Überleben auf der Insel
Neben dem Konsum von Freude will das Spiel euch auch dazu bringen, Schlafbedürfnis, Hunger und Durst im Auge zu behalten. Seid ihr beispielsweise hungrig, habt ihr weniger Ausdauer zur Verfügung, ohne eine ordentliche Mütze Schlaf kämpft ihr nicht mehr so effektiv. Wichtig zu wissen: Weder Getränke, noch Nahrung lassen sich herstellen, beides müsst ihr in der Spielwelt einsammeln und so im Zweifelsfall den Spielfluss unterbrechen.
Ignoriert ihr eure Unterversorgung, ist das aber weitaus weniger kritisch als noch in der Early-Access-Version, da ihr auch völlig unterernährt gut zurechtkommt und ihr im Normalfall auf die Buffs, die euch ein voller Bauch gewährt, verzichten könnt. Außerdem hindert euch die ständige Suche nach Wasser, nicht verfaulten Lebensmitteln und einem Plätzchen für ein Nickerchen ohnehin eher daran, die Spielwelt in all ihren Nuancen aufzusaugen.
Denn We Happy Few funktioniert am besten, wenn es sich auf die herausragende Story und die vielen kleinen Nebenaufgaben konzentriert. Dann scheint auch jede Menge schräger Humor der Marke Monty Python durch. So begegnet ihr beispielsweise einem Süßkartoffel-Kult, müsst euch mittels psychedelischer Pilze die Gehirnwindungen reinwaschen und einer Sekte auf die Spur kommen, oder einem verschrobenen Baumhausbewohner seine Lieblingspuppe zurückbringen, die er für den größten Geheimagenten aller Zeiten hält.
Hinter den Masken
Was zunächst so klingt, als würde es nicht in die Welt von We Happy Few passen, ist beim zweiten Blick absolut logisch. Denn das gesamte Spiel ist ein kaum verhohlener Kommentar auf die menschliche Psyche, den Überwachungsstaat und den Mantel des Schweigens, der gerne über unangenehme Dinge gelegt wird - eine Problematik, die auch abseits fiktiver Paralleluniversen in einer Zeit von selbst aufgebauten Filterblasen im Netz aktueller denn je ist.
Diesen kritischen Blick auf den Umgang mit Trauer und Verdrängung lässt Compulsion Games gerade im Kontrast zwischen den unterschiedlichen Bewohnern der Inseln durchscheinen. Streift ihr durch die heruntergekommenen Örtchen auf den Inseln der Freudlosen, lamentieren die NPCs beispielsweise immer über Entscheidungsfreiheit und Kontrollverlust, während sich die von Freude beeinflusste Bevölkerung in den quietschbunten Gässchen der Hauptinseln lieber über Zirkusse und tolle neue Kuchenrezepte unterhält.
Diesen Zwiespalt zwischen Konformität und freiem Willen spürt ihr auch im Laufe der Geschichte immer wieder deutlich. Der schüchterne Brillenträger Arthur sowie Sally und Ollie sind keine typischen Helden, sondern handeln oft aus selbstsüchtigen Motiven und liegen im Clinch mit sich selbst - auch wenn sie durchaus des Öfteren Reue zeigen. Und dann wären da noch die wichtigen NPCs, die ihr im Laufe der Geschichte trefft. Ob Arthurs ehemalige Vorgesetzte Victoria Byng, die zerstreute Dr. Faraday oder der grimmige General Byng: Jede dieser Figuren wirkt weniger wie ein stereotypes Abziehbild als ein durchdachter Charakter.
Willkommen in den Sechzigern
Doof nur, dass die technische Seite des Spiels eher weniger durchdacht wirkt. Denn obwohl das Spiel optisch kein schweres Geschütz auffährt, ächzt We Happy Few vor allem bei hohem Personenaufkommen auf den Regenbogenstraßen der Hauptstädte schon ziemlich unter der Grafiklast - von den ruckelnden Zwischensequenzen und den häufigen Nachladern ganz zu schweigen Auch die sich ständig wiederholenden Hausgrundrisse und die teilweise recht abgehackten Animationen werden dem Titel keine Medaille für die schönste jemals in der Unreal Engine zusammengebaute Spielwelt einbringen. Gerade vor diesem Hintergrund ist es relativ unverständlich, dass besonders in den stark besiedelten Gebieten nur wenige Häuser wirklich betretbar sind und die meisten nur als Kulisse rumstehen.
Die ist dafür mit außerordentlicher Liebe zum Detail gestaltet worden. Ähnlich wie in Bioshock und Co. gelingt es Compulsion Games, eine dichte Atmosphäre aufzubauen und allerlei kleine Spielereien in ihre Version der Swinging Sixties einzubauen. Aus schwebenden Fernsehgeräten plärrt euch beispielsweise an jeder Ecke der allgegenwärtige Gute-Laune-Garant Onkel Jack mit seiner Fernsehshow entgegen, während die Bobbys und ihre elektrischen Handlanger direkt aus einem trashigen B-Movie entsprungen sein könnten. Ganz zu schweigen von den makellos groovigen Einrichtungsgegenständen und Klamotten. Von seiner schönsten Seite wirkt Wellington Wells also tatsächlich ein wenig wie eine Kombination aus No-One-Lives-Forever-Edeltrash und einem lockeren Spaziergang durch Rapture vor der Katastrophe.
Dieser deutliche Kontrast zwischen retrofuturistischem Kitsch und der betrüblichen Wahrheit, die vor den Toren der behüteten Stadt auf euch wartet, illustriert We Happy Few nicht nur durch Unterschiede in der Optik. Auch der Soundtrack des Spiels passt sich der Umgebung an und wechselt von drückenden Klaviertönen auf Freude-Entzug hin zu Fahrstuhlmusik und gut gelaunten, extra für das Spiel komponierten 60er-Beat-Songs - ein weiteres großes Atmosphäre-Plus, zu dem auch die hervorragend besetzten englischen Sprecher einen großen Teil beitragen. Eine deutsche Lokalisation gibt es nur in den Untertiteln.
Der Drahtseilakt zwischen Licht und Schatten, zwischen Wahrheit und Täuschung zieht sich also nicht nur durch die Story des Spiels, sondern auch durch dessen Umsetzung. Trotzdem: Der Charme dieser dystopischen Gesellschaftsvision und der dazugehörigen Geschichte macht glücklich - auch ohne rosarote Drogenbrille.
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