Denken wir an Remedy Entertainment, dann denken wir an Alan Wake und Max Payne. Wir denken an Shooter mit oft mystischen Geschichten und spannenden Charakteren, die noch lange nach dem Abspann im Gedächtnis bleiben.
Mit dem Action-Adventure Control möchte der finnische Entwickler nicht nur an diese Stärken anknüpfen, sondern sogar mit weniger Budget noch einen Schritt weiter gehen. Anstatt "nur" auf einen klassischen Third-Person-Shooter zu setzen, wirft Remedy noch etwas Metroidvania in den Genre-Mix und versucht so neue Wege zu gehen.
Dabei verirrt sich das Studio aber in den eigenen Ambitionen und lässt alte Stärken auf der Strecke.
Blitzbeförderung
Dabei wirkt die Story eigentlich recht vielversprechend: In Control geht es um Jesse Faden, die es auf der Suche nach ihrem verschwundenen Bruder in den Hauptsitz des FBC (Federal Bureau of Control) zieht, einer Organisation, die sich mit allerhand übernatürlichen Phänomenen aus anderen Dimensionen beschäftigt und im sogenannten "Ältesten Haus" residiert.
Wie der Name schon andeutet, handelt es sich bei dem Betonbunker um kein normales Bürogebäude, sondern ein Zentrum für übernatürliche Energie, in dem es nicht mit rechten Dingen zugeht. Frisch im Schauplatz des Geschehens angekommen wird schnell klar: Normalität hat es hier nicht durch den Sicherheitscheck geschafft.
Schon nach wenigen Schritten beobachten wir, wie sich das Porträt des FBC-Leiters an der Wand urplötzlich in das Ebenbild von Jesse verwandelt. Bevor wir lange darüber nachdenken können, was es damit auf sich hat, ertönt ein Schuss und wir erhalten unsere Antwort: Der Direktor des FBC hat sich das Leben genommen und indem wir seine Waffe an uns nehmen, bekommen wir auch gleich seinen Job.
Nun liegt es an uns, uns um das ominöse "Zischen" zu kümmern, einen Alien-Virus, der Besitz von den Angestellten des FBC ergriffen hat, sie gedanklich manipuliert und auf Jesse hetzt. Die ehemals friedlichen Arbeiter greifen uns fortan fliegend auf Bürostühlen, sprintend als bei Berührung explodierende Bomben oder mit herkömmlichen Waffen an.
Hä, was?
Diese ersten, verwirrenden Momente sind ein bisschen sinnbildlich für die Art, wie Control mit seiner Geschichte und seinem Worldbuilding umgeht: Jede Antwort wirft weitere Fragen auf, die aber entweder gar nicht oder nur durch zahlreiche Sammelobjekte in Form von Akten, Tonbändern und TV-Aufzeichnungen beantwortet werden.
Diese Art des Erzählens ist gerade in Story-Shootern nicht unbekannt und besonders seit BioShock ein beliebtes Element. Der große Unterschied ist, dass sich der Shooter von Irrational Games nicht komplett auf Audiologs und Co. verlässt, um seine Geschichte zu erzählen. BioShock ergänzt seine bereits runde Story durch diese zusätzlichen Informationen und macht seine Welt so noch besser greifbar.
Control hingegen lagert einen Großteil des Storytellings auf optionale Elemente aus und erwartet, dass wir unseren Spielfluss unterbrechen, um uns selbst die Story zusammen zu puzzlen. Wer das nicht macht, wird große Probleme haben, das Spiel überhaupt zu verstehen.
So wird aus "surreal" schnell "egal", denn diese Zwangsentschleunigung schadet letztlich nicht nur der Story selbst, sondern auch dem Spielfluss und damit dem Spaß.
Das Schweizer Taschenmesser in Form einer Waffe
Und Spaß haben wir in Control dank des tollen Kampfsystems durchaus. Zwar steht uns lediglich Jesses neue Dienstwaffe zur Verfügung, die kann im Verlauf des Spiels allerdings unterschiedliche Formen annehmen. Aus einer gewöhnlichen Pistole wird so per Knopfdruck eine Art Schrotflinte, eine kleine Minigun oder ein Lasergewehr, mit dem es auf große Distanzen ordentlich kracht.
Während der Geschichte und durch die Erkundung des Gebäudes, finden wir zudem Modifikationen für unser Einwaffenarsenal. Über die gewöhnlichen +20 Schaden oder beispielsweise eine Steigerung der Feuerrate gehen diese aber nicht hinaus. Hier wäre noch deutlich mehr Raum für verrückte Vielfalt gewesen, speziell da Control mit dem Übernatürlichen spielt, in diesem Punkt dann aber sehr konservativ agiert.
Den vermeintlichen Mangel einer Waffenauswahl kompensiert Jesse durch eine Handvoll spaßiger Fähigkeiten, die das Gameplay immens auflockern. So schmeißt die frischgebackene FBC-Leiterin zum Beispiel per Psy-Schlag ihre Feinde durch den halben Raum, lässt Gegenstände via Telekinese schweben und nutzt sie als Geschosse oder fliegt einfach selbst durch die Lüfte.
Technik-Check:
Bei unserem Test auf der PS4 Pro und der Xbox One X hatten wir abseits kleinerer Bugs und relativ langen Ladezeiten keine Probleme. Die Framerate blieb selbst beim größten Effektfeuerwerk stabil und die Optik scharf. Darüber hinaus glänzt Control mit tollen Lichteffekten.
Ganz anders sieht es jedoch bei den Standard-Versionen der PS4 und der Xbox One aus. Hier berichten Spieler aktuell über teils große Probleme.
- Starke Einbrüche der Framerate bis zu 10fps, was sich auf der PS4 am deutlichsten bemerkbar macht
- Einfrieren des Bildes für 1-2 Sekunden, überwiegend auf der Xbox One S
Starre Gesichter und grausame Synchro:
Auch was die Figuren anbelangt, merken wir Remedy das fehlende Budget deutlich an. Die Charaktere wirken steif und leblos. Hinzu kommt eine deutsche Synchro, die uns immer wieder aus dem Spielfluss gezogen hat, was vor allem am fehlenden Lip-Sync liegt.
Das Kampfsystem, das Stück für Stück mit neuen Waffen-Optionen und Fähigkeiten erweitert wird, motiviert, macht Laune und sieht dank Effekt-Gewitter im Kampf erstklassig aus. Doch auch die beste Action wird auf Dauer monoton, wenn einem alle zwei Räume eine Mischung aus vier Gegnertypen begegnen und die Hauptmissionen außer "Laufe von Punkt A nach Punkt B" kaum Abwechslung bieten.
Die Rätsel nach Schema F (Ordne Zeichen in der richtigen Reihenfolge an, Stelle Objekte an den richtigen Platz, …) können daran auch nicht viel ändern.
Wer wagt, gewinnt leider nicht immer
Kommen wir zu der vielleicht spannendsten Neuerung für Remedy-Fans: dem Metroidvania-Ansatz von Control. Das Älteste Haus erschließt ihr mit Jesse via Tür-Sicherheitskarten unterschiedlicher Stufen, die ihr im Verlauf der Geschichte nach und nach sammelt.
Der neue Ansatz funktioniert aber nur bedingt, was sich im Kern auf drei Probleme herunterbrechen lässt:
- Balancing: Der Kampf gegen das Zischen fordert den Spieler schlichtweg zu wenig. Eine Anpassung durch das Fehlen verschiedener Schwierigkeitsgrade ist nicht möglich. Somit entfällt auch die Notwendigkeit, weitere Gebiete nach benötigten Verbesserungen zu durchforsten
- Belohnungen: Wenn wir bereits bekannte Gebiete noch einmal besuchen müssen, dann sollte das in Form von nützlichen Hilfsmitteln, die uns im Kampf einen Vorsprung geben, belohnt werden. Abseits von weiteren Story-Fragmenten gibt es jedoch nur Modifikationen für eure Waffe oder Perks für Jesse selbst, die dank Punkt 1 nicht wirklich relevant sind.
- Optische Monotonie: Das Älteste Haus offenbart Bereiche, die unsere Welt wortwörtlich auf den Kopf stellen, verrückt und surreal wirken: schwebende Leichen und eine Innenarchitektur, die sich vor euren Augen bizarr verformt, als Beispiel. Das sind die Momente, in denen Control begeistert. Allerdings sind diese Stellen zu selten. Ewig gleiche Büroräume reihen sich aneinander, glatte Betonmassen im Stile des Brutalismus türmen sich vor uns auf - immer und immer wieder. Diese visuelle Eintönigkeit sieht nicht nur langweilig aus, sie schmälert auch zusätzlich den Drang nach Erkundung, der dank schlechtem Balancing und mauen Belohnungen sowieso auf ein Minimum reduziert wird.
Mit dem Metroidvania-Ansatz und der Abkehr der vertrauten Linearität hat Remedy zwar eine Menge gewagt, komplett aufgehen will die Rechnung am Ende allerdings nicht. Und das ist gerade in Anbetracht der Vergangenheit des Studios und des Potenzials der Idee von Control unglaublich schade.
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