Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag von Marcus Dittmar, Autor bei Superlevel.de. Im Artikel »Gangster's Paradise - Die kulturelle Bedeutung von GTA V« beurteilt Dittmar die satirische Ausrichtung von GTA 5 kritisch. Wir empfehlen, den Superlevel-Artikel zuerst zu lesen.
Im vergangenen Jahr hat es Rockstar North wieder einmal allen gezeigt. Das schottische Entwicklerstudio hat mit Grand Theft Auto 5 nicht nur das erfolgreichste Spiel des Jahres für die heimischen Konsolen geliefert, sondern mit ihrer Gangstersimulation auch gleichzeitig eine wochenlange mediale Aufmerksamkeit erlangt, die sämtliche anderen Blockbuster der zweiten Jahreshälfte in den Schatten stellte.
Trotz des immensen Erfolges muss ich Rockstar jedoch vorwerfen, den Fuß bei der Weiterentwicklung ihrer populärsten Marke etwas zu stark vom Gas genommen zu haben. GTA 5 sieht zwar besser aus und ist deutlich umfangreicher als die bisherigen Titel der Reihe, es bietet mir jedoch darüber hinaus nicht viel mehr als Stagnation auf sehr hohem Niveau. Diese Aussage steht nun aber nicht zwangsweise in Widerspruch zu den zahlreich erzielten Traumwertungen für den letzten Ableger, weil ich diese unter Ausblendung seiner Vorgänger durchaus nachvollziehen kann.
Betrachte ich allerdings die vollständige Historie der Serie, so fügt der fünfte Teil dem erzählerischen Gesamtbild zu meinem Bedauern kaum Neues hinzu. Zu bekannt fühlt sich mittlerweile der immer gleiche parodistische Blick auf die US-amerikanische Popkultur an und zu abgenutzt wirken die unverändert penetrant bedienten Gangsterklischees auf mich.
Dieses zunehmende Verlieren in Selbstzitaten führt letztlich dazu, dass sich bei mir trotz der unbestrittenen Qualität und dem immensen Umfang von GTA 5 erste spielerische Ermüdungserscheinungen bemerkbar machen. Wer spätestens mit dem dritten Teil in seinen ersten gestohlenen Sportwagen eingestiegen ist, empfindet womöglich ähnlich, so dass sich die Frage stellt, wie lange sich das bewährte Konzept noch trägt. Vielleicht ist es also an der Zeit, neue Wege zu beschreiten, denn auch die größte spielerische Freiheit wirkt irgendwann fad und uninteressant, wenn sich ihre Rahmenbedingungen nicht spürbar verändern.
Bisher fehlte den GTA-Machern jedoch nicht nur der Mut dazu, an den Eckpfeilern des seit dem Wechsel zur Third-Person-Perspektive unveränderten Spielgefühls zu rütteln, auch die Schauplätze, die fast ausschließlich weltbekannten amerikanischen Glitzermetropolen nachempfunden sind, stellen für mein Empfinden eine zu konservative Auswahl dar. Dabei gäbe es speziell beim Setting zahlreiche spannende Alternativen, die der angestaubten Gangsterposse völlig neue erzählerische Möglichkeiten böten, ohne das grundlegende Spielfundament zu arg ins Wanken zu bringen. Städte und Regionen, die wesentlich prägnanter die Schattenseiten des American Way Of Life aufzeigen und Fans der Reihe ganz neue Blickwinkel eröffnen.
Das Amerika abseits von Hollywood und Freiheitsstatue wäre folglich ein begrüßenswerter nächster Halt, möchte man die Serie abseits von wirtschaftlichen Interessen auch narrativ weiterentwickeln. Doch auch dies muss für meine Begriffe keineswegs schon die Endstation sein. Schließlich hat Rockstar mit der London-Erweiterung zum Ur-GTA bereits bewiesen, dass das beliebte Spielprinzip auch über die US-amerikanischen Landesgrenzen hinaus funktionieren kann.
Da ich an dieser Stelle aber nicht bloß fordern, sondern auch kreative Ansatzpunkte liefern möchte, habe ich auf den folgenden Seiten meine fünf ganz persönlichen Wunschszenarien zusammengetragen. Ganz ohne Anspruch auf Umsetzbarkeit und Wirtschaftlichkeit sollen diese Beispiele zeigen, welch großes erzählerisches Potenzial die Autoren von GTA bisher brach liegen ließen und wie ich mir stattdessen die Zukunft dieser einst so bahnbrechenden Spielreihe vorstelle. Schließlich ist immer noch genügend Benzin im Tank, um sich von den ausgetrampelten Pfaden wieder zu entfernen.
Detroit
Detroit ist in vielerlei Hinsicht eines der bemerkenswertesten Beispiele für die Erfolge und die Nebenwirkungen des amerikanischen Turbokapitalismus im vergangenen Jahrhundert. Die Großstadt im Nordosten der Vereinigten Staaten galt lange Zeit als aufstrebende Metropole, nicht zuletzt durch die dortige Ballung der amerikanischen Autoindustrie, die ihr den Beinamen Motor City bescherte. Heute ist Detroit die größte Stadt des Landes, die Insolvenz anmelden musste.
Diese Achterbahnfahrt aus wirtschaftlichem Erfolg und Niedergang bietet das Spannungsfeld für die Verbreitung vielfältiger krimineller Energie, aus der auch ein möglicher GTA-Ableger seine erzählerische Kraft ziehen kann. Die Vielzahl an Drogendelikten, Raubüberfällen und vor allen Dingen die enorme Anzahl an Gewaltverbrechen bieten nicht nur einen geeigneten Nährboden für eine glaubwürdige Gangsterstory, es setzt diese gleichzeitig auch in einen Bezug zur ökonomischen Realität einer Stadt, die durch die bloße Gier seiner Drahtzieher zu Grunde gerichtet wurde. Im Gegensatz zu Los Santos gibt es hier keinen schönen Schein, hinter dem sich das Elend verbirgt. Vielmehr ist die kriminelle Karriere die einzige, die den wenigen verbliebenen Einwohnern dieser halbverlassenen Stadt noch eine Perspektive aufzeigen kann.
Die belastende Schwere, die ein solches Szenario mit sich bringt, kann durch verschiedene Aspekte ein wenig aufgelockert werden. Durch die GTA-typische Überzeichnung seiner Figuren oder etwa mit illegalen Rennen in den verlassenen Ford-Werken. Aber auch optisch und akustisch hält Detroit unter seiner bröckelnden Fassade einiges an Schönheit versteckt. Umgeben von zwei großen Seen bieten die Stadtgrenzen wunderbare, naturbelassene Rückzugsorte, wenn man der Tristheit der zerfallenen Quartiere einmal entfliehen will. Und für den Weg heraus empfiehlt sich wahlweise der berühmte Motown-Sound , Techno oder Eminem, die allesamt untrennbar mit Detroit verbunden sind.
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