Ich habe in Chernarus, der postapokalyptischen Spielwelt von DayZ, Dinge getan, die mich selbst schockiert haben: Hungernd schlug ich einem schlafenden Fremden mit meiner Brechstange den Schädel ein, weil er wertvolle Medikamente bei sich hatte.
Ich vergiftete einen Mitreisenden, weil ich seine Wanderschuhe haben wollte. Ich verbrüderte mich mit einem schwerbewaffneten Söldner und erpresste von unbedarften Spielern Schutzgeld.
All das erlebte ich in der offenen Welt von DayZ, in der es keine vorgeschriebenen Missionen, keine Regeln, sondern nur eine einzige Aufgabe gibt, die für alle Spieler gleich ist: überleben um jeden Preis. Und das macht einen Heidenspaß - zumindest war das so vor fünf Jahren, als DayZ erstmals für den PC erschien und hunderttausende Spieler mit einer Form des virtuellen Überlebenskampfes begeisterte, die damals völlig neu war: hart, erbarmungslos, fordernd, aber auch offen für jede Spielweise.
Nun habe ich den Release der PS4-Version zum Anlass genommen, nach langem Erholungsurlaub wieder einmal Richtung Chernarus aufzubrechen. Und was ich dort erleben musste, hat mich tatsächlich erneut schockiert. Diesmal allerdings aus den völlig falschen Gründen.
Motivierender Überlebenskampf
Das Entwicklerteam von Bohemian Interactive beschreibt die Spielwelt Chernarus als fiktiven Nachfolgestaat der Sowjetunion, in der postapokalyptische Zombiehorden jegliche Zivilisation unter sich begraben haben - und genauso sieht es dort auch aus: Grau- und Brauntöne dominieren die verwaisten Kleinstädte, verrosteten Lagerhallen und sumpfigen Ländereien.
Schwere Wolken hängen tief über den hohen Bergen und weitläufigen Tälern, die ich stundenlang durchwandern kann, ohne auf nur einen einzigen der maximal 60 menschlichen Spieler eines Servers zu stoßen.
Mein Abenteuer beginnt mit einem zufallsgenerierten Charakter an einem zufällig ausgewählten Ort der weitläufigen Inselwelt von Chernarus. Eine Landkarte zur Orientierung muss ich mit viel Glück erst finden. Stattdessen halte ich also nach auffälligen Gebäuden oder Landschaftsmarkern Ausschau, um herauszufinden, ob ich im Inland oder in einer der Küstenregionen gelandet bin.
Missionsziele oder Wegmarker gibt es nicht, einzig die Suche nach Essen, Trinken und Ausrüstung bestimmt meinen Weg durch die Wildnis und die verwaisten Städte. Denn wenn ich meine Spielfigur nicht regelmäßig mit Nahrungsmitteln versorge oder in der kalten Nacht zu dünne Kleidung trage, wird mein Abenteuer nicht besonders lange andauern.
Ich bin Gott!
In dieser trostlosen, stummen Welt werden kleine Erfolgsmomente zu emotionalen Höhepunkten, die in anderen Spielen nicht einmal ein Wimpernzucken provozieren würden: Eine Dose Ravioli im sonst leergefegten Hochhaus finden? Großartige Nachrichten! Wasser aus einem Morast trinken, ohne mir den Magen zu verstimmen? Fantastisch! Endlich Munition für die Pistole entdecken, die ich seit zwei Stunden nutzlos mit mir herumschleppe? Ich bin Gott!
Fund um Fund steigen so allmählich meine Überlebenschancen. Während ich in der ersten Spielstunde noch panisch nach einem Wasserloch suchen muss, sobald meine "Durst"-Anzeige rot blinkt, greife ich mit etwas Glück bald darauf lässig nach der prall gefüllten Trinkflasche im Rucksack.
Ich tausche mein dünnes T-Shirt gegen einen dicken Pullover, der mich vor der Kälte schützt, und horte Verbände und Dosenfutter, um mich im Fall einer Verletzung selbst versorgen zu können.
Ganz ohne Levelsystem oder Skilltree gibt mir DayZ mit diesen kleinen, selbst erarbeiteten Triumphen das Gefühl, langsam immer mächtiger zu werden - und dieses Gefühl ist extrem befriedigend.
Ein leichtes Spiel wird DayZ damit aber nicht, die Gefahren lauern jetzt eben nur woanders: Zombies, die besonders zahlreich in Städten vor sich hin stolpern, jagen mich unerbittlich, wenn ich nicht weit genug Abstand von ihnen halte. Gleichzeitig steigt das Interesse anderer Spieler an meinem Rucksack, sobald darin ein paar wertvollere Gegenstände versammelt sind.
Kommt es dann tatsächlich einmal zu einem Zusammentreffen mit anderen Menschen, kann alles und nichts passieren: Während meiner Rückkehr nach Chernarus wurde ich grundlos erschossen und ausgeraubt, durfte aber auch Freundschaften schließen.
Hier schreibt DayZ keinerlei Verhaltensregeln vor, sondern macht es ganz von den beteiligten Spielern abhängig, ob ihr am Ende des Tages neue Freunde gewinnt oder schwer verletzt in einer Seitengasse ausblutet.
Technisch zombifiziert
Was ihr bis zu diesem Absatz gelesen habt, beschreibt die optimale Spielerfahrung von DayZ, die im Kern auch nach fünf Jahren nicht ihren Reiz verloren hat. Allerdings weist die Konsolenversion einen Makel auf, der dieses Spiel trotz aller Faszination zu einem fast albtraumhaften Erlebnis macht: Der katastrophale technische Zustand, der mich stellenweise richtiggehend schockierte.
Jede Interaktion und jedes Feature, das ihr euch in einem Survival-Spiel mit offener Spielwelt vorstellen könnt, funktioniert nur in etwa der Hälfte aller Fälle: Gegenstände, die ich ablege, kann ich manchmal nicht wieder aufsammeln. Türen lassen sich plötzlich nicht mehr öffnen und machen jedes Zimmer zur potentiellen Todesfalle.
Beim Sprint durch eine Kleinstadt gerät DayZ selbst auf einer PS4 Pro derart ins Ruckeln, dass ich jede Sekunde einen kompletten Spielabsturz befürchten muss. Der Ton ist grundsätzlich katastrophal abgemischt, sodass ich alarmierendes Zombiegurgeln manchmal kaum hören kann, während mir das Öffnen einer Wasserflasche beide Trommelfelle aus dem Kopf bläst. Diese Liste könnte ich noch sehr lange fortsetzen.
Grusel-Glitches
Und apropos Zombies - auch hier ersticken technische Probleme regelmäßig jeden aufkommenden Spielspaß im Keim: Die Untoten glitchen durch Häuserwände und Stahlbarrikaden, verlieren manchmal nach zwei Metern das Interesse an mir oder geben die Verfolgung selbst nach dutzenden Kilometern nicht auf.
Kommt es schließlich zum Kampf, schlage ich endgültig die Hände über dem Kopf zusammen: Ohne jegliches Trefferfeedback muss ich eine Hitbox erwischen, die offenbar sekündlich ihre Größe verändert und manchmal gar nicht existiert. Es ist ein wildes, oftmals ruckelndes Hauen und Stechen, das wirklich nichts richtig macht. Unter solchen miserablen technischen Voraussetzungen verliert selbst der härteste Überlebenskampf ganz schnell seinen Reiz.
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