Mit Watch Dogs: Legion geht die Hacker-Reihe von Ubisoft mittlerweile in die dritte Runde. Neben einem erneuten Settingwechsel, der uns dieses Mal in das dystopische London der nahen Zukunft führt, wirbt Watch Dogs: Legion vor allem mit einem großen, ambitionierten Kern-Feature. Statt einer festen Hauptfigur sollen wirklich alle NPCs innerhalb der Open World spielbar sein - insgesamt 9 Millionen unterschiedliche Charaktere.
Welche Version haben wir getestet?
Watch Dogs: Legion gehört zu den großen Cross-Gen-Titeln, die fast gleichzeitig sowohl auf der aktuellen als auch der nächsten Konsolengeneration erscheinen. Wir haben das Hacker-Abenteuer aber noch auf der Standard-PS4 getestet. Ein ausführlicher Blick auf die Next-Gen-Versionen war uns zum jetzigen Zeitpunkt also nicht möglich. Dementsprechend treffen wir hier auch keine Aussagen zu eventuellen Verbesserungen in der Performance.
Diese Mammutaufgabe bekommt Ubisoft überraschend gut gestemmt, sie hat aber auch ihre Schattenseiten. Wie einzigartig kann ein derart umfangreiches Aufgebot an spielbaren Figuren denn überhaupt sein? Wie wirkt sich der Verzicht auf eine Hauptfigur auf die Story aus? Und welche technischen Einschränkungen müssen für das Helden-Wechselspiel hingenommen werden? Ubisoft hat auf all diese Fragen eine Antwort gefunden, die aber nicht immer zufriedenstellend ausfällt.
Bugs & Performance-Probleme: Ubisoft verspricht Hotfix-Update
In meinem Test sind mir durchaus technische Probleme aufgefallen, unter denen die Performance von Watch Dogs: Legion gelitten hat. Wie Ubisoft aber betont, sei man sich der Probleme bewusst und ein Hotfix zum 30. November soll ein Großteil dieser Probleme lösen.
Parallel gibt es Berichte eines Spielfehlers, der offenbar nur auf der Xbox One X auftritt und den Spielfortschritt ab einem bestimmten Punkt in der Story unmöglich macht. Auch hier soll der Hotfix Abhilfe schaffen.
Vom Regen in die Traufe
Einen klassischen Protagonisten bietet Watch Dogs: Legion zwar nicht, dennoch bekommen wir eine klare Identifikationsfigur geboten. DedSec, die traditionsreiche Hackergruppe vergangener Watch Dogs-Ableger, steht wieder im Mittelpunkt und es liegt an uns, die gebeutelte Organisation neu aufzubauen. Denn gleich zu Spielbeginn werden DedSec zu Unrecht mehrere Bombenanschläge in London angehängt, was die Widerstandsgruppe in der öffentlichen Meinung zu Terroristen degradiert.
Was ist mit dem Multiplayer-Modus?
Ubisoft bietet für Watch Dogs: Legion erstmals einen Koop-Modus an, in dem bis zu vier Spieler gleichzeitig als Hacker agieren und gemeinsam Missionen angehen können. Der komplette Online-Part von Watch Dogs: Legion geht aber erst im Dezember 2020 an den Start, daher konnten wir den Multiplayer-Modus noch nicht ausprobieren.
Dieser schlechte Ruf öffnet Tür und Tor für die brutale Verfolgung der DedSec-Mitglieder durch die Polizei und der privaten (und sehr militanten) Sicherheitsfirma Albion. DedSec scheint am Ende und das London der nahen Zukunft verwandelt sich nun endgültig in einen Überwachungsapparat, in der die gnadenlose Willkür der Autoritäten herrscht. Nach und nach müssen wir nun neue DedSec-Mitglieder rekrutieren, die Freiheit Londons zurückerobern und herausfinden, wer tatsächlich für die Bombenanschläge verantwortlich ist.
Schnapp' sie Dir alle!
Und hier setzt dann das Kern-Feature von Watch Dogs Legion ein: Jeder NPC kann für DedSec rekrutiert werden. Egal ob der Passant an der Ecke, der fleißige Straßenfeger, die Palastwache vorm Buckingham Palace oder sogar die eigentlich feindselige Polizistin vom lokalen Revier. Ja, selbst unsere Feinde können wir, wenn auch mit etwas Mehraufwand, in das DedSec-Team integrieren, um von ihren besonderen Fähigkeiten Gebrauch zu machen.
Bevor wir potenzielle Anwärter aber in den Widerstand holen können, müssen sogenannte Rekrutierungsmissionen erledigt werden. Mal stehlen wir brisante Daten von einem Albion-Server, mal halten wir jemanden aufdringliche Gangster vom Leib. Schwieriger wird es dann, wenn unsere Wunschkandidaten ein großes Problem mit DedSec haben und eigentlich gar nicht beitreten wollen. Hier kann es dann helfen, Verwandten und Bekannten des Kandidaten beizustehen. Wenn ich verhindere, dass die Cousine eines Soldaten verhaftet wird, habe ich DedSec direkt verlockender gemacht.
Wir sind Helden
Idealerweise bietet unser bunt zusammengewürfeltes Team eine Bandbreite an Fertigkeiten, die uns beim Abschluss der Missionen helfen. Holen wir uns eine Bauarbeiterin, kann diese beispielsweise unbemerkt auf eine abgesperrte Baustelle schleichen und mit einer Last-Drohne zu höher gelegenen Orten fliegen. Die angesprochene Palastwache hat hingegen Zugriff auf ein automatisches Sturmgewehr.
Auf neun Millionen (so viele Einwohner hat London ungefähr) einzigartige Fähigkeiten kommt Watch Dogs: Legion aber auf keinen Fall. Es gibt eine Reihe an Archetypen (Hacker, Spion, Sicherheitsdienst, usw.), die bestimmte Voraussetzungen mitbringen, und dann unterscheiden sich lediglich Name, Beruf, Aussehen und Biografie. Recycling ist ein großer Aspekt von Watch Dogs: Legion, der sich auch in anderen Bereichen des Spiels deutlich zeigt.
Permadeath oder nicht?
Zu Beginn von Watch Dogs: Legion werden wir vor die Wahl gestellt, ob wir mit oder ohne Permadeath spielen wollen. Wer es knackig mag, kann sich dazu entscheiden, dass gefallene Rekruten tatsächlich sterben und ersetzt werden müssen. Gibt es keine verbleibenden DedSec-Mitglieder mehr, droht sogar ein richtiges Game Over. Ohne Permadeath landen unsere Widerstandskämpfer entweder in Polizeigewahrsam oder im Krankenhaus und fallen für 20 bis 30 Minuten aus.
Dennoch bietet die Vielfalt an möglichen Berufen und speziellen Talenten überraschend viel taktischen Spielraum. Denn je nachdem, wen man mitnimmt, spielt sich Watch Dogs: Legion gleich ganz anders und man kann exakt planen, wie man ein Areal infiltrieren möchte. Wer mag, darf es sich sogar etwas schwerer machen und gezielt Leute rekrutieren, die nicht gerade kampferprobt oder Technikaffin sind - lösbar bleiben die Missionen dann aber trotzdem.
Teilen ist wichtig
Dass jeder Auftrag irgendwie schaffbar ist liegt vor allem daran, dass sich alle spielbaren DedSec-Mitglieder einen Pool an Upgrades und Gadgets teilen. Mit sogenannten Tech-Punkten, die sich in der Open World verstecken und die auch Missionsbelohnungen sind, lassen sich diverse Perks und Items dauerhaft freischalten. Egal wer gerade an der Reihe ist, Zugriff auf eine Pistole, ein Unsichtbarkeitsmodul und die süße wie nützliche Robospinne sind dann beispielsweise gesichert. Für das "Besondere" wie einzigartige Waffen, Fahrzeuge oder Skills braucht es dann die Experten.
Was ebenfalls jedem spielbaren Charakter zur Verfügung steht, sind die grundlegenden DedSec-Tools für das Hacking jeder Art. Wie in den Vorgängern auch kann man sich in Überwachungskameras einhacken und die Umgebung beobachten. Elektronische Geräte lassen sich perfekt als Falle für Gegner nutzen, Feinde selbst können abgelenkt oder gar kurzzeitig verwirrt werden, und sogar die Autos auf der Straße lassen sich jederzeit lenken, ohne selbst am Steuer zu sitzen.
Hacken hui, Action pfui
Im Hacking liegt auch der größte spielerische Reiz von Watch Dogs: Legion. Die Welt bietet stets mehrere Interaktionsmöglichkeiten gleichzeitig, die man sich zunutze machen kann - zumindest wenn man im Stealth-Modus vorgeht. Sich an Wachen vorbeizuschleichen, sie hinterrücks auszuschalten oder sie in eine Falle zu locken, macht sehr viel Spaß. Allzu schwer machen es uns die Gegner aber nicht, denn die KI agiert eher dümmlich und ignoriert oft sogar Explosionen - außer sie fliegt selbst in die Luft.
Sobald wir aber entdeckt werden, wechselt Watch Dogs: Legion in den Action-Modus. Die Feinde suchen die offene Konfrontation und wir greifen entweder zu Schusswaffen oder verlassen uns auf unsere Fähigkeiten im Nahkampf. Leider ist beides nicht gerade unterhaltsam. Die Prügeleien sind aufgrund geradliniger Nahkampf-Kombos eher eintönig, während sich das Schießen sehr unbefriedigend anfühlt. Wir können zwar jederzeit hinter Kisten oder Wänden in Deckung gehen, doch das gestaltet sich meist sehr hakelig.
Hier bietet Ubisoft nur den Mindeststandard, den man sich von einem Action-Titel erwartet. Zu den Höhepunkten gehören diese Momente aber auf keinen Fall. Ebenso verhält es sich mit den Fahrzeugen, die durch die Straßen Londons gurken. Diese können wir auf Knopfdruck kapern und selbst steuern, was sich aber sehr schwammig anfühlt. Die Vehikel über- oder untersteuern leicht und unfreiwillige Kollisionen sind an der Tagesordnung. Auf Wunsch lässt sich zwar auch der Autopilot einschalten, aber das verläuft aufgrund von eingehaltenen Verkehrsregeln äußerst langsam.
Quantität statt Qualität
Watch Dogs: Legion ist nicht das schönste Spiel, das diesen Herbst erscheint. Gerade die Charaktermodelle der neun Millionen NPCs sind alles andere als detailliert. Stattdessen wirken Figuren eher wie das Produkt eines rudimentären Charaktereditors, der auf "zufällig" eingestellt ist. Gesichter, Frisuren, Körpermerkmale und Kleidung sind wild durcheinander geworfen, was im besten Fall sehr schrille Looks oder im schlimmsten austauschbare und langweilige Standard-NPCs erzeugt. Dass dann noch viele Texturen erst mit Verspätung nachgeladen werden, verstärkt den Eindruck technischer Unausgereiftheit.
Das ist vor allem deswegen so schade, weil die Spielwelt selbst, also das Londoner Setting, wirklich eindrucksvoll und spannend in Szene gesetzt wird. Statt der nächsten US-Großstadt darf ich nun eine europäische Metropole erkunden. Komplexere Straßensysteme, enge Gassen, abwechslungsreiche Architekturstile und vor allem der Mix aus Moderne und Vergangenheit machen London viel spannender als es zuletzt Chicago oder San Francisco waren. Die Überwachung durch Drohnen und die Präsenz von Albion-Soldaten runden den dystopischen Städtetrip sehr gut ab.
Allerdings kommt das Londoner Leben viel zu kurz. Es gibt quasi keine Ballungszentren, und selbst wichtige Orte wie Piccadilly Circus, King's Cross oder der Platz vor dem Buckingham Palace sind nur mäßig frequentiert. Auch in Gebäude hinein darf man immer nur dann, wenn es die Mission gerade vorsieht. Selbst die vielen Klamottenläden, bei denen sich kosmetische Items für die DedSec-Rekruten kaufen lassen, sind verschlossen. Shopping läuft draußen vor dem Schaufenster über ein Menü.
Theater mit schlechten Schauspielern
Spätestens in der Story fällt Ubisoft der Größenwahn von Watch Dogs: Legion aber wirklich auf die Füße. Wie sich schnell und wenig überraschend herausstellt, leidet eine Geschichte sehr, wenn sie nur von austauschbaren Charakteren getragen werden soll. Neben "festen" NPCs wie der DedSec-Anführerin Sabine oder der beratenden (und witzelnden) künstlichen Intelligenz Bagley werden nämlich alle storyrelevanten Dialogen von unseren Rekruten geführt. Und das sind dann Gespräche, die natürlich auf alle spielbaren NPCs passen müssen und dementsprechend simpel ausfallen.
Eine wirkliche Persönlichkeit bringen unsere DedSec-Teammitglieder dadurch nicht mit. Auch hier gibt es einige Archetypen wie den "Gentleman", die sich dann alle den selben Synchronsprecher teilen müssen. Aiden Pearce mag nie besonders beliebt gewesen sein, aber immerhin war der Watch Dogs-Antiheld tatsächlich eine lebendige Figur. In Legion verkommen unsere liebgewonnen Helden hingegen schnell zu leeren Story-Hüllen.
Dabei ist die Kernbotschaft von Watch Dogs: Legion sowohl interessant als auch brandaktuell: Mit einem Aufruf zur Zivilcourage und zivilem Ungehorsam wird die Werbetrommel für einen Widerstand gerührt, der die einfache Bevölkerung emanzipiert und selbst zu Alltagshelden werden lässt. Themen wie Brexit und Gefängnis-artige Lager für Migrant*innen werden ebenso thematisiert wie das totalitäre Regime - auch wenn letztlich alles vage genug bleibt, sodass sich keine direkten Bezüge zu realen Ereignissen herstellen lassen.
Superlative ohne Rücksicht auf Verluste
Die Grundidee von Watch Dogs: Legion ist einzigartig und tatsächlich macht es viel Spaß, sich ein Team an untypischen Helden zusammenzustellen. Mit jeder absolvierten Mission wird das Gespür für die Dynamik zwischen Handwerkern, Polizisten, Hausfrauen, Social Media-Influencern und Co. intensiver - zumindest wenn etwas eigene Fantasie im Spiel ist. In Verbindung mit den taktischen Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, ist Watch Dogs: Legion definitiv einen Blick wert.
Jedoch hat Ubisoft am Ende aber etwas zu viel gewollt und die Menge an spielbaren Figuren führt zum einen zu jeder Menge Recycling an Hintergrundgeschichten und Charaktermodellen, zum anderen zu einer Geschichte, die uninspiriert von austauschbaren Puppen vorgetragen wird. Sowohl die Spielwelt als auch das Szenario von Watch Dogs: Legion kommen hier dadurch letztlich viel zu kurz. Dafür ist das Spiel abseits des Überangebots spielbarer Helden dann doch etwas zu konservativ entworfen worden.
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