Es ist ein umkämpfter Spiele-Herbst: Mit Battlefield 1, Titanfall 2 und Call of Duty: Infinite Warfare streiten sich gleich drei teuer produzierte Shooter um die begrenzte Zeit und Geldbeutelkapazitäten ihrer Zielgruppe. Diese Situation erscheint wie ein riesiges Dilemma, immerhin lockt jeder dieser Titel mit einem ganz eigenen Schauplatz: Die Schlachtfelder des Ersten Weltkrieges, die planetaren Konflikte einer bionisch modifizierten Menschheit und der Hochgeschwindigkeitskampf zwischen gigantischen Titanen und ihren Piloten stehen zur Auswahl.
Mit einer etwas anderen Linse betrachtet lässt sich dieser Entscheidungskonflikt allerdings deutlich einfacher auflösen: Battlefield 1 scheint sich als das einzige Spiel dieses Trios herauszukristallisieren, das die Grenzen des eigenen Genres hinter sich gelassen und endlich das moderne Kriegsspiel aus der Taufe gehoben hat. Diese Entscheidung sollte belohnt werden, denn der Preis dafür ist hoch — und wir beginnen ihn schon jetzt zu zahlen.
Ein modernes Kriegsspiel - im Ersten Weltkrieg?
Battlefield 1 als modernes Kriegsspiel zu bezeichnen, mag auf den ersten Blick reichlich seltsam klingen, denn visuell ordnet sich der neueste Shooter von Dice makellos in die weltkriegerische Einheitssuppe des Genres ein: Viel Matsch, düstere Farben, überholtes Waffeninventar, klare Feindbilder. "Boots on the Ground", am Boden geblieben, so werden Kriegsspiele wie diese lobend von den eigenen Entwicklern beschrieben - nicht zuletzt auch als Abgrenzung zu den oft überladen wirkenden Gadget-Paradiesen der SciFi-Shooter. Nein, die eigentliche Modernisierung hat woanders, an einer viel spannenderen Stelle und weit weg vom Design der Schlachtfelder eingesetzt.
Dom Schott (@R3nDom):
Zu Doms liebsten Genres gehören Shooter und er ließ kaum einen großen Titel aus. Mit Battlefield 1 haben sich nun aber erstmals die Regeln des Shooter-Multiplayers geändert und während diese Weiterentwicklung durchaus ein Fortschritt für Videospiele als Medium ist, fürchtet Dom, dass wir die Folgen dieser neuen Art der Online-Kämpfe auf unser Spiel- und Sehverhalten bisher kaum abschätzen können.
Unter den vielen Genres, die die Videospielkultur heute kennt, sind es die Shooter, die ganz besonders gerne die klassische Zweiteilung von Cutscene und Gameplay einsetzen. Diese Kombination oder Balance hat sich immerhin als stromlinienförmige Möglichkeit zum Aufbau eines Spiels bewährt: In Zwischensequenzen kann die Geschichte vorangetrieben, Charaktere vorgestellt und weiterentwickelt werden. Die Gameplay-Abschnitte bieten dann die notwendige Erholung von den Monologen und Dialogen, die grummelige Veteranen untereinander ausgetauscht haben - hier schießen, werfen, kämpfen und ducken wir uns über die Schlachtfelder, bis wieder die nächste Gesprächssequenz startet.
Diese Zweiteilung, die die Einzelspielermissionen der Call of Duties und Battlefields dieser Welt in klare Abschnitte gegliedert, hat auf die Multiplayer-Modi dieser Spiele eine weitreichende Konsequenz: Losgelöst von allen Zwischensequenzen, die im Einzelspielermodus das Geschehen noch in einen Kontext einbetteten, treten hier nun zwei Teams in fast sportlicher Manier gegeneinander an und streiten um die höchste Punktzahl, die als Eroberungspunkte oder Abschüsse verkleidet sind. Auf diesen Schlachtfeldern herrscht trotz der Waffengeräusche und Level Up-Melodien eine seltsame Stille.
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Battlefield 1 setzt ausgerechnet hier im Multiplayer zu einer ganz neuen Inszenierung eines Schlachtfeldes an, die sich mit all ihren Facetten erst nach zwei, drei Spielrunden zu erkennen gibt: Die Kämpfe in Suez, St. Quentin, Monte Grappa & Co. haben nichts von einem sportlichen Aufeinandertreffen zweier Teams - sie sind interaktive Dramen, die gleichzeitig und überall auf dem Schlachtfeld geschrieben und erzählt werden. Und dahinter steckt kein Zufall, sondern die bewusste Absicht des Entwicklerteams, die uns auf jedem Zentimeter daran erinnern will, dass wir uns in einem Krieg befinden. Und das ist für Videospiele etwas ganz neues.
Die Soundkulisse - Mehr als nur Hintergrundgedudel
Glauben wir den Reviews, so ist sich die Spielepresse weltweit einig: Die Soundkulisse von Battlefield 1 ist "atmosphärisch" - ein Adjektiv, das seit Jahren fest mit dem Franchise verwachsen zu sein scheint. Und ja, die Spiele dieser Reihe sind wirklich außerordentlich gut vertont: In Battlefield 4 hallen unsere Füße entlang der Hochhausschluchten und in Star Wars: Battlefront klingen die AT-ATs genauso wie im Film.
Doch wer auch Battlefield 1 genau diesen vielbenutzten Atmosphäre-Stempel aufdrückt, unterschlägt dabei völlig, wie sich der Geräuschpegel der Schlachtfelder weiterentwickelt hat. Es geht nun nicht mehr darum,wie etwas klingt - sondern auch, was überhaupt zu hören ist: Gefallene Soldaten schreien nun nicht mehr nur ein lautes "AAH!" und "OOH!", sondern rufen verzweifelt nach ihrer Mutter oder ihrer Familie. In Amiens sind weinende Kinder zu hören, wenn wir entlang einiger verbarrikadierter Häuser schleichen und am Suez-Kanal mischen sich die Geräusche kläglich jaulender Hunde unter das Schlachtentreiben.
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Den Gegensatz zu diesen hintergründlichen Geräuschen und den allesamt kehlig, fast heiser gerufenen Befehlen der Soldaten bildet das mechanische Rattern der Waffen, die sich wie ein dichter Klangteppich über die hörbare Verzweiflung und den Überlebenskampf der Soldaten legt:
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Das Ergebnis dieser "sprechenden" Soundkulisse ist in der Tat eine dichte Atmosphäre, die allerdings über das bloße Nachstellen von Geräuschen hinausgeht: Sie inszenieren die Schlachten, unterfüttern sie mit fast persönlichen Geschichten und vertonen die Wirkung unserer Kämpfe über die Abschuss-Bonuszahlen hinaus. Ich habe mich schon lange nicht mehr so schlecht dabei gefühlt, auf virtuelle Soldaten zu schießen.
Diese Personalisierung der Multiplayer-Schlachten ist eine echte Weiterentwicklung, die zum neuen Standard des modernen Kriegsspiels werden könnte - doch dieser Fortschritt kommt mit einem hohen Preis daher, nämlich der nur schwierig zu beantwortenden Sinnfrage, wo die Grenzen des Realismus verlaufen und ob wir diese möglicherweise bereits überschritten haben.
Denn dieser neuen, durch die Soundkulisse so überzeugend inszenierten Multiplayer-Schlachten fehlt nun plötzlich eine erklärende Einordnung, die in klassischen Multiplayer-Shootern bisher nie notwendig war: Wir werfen nun Senfgasbomben auf Soldaten, die keuchen, sterben und dabei nach ihrer Mutter rufen - doch wo nun in einer Einzelspielermission eine Cutscene etwa diese Szenen kritisieren, kommentieren oder irgendwie sonst verarbeiten würde, werden wir im Multiplayer stattdessen mit Punkten belohnt. Wir wiederholen diese Vorgänge immer und immer wieder und trivialisieren damit die verheerenden Szenen.
Die Folgen dieser unausweichlichen Enthemmung unserer Sehgewohnheiten? Kaum abzuschätzen, zumindest langfristig. Mittelfristig hingegen können wir einen Effekt dieser Verrohung bereits wahrnehmen: Die Art und Weise, wie bestimmte Spiele beworben wird, verändert sich mit unseren immer weiter zurückgehenden Hemmschwellen. Wie Kollege Micha richtig kritisiert, ist Splatter oder zur Schau gestellte Gewalt schon lange eines der beliebtesten Trailer-Elemente, um Spiele zu bewerben.
Damit verändert sich unser Bild von Videospielen unweigerlich. Dass wir die daraus zwangsläufig resultierenden Langzeitfolgen noch kaum absehen können, sollte uns in der Tat zum Nachdenken bringen - denn Fortschritt, wie wir ihn bei Battlefield 1 gesehen haben, fordert früher oder später immer einen Preis, dessen Ausmaße wir heute nicht einmal erahnen können.
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