Vom Papier auf den Bildschirm
Das Szenario von Cyberpunk 2077- die Stadt Night City - könnte zwiespältiger nicht sein. Hoch oben in den Wolkenkratzern feiern die Reichen rauschende Partys, lassen sich von Kellnerinnen bedienen, die offenbar zur Hälfte aus Titan bestehen, saufen im grellen Neonlicht. Aber je tiefer es nach unten geht, desto ärmlicher werden die Verhältnisse. Fensterscheiben sind eingeschlagen, Mülltonnen brennen. Menschen in zerrissener Kleidung irren umher, einige bereits auf dem Weg zum Psycho. Ihre Haut ist aufgerissen, Titan ragt daraus hervor. Suchscheinwerfer der Polizei tasten durchs Halbdunkel.
Die Entwickler erklären sich zwar zu großen Fans von Blade Runner, doch Night City basiert auf einem Hinter-grundwerk mit 4.200 Seiten. Geschrieben hat es der US-Amerikaner Michael Alyn Pondsmith, der Erfinder des Pen&Paper-Rollenspiels Cyberpunk 2020. »Wir wollen die Pen&Paper-Fans abholen, das Universum aber auch für alle anderen öffnen«, erklärt Pondsmith. Er und sein Team arbeiten Hand in Hand mit CD Projekt und integrieren viele Namen und Charaktere, die Fans bereits aus der Vorlage kennen.
Beispielsweise den Hightech-Konzern Dynalar Tech, der seine neuen Produkte mit einem weiblichen Hologramm auf der Flaniermeile von Night City bewirbt. Oder News 54, einen Fernsehsender, der in Zwischensequenzen immer mal wieder über Raubüberfälle, Morde oder Vergewaltigungen berichtet. »Die Spielwelt soll sich real anfühlen, jede TV-Sendung wird die Geschichte bereichern«, ergänzt Marcin Iwinski. Jedes Ereignis, über das die Reporter berichten, soll im Spiel auch tatsächlich relevant sein. Wenn also ein Börsen-Analyst über den sinkenden Aktienkurs des Tech-Konzerns Arasaka spekuliert, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass der Spieler da seine Finger im Spiel hatte.
Ein lupenreines Rollenspiel
Wie bei The Witcher soll auch die Handlung von Cyberpunk nicht komplett linear verlaufen und mehrere Handlungsstränge umfassen. Night City ist zudem frei begehbar, ein Abenteuer-Sandkasten voller Nebenquests und Shops, in denen man neue Upgrades für Waffen und den eigenen Körper kaufen kann. Gemäß der Vorlage soll Cyberpunk 2077 zudem keine seichte Schnetzelorgie werden, sondern ein lupenreines Rollenspiel. So gibt's im Pen&Paper-Original neun Klassen, die sich komplett vom Genre-Standard verabschieden. Ingenieure, Soldaten oder Meuchelmörder findet man nicht; stattdessen kann man sich entscheiden, als Polizist für Recht und Ordnung zu sorgen; als Journalist die Wahrheit über die Megakonzerne herauszufinden; als Rockerboy den Revoluzzer zu mimen, der mit lauter Musik gegen die Oberschicht pöbelt; oder als »Netrunner« reiche Firmen um ihr Vermögen zu hacken.
Das blutet geradezu Potenzial für vielfältige Lösungswege à la Deus Ex. Um den Protagonisten macht CD Projekt übrigens noch ein Geheimnis, verrät aber schon mal, dass in den gezeigten Szenen der Max-Tac-Polizist Hammerman die ausgerastete Frau vor seinen Kollegen rettet und für sein Team rekrutiert. Erinnert sie ihn vielleicht an seine Tochter Belinda? Die ist nämlich pikanterweise ein Star im Geschäft der Brain-Dance-Filme. Wir werden also mit hoher Wahrscheinlichkeit entweder Hammerman selbst spielen - oder die unlängst gerettete Frau.
Krise, Kollaps, Chaos
Die Vorgeschichte von Cyberpunk 2077 beginnt bereits anno 2020. In diesem Jahr erschütterte eine Wirtschaftkrise die Welt, die US-Regierung konnte ihr Militär nicht mehr finanzieren und lagerte die nationale Sicherheit an private Söldnerfirmen aus. Polizei und Nationalgarde werden gleichgeschaltet und sämtliche Kontrollmechanismen fallen weg.
Das Resultat: Konzerne teilen die Stadt wie Verbrechersyndikate unter sich auf. Und wie das mit der Macht nun mal so ist, können die Mächtigen gar nicht genug davon haben. Die »Mächtigen«, das sind in diesem Fall der US-Rüs-tungskonzern Militech, der unter anderem die Polizeieinheiten für die Night City stellt, sowie das japanische Hightech-Konsortium Arasaka, dessen CEO gerne Japan als alleinige Weltmacht etablieren möchte.
Als die Unternehmen beginnen, sich gegenseitig Killer auf den Hals zu hetzen, mutiert die Angelegenheit zum Krieg. Dabei werden laut Chefautor Pondsmith sogar kleine taktische Bomben eingesetzt, um dem Gegner ein Labor oder gleich das ganze Hauptquartier unter den Füßen weg zu sprengen. Schon bald stapfen gewaltige Mechs in der Größe eines AT-AT-Walkers aus Star Wars durch die Straßen von Night City. Die Zivilbevölkerung leidet, kann aber nichts dagegen ausrichten.
Hacker, die sich wiedersetzen und versuchen, die dunklen Machenschaften aufzudecken, werden festgenommen und hingerichtet. Auch die Brain-Dance-Technologie spielt den Konzernen in die Hände, denn so merken viele Bewohner erst gar nicht, was da eigentlich passiert, weil sie in ihrer Traumwelt ohnehin das Leben eines anderen führen. Wie gesagt, durch Cyberpunk weht mehr als nur ein Hauch Syndicate. Nur dass wir die Gehirnchip-Welt diesmal nicht in einem Taktik-, sondern in einem waschechten Rollenspiel erleben.
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