Mit düsteren Bildern bereitet Entwicklerstudio Monolith Soft im toll inszenierten Introfilm von Xenoblade Chronicles 3 die Spieler*innen gut auf die Fortsetzung vor, da sie die humoristische Note des zweiten Teils fast komplett unter Kriegstrümmern begräbt. Aufgewogen wird das von fantastisch aufbereiteter, packender Gesellschaftskritik, allerdings ergibt sich unter dem Strich der Eindruck, dass die Entwickler*innen nicht so recht wussten, wohin mit all ihren Ideen. Und das kann besonders mit Blick auf das Kampfsystem des Action-Rollenspiels fordernd werden.
Der ewig währende Krieg
Zeitlich ist Xenoblade Chronicles 3 nach den ersten beiden Teilen angesiedelt und spielt in der durch Konflikte zerrissenen Zukunftswelt von Ainos. Hier bekämpfen sich die hochtechnologisierten Nationen Keves und Agnus in einem permanenten Krieg, aber aus anderen Gründen, als sie den meisten militärischen Schlachten zugrunde liegen.
Die in schwarze und weiße Kampfmonturen gehüllten Parteien bekriegen sich nämlich nicht freiwillig, sondern sind aufgrund eines perfiden Feueruhren-Systems dazu gezwungen. Der Gang der Feueruhr, so wird es den Bürgern erklärt, sei unabdinglich für den Fortbestand ihrer Nation. Gleichzeitig verlangt das gängelnde Zeiteisen aber ständig nach der roten Lebensessenz des Gegners, sodass sich Keves und Agnus regelmäßig auf dem Schlachtfeld begegnen müssen.
So kämpfen die Soldatinnen und Soldaten um zu leben, und sie leben um zu kämpfen – zehn ganze Jahre lang. Danach treten sie die sogenannte Heimreise an, bei der sie sich im Rahmen einer feierlichen Zeremonie durch den Klang einer magischen Flöte sprichwörtlich in Luft auflösen. Verkauft wird das den Gläubigen als Belohnung, als Erlösung – doch ein paar Keveaner (allen voran Noah) beginnen, ihre kurze Lebensspanne wie auch das Wohlwollen der Königin zu hinterfragen.
Hier gibt's den Test in Videoform:
Weit mehr als nur eine Rebellion
Im Kern erzählt Xenoblade Chronicles 3 eine wendungsreiche Geschichte um einen Aufstand gegen die Obrigkeit, sodass es bei den meisten Hauptquests darum geht, die Feueruhren in den militärischen Kolonien zu zerstören. Gleichzeitig zitiert die Story aber auch kräftig aus dem Filmklassiker "Enemy Mine: Geliebter Feind" und lässt außerdem die Wurzel des Bösen in so dunkle Tiefen wachsen, dass diese Rebellion getrost als einzigartig bezeichnet werden kann.
Eine wichtige Rolle spielen natürlich die sechs Hauptfiguren, eine ungleiche Truppe aus verfeindeten Keveanern und Agnianern, die notgedrungen zusammen kooperieren müssen. Auf der einen Seite stehen Noah, der taffe Machina Lanz und die Hochentiarin Eunie; auf der anderen die rechtschaffene Mio (mit Katzenohren!), die schlagkräftige Klinge Sena sowie der introvertierte Taktiker Taion. Für Spannung sorgt nicht nur die Annäherung der beiden unversöhnlichen Trios, sondern auch die schrittweise Enthüllung ihrer komplexen Hintergründe im Einklang mit der Story.
Flötende Wegweiser
Sowohl der Keves-Soldat Noah als auch die Agnus-Kämpferin Mio sind Wegweiser. Das heißt, dass sie den Seelen gefallener Soldaten mittels einer magischen Flötenmelodie den Weg zur Ruhe weisen können. Dieser "Job" spielt auch in der Spielwelt eine gewisse Rolle. Wann immer wir mit Mio und Noah auf Soldatenhüllen (die heißen wirklich so) treffen, lassen wir die beiden per Tastendruck ihre Arbeit tun. Dadurch vertieft sich ihre Harmonie mit den Kolonien, in welchen die Verblichenen Dienst taten. Als Belohnung erhalten wir nach und nach zusätzliche Dialogmöglichkeiten, die manchmal auch neue Nebenmissionen freischalten.
Mit der Haupthandlung sind auch einige der kurzweiligen Nebenquests verwoben. Hier befragen wir zum Beispiel NPC-Händler zur Erstellung eines Handelsregisters, oder wir geben einem Maschinenbauer in Nöten schlagkräftig Geleitschutz. Zudem können wir im Rahmen von erzählfreudigen Heldenmissionen vorübergehend Schützenhilfe für unsere Party gewinnen. Und ja, auch Sammelquests begegnen wir zuweilen, doch die sind dank der innovativen Kollektikon-Karten kaum lästig.
So dürfen wir Anfragen nämlich direkt im Inventar annehmen und durch das Anhaken von Checkboxen bequem "abgeben". Alles in allem beeindruckt der erzählerische Teil von Xenoblade Chronicles 3 durch eine kreative Schönheit, wie sie so nur selten anzutreffen ist. Leider laufen die bombastisch inszenierten Filmsequenzen mit Spielzeiten von bis zu zwölf Minuten aber Gefahr, diejenigen zu vergraulen, die hauptsächlich ein gutes Action-Rollenspiel zocken wollen. Noch dazu liegen zwischen den Filmen manchmal nur wenige Sekunden – und sie zu überspringen bedeutet, den Großteil der von guten englischen Sprechern vertonten Handlung zu verpassen. Englische Sprecher, wohlgemerkt, denn eine deutsche Vertonung hat man sich gespart. Bei Bedarf lassen sich aber deutsche Untertitel zuschalten.
Heute Kleriker, morgen Damage Dealer
Den Fokus legt Xenoblade Chronicles 3 nicht nur auf die außergewöhnliche Geschichte, sondern es darf auch ausgiebig gekämpft werden. Bei dem "wie" habt ihr erfreulich viele Freiheiten, die damit beginnen, dass sich ab dem zweiten Story-Kapitel jedes der bis zu sechs Party-Mitglieder im Kampf steuern lässt.
Besonders interessant ist, dass Noah und Co. ab dem dritten Kapitel jederzeit die Charakterklasse wechseln können. Davon stehen in drei Kategorien ganze 23 zur Wahl, etwa Verteidiger (Zephir, Mächtige Wache), Angreifer (Schwertkämpfer, Oger) und Heiler (Heilschütze, Taktiker). Der Großteil der Klassen steht jedoch nicht sofort zur Verfügung, sondern muss durch das "Meistern" vorhandener Klassen freigeschaltet werden. Im Prinzip heißt das: Prügeln bis der höchste Klassenrang erreicht ist. Alternativ lässt sich der Rang aber auch mittels unterwegs gefundener Nopon-Münzen erhöhen.
Natürlich beherrscht jeder Klassentyp mehrere spezifische Spezialtechniken. Mächtige Wachen können Gegner zum Beispiel umwerfen oder deren Wut auf sich ziehen, Taktiker verringern die Äther-Abwehr der Feinde und heilen die Party durch Techniktreffer, und Schwertkämpfer beherrschen Konterangriffe oder richten per "Bodenhieb" großen Flächenschaden an.
Schön ist, dass jede Klasse auf die Spezialtechniken der anderen zugreifen darf. Wenn auch mit entsprechenden Einbußen beim Schadenspotenzial, bei der Heilkraft, der Abwehrfähigkeit und so weiter. Wie sinnvoll es wäre, eine native Heilschützin wie Eunie zur Schwertkämpferin umzufunktionieren, darüber lässt sich streiten. Das offene Klassensystem eignet sich aber prima dazu, die Fähigkeiten eines Charakters an die eigenen Bedürfnisse anzupassen. Außerdem macht es viel Spaß, mit all diesen Möglichkeiten frei herumzuexperimentieren. Allein an den Charakterattributen wie Heilkraft oder Geschick können wir nicht schrauben – sie werden bei jedem Stufenaufstieg automatisch erhöht.
Spezialkommandos bis der Kopf raucht
In Sachen Freiheiten stehen die Scharmützel dem Klassensystem nicht nur nicht nach, nein, sie bombardieren uns geradezu mit taktischen Möglichkeiten und Technikverkettungen. Aber eines nach dem anderen: Wer die ersten beiden Ausgaben von Xenoblade Chronicles gespielt hat, wird sich im dritten Teil schnell warmgeprügelt haben. Denn auch hier bewegen wir die jeweilige Hauptfigur in Echtzeit auf einen Gegner zu und greifen ihn in festen zeitlichen Intervallen automatisch an.
Diese eher schwachen Standardattacken lassen sich um die eben erwähnten Spezialtechniken ergänzen, wobei Cooldown-Zeiten verhindern, dass wir dieselbe Technik gleich noch einmal einsetzen. Das war es allerdings noch lange nicht! So können wir durch genau getimte Angriffe komplexere Kombinationen auslösen, durch bestimmte Angriffsmuster Techniken miteinander verketten, Spezialattacken miteinander fusionieren (sodass sich eine neue Spezialtechnik ergibt), die Ausführung von Angriffen beschleunigen, indem wir Techniken an Auto-Attacken oder Spezialtechniken an Techniken reihen, und ... stopp! Na, merkt ihr es schon? Richtig: Das Kampfsystem bietet uns so viele Feinheiten und Optionen, dass wir am Ende nicht einmal die Hälfte davon behalten, geschweige denn anwenden.
Daran ändern auch die gefühlt im Minutentakt aufpoppenden Tutorials nichts – trotz präziser Erklärungen. Es gibt uns nämlich schon genug zu tun, der Gruppe taktische Kommandos wie "Alle mein Ziel angreifen" zu erteilen oder an wechselnden, markierten Positionen Rollenaktionen auszuführen, um so den verursachten Schaden zu erhöhen.
Wirklich cool ist dagegen, dass jeweils zwei Hauptfiguren zu riesigen Ouroboros (mit Spezialtechniken!) fusionieren können. Diese "Superhelden" erinnern ein wenig an die Power Rangers und sind besonders in Bosskämpfen gefragt. Es sind im Übrigen auch die Ouroboro-Formen, die als einzige von den sechs Talentbäumen mit je 34 Perks profitieren. In ihrer normalen Form verfügen unsere Heldinnen und Helden nur über jeweils vier bis sechs passive Talente, darunter erhöhte Agilität, kritische Trefferrate und Ausweichchance.
Doch was heißt das alles nun unter dem Strich? Fest steht, dass kein Widersacher des Spiels das gebotene Übermaß an taktischen Finessen erfordert. Wer sich aber gern in ausufernde Kampfsysteme verbeißt, der bekommt hier Stoff für etliche Sitzungen und wird spätestens auf dem höchsten der drei Schwierigkeitsgrade ordentlich gefordert. Anfänger hingegen können die bisweilen episch präsentierten Schlachten per Autokampffunktion ausfechten lassen.
Die Switch von ihrer schönsten Seite?
Auch an der halboffenen Spielwelt von Xenoblade Chronicles 3 merken wir, dass das Entwicklerteam keinen Aspekt des mindestens 50 Stunden langen Rollenspiels vernachlässigen wollte. Hier wechseln vermeintlich öde Felslandschaften und oasenähnliche Landstriche mit traumhaft hübschen Wasserfällen einander ab.
Vermeintlich öde, weil selbst die kargsten Winkel von Ainos gelegentlich zum Stehenbleiben animieren – beispielsweise mit einem Ehrfurcht gebietenden Ausblick auf einen bizarr geformten Gebirgszug. Zu den Sehenswürdigkeiten zählen ferner die eher wenigen, stählernen Militärkolonien. Dort erfahren wir aus Gesprächen mit NPCs weitere Details zum Story-Geschehen, oder wir können einen Lauschangriff starten, um so die eine oder andere Nebenmission zu triggern.
Übrigens dürfen wir die Welt sowohl zu Fuß als auch schwimmend erkunden, und das im Handheld-Modus der Switch auch weitgehend flüssig. Am TV geht die Framerate aber merklich in die Knie, außerdem bekommen wir auf dem großen Bildschirm vereinzelt Matschtexturen zu Gesicht.
Wiederum erfreulich ist, mit wie vielen originell gestalteten Monstern die springlebendige Welt vollgestopft ist. Wir begegnen obskuren Kreuzungen aus Giraffen und Pferden genauso, wie dinosaurierartigen Igeln und muffig dreinschauenden Kampfrobotern jeder Größe. Einige davon sind untereinander in Zufallskämpfe verwickelt, bei denen wir Partei ergreifen und so zusätzliche Belohnungen kassieren können. Zuletzt wären da noch die turmhohen Gebietsbosse, die bei der ersten Begegnung bis zu 70 Stufen über uns liegen. Ihnen ist nur mit optionalem Grind (sprich: aufleveln) beizukommen.
Neben Lagerfeuern, die gleichzeitig als Speicher- und Schnellreisepunkte sowie Handelsorte fungieren, finden wir in den weitläufigen Arealen noch sogenannte Ferronis-Wracks. Indem wir die verrosteten Anlagen reaktivieren, erhalten wir Zugriff auf Minifabriken, mit deren Hilfe sich gesammelte Materialien zu nützlichen Items verarbeiten lassen. Ähnliches tut die an Rastpunkten verfügbare Juwelenschmiede, jedoch beschränkt sich ihr Output auf ausrüstbare Juwelen mit 20 unterschiedlichen Charakter-Boosts.
Die (über-)volle Rollenspielpackung
Im Bereich der Action-Rollenspiele ist Xenoblade Chronicles 3 ein einziger, besonders schmackhafter Hauptgang. Für den muss man allerdings bereit sein, weil hier in allen Bereichen – besonders beim Filmteil und dem Kampfsystem – maximal und darüber hinaus aufgetischt wird. Wer sich aber durch Film-Exzesse und verrückt viele Möglichkeiten im Kampf (mit angebundenem Tutorial-Overkill, der schnell ermüden kann) nicht abschrecken lässt, wird mit einer erstklassig ausgedachten Rebellen-Story, einem hochgradig motivierenden Klassensystem und einer faszinierenden SciFi-Spielwelt belohnt, die die Switch an ihre technischen Grenzen bringt.
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