigkeiten oder Fernwaffen Gebrauch. Dabei trennen sich die Fantasywesen schon mal von einem Arm oder Bein. Ungewohnt drastisch für ein Herr der Ringe-Spiel, aber völlig im Einklang mit Peter Jacksons Verfilmungen der Bücher. Auch die Möglichkeit, den riesigen Adler Beleram gezielt auf die Gegner zu hetzen, macht Laune. Allerdings wird das Gemetzel, so spaßig es zu Beginn auch sein mag, schnell öde.
Habt ihr ein Kapitel überstanden, wisst ihr im Prinzip genau, was euch in den darauffolgenden Abschnitten erwartet: Immer wieder stürmen Gegnerscharen auf euch los, die ihr im variantenarmen Kampfgetümmel platt machen müsst, um voranzukommen. Das Spiel ist klar auf Koop ausgelegt -- auch wenn ihr nicht mit zwei Kumpels loszieht, habt ihr immer zwei Mitstreiter an der Backe, die euch tatkräftig unterstützen. Zumindest in der Theorie, denn tatsächlich ist die KI stellenweise unter aller Kanone: Immer wieder stehen die Begleiter doof in der Gegend herum oder spulen ungerührt ihr Standard-Angriffsprogramm ab, ohne euch wirklich unter die Arme zu greifen. Das wäre gar nicht so schlimm, wenn man jederzeit zwischen den Charakteren hin und her schalten könnte, um deren besondere Fähigkeiten gezielt einzusetzen -- doch wechseln könnt ihr nur zwischen den jeweiligen Abschnitten.
Der Krieg des Belanglosen
Geschnetzel im Überfluss muss nichts Schlechtes sein -- wenn die Sache entsprechend packend inszeniert ist. Story und Charaktere von Der Herr der Ringe: Der Krieg im Norden sind allerdings so beliebig, dass einfach keine rechte Fantasy-Stimmung aufkommen will. Die drei Spielfiguren sehen so langweilig aus, als entstammten sie dem ersten Versuch eines Vorschülers, per mittelprächtigem Editor die Hauptcharaktere der Filme nachzubauen, und die Geschichte leidet unter extremer Spannungsarmut. Man wird nicht mitgerissen, sondern schlitzt und zaubert sich ungerührt durch Agandaurs Horden. Immerhin hat man versucht, durch die thematisch äußerst unterschiedlichen Schauplätze wie die Ruinen von Fornost, das eisige Gundabad-Gebirge oder den finsteren Düsterwald Abwechslung ins Spielgeschehen zu bringen. Schade nur, dass dieses lobenswerte Vorhaben durch die vorsintflutliche Technik zunichte gemacht wird: Matschige Texturen, grobschlächtige Objekte, unsichtbare Wände mitten in der Landschaft und eine mitunter miserable Kamera machen den Feldzug durch Mittelerdes Norden nicht gerade zu einem unvergesslichen Erlebnis. Da fügt sich die mittelprächtige deutsche Synchronisation bestens ins Gesamtbild ein!
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