Capcom traut Resident Evil keinen großen Verkaufserfolg zu. Das Survival-Abenteuer entsteht 1995 bei einem unerfahrenen Team, es soll hauptsächlich die technischen Möglichkeiten der brandneuen PlayStation ausloten. Die Veteranen des japanischen Publishers arbeiten derweil am beliebten Street Fighter, Capcoms damaligem Goldesel. Einige Mitglieder des Resident-Evil-Teams empfinden es regelrecht als Degradierung, nicht an der großen Prügelserie mitwirken zu dürfen.
Es gibt Streit und technische Probleme, für die taufrische PlayStation-Hardware existieren kaum vorgefertigte Tools, vieles muss mühsam in Handarbeit programmiert werden. Doch was da letztlich unter der Federführung des 30jährigen Shinji Mikami entsteht, wird enorm beliebt - und erweist sich als finanzieller Überraschungserfolg. Schon kurz nach der Veröffentlichung im März 1996 hat sich das Gruselabenteuer in der Zombievilla 200.000- bis 300.000-Mal verkauft, das Kassenklingeln hallt bis in die Capcom-Chefetage, bereits einen Monat nach dem Entwicklungsschluss des ersten Resident Evil darf ein rund fünfzigköpfiges Team mit einem Nachfolger beginnen.
Die Gruppe besteht zur einen Hälfte aus Entwicklern, die schon an Resident Evil beteiligt waren, zur anderen aus neuen Designern. Dieses Team wird drei Jahre später Capcoms legendäres Studio 4 bilden, das dann für Klassiker wie Dino Crisis und Devil May Cry verantwortlich zeichnet. Es sind also talentierte Menschen am Werk. Der Resident-Evil-Schöpfer Shinji Mikami fungiert als Produzent, sein Kollege Hideki Kamiya als Autor und Teamleiter. Und doch soll diesmal alles schiefgehen. Denn Resident Evil 1.5, wie Mikami es später nennen wird, erscheint nie.
Verschollene Charaktere
Die Handlung von Resident Evil 1.5 soll kurz nach den aus dem Vorgänger bekannten Vorfällen im Herrenhaus einsetzen - und unterscheiddet sich maßgeblich vom »echten« Resident Evil 2, das 1998 erscheint. So musste die Umbrella Corporation, die Verursacherin der Zombieseuche, aufgrund ihrer illegalen Pharma-Experimente dichtmachen. Zwei Monate danach bricht im nahe gelegenen Raccoon City jedoch erneut eine verheerende Seuche aus, die zahlreiche Menschen dahinrafft. Die kommen serientypisch natürlich nicht zur Ruhe, sondern kehren als Anti-Veganer mit einer Mordslust auf Fleisch zurück.
Das ist schlecht für die Überlebenden. Einer von ihnen, der Nachwuchspolizist Leon S. Kennedy, befindet sich auf dem Dach der Polizeiwache, als die Zombiehölle losbricht. Damit er dort lebendig wieder herunterkommt, muss ihm der Spieler unter die virtuellen Arme greifen.
Wie im Vorgänger gibt es zudem einen zweiten spielbaren Hauptcharakter, in diesem Fall die Motorradfahrerin und Studentin Elza Walker, die in den Semesterferien auf Heimatbesuch weilt. Statt mit Angehörigen der aus Resident Evil bekannten Einsatztruppe S.T.A.R.S. stürzt sich der Spieler also mit kompletten Frischlingen in den Überlebenskampf. Laut Capcom ist der Nervenkitzel ungleich größer, wenn man nicht mit Superhelden unterwegs ist.
Auch bemerkenswert: Anders als im späteren Resident Evil 2 kreuzen sich die Pfade der beiden Hauptfiguren nicht, man muss sich für eine der beiden entscheiden und erlebt dann eigenständige Geschichten. Zudem haben die Helden nicht wie in der finalen Version nur einen, sondern je zwei spielbare Nebencharaktere an ihrer Seite. Bei Leon sind dies der Polizist Marvin Branagh und die Umbrella-Forscherin Linda, eine frühe Version der Spionin Ada Wong, die später in Resident Evil 2 auftritt.
Gesetzeshüter Marvin schafft es zwar auch in die finale Version, muss sich aber mit einem kurzen Gastspiel als Schwerverletzter begnügen. Elza begleiten die zwölfjährige Sherry Birkin, die in der offiziellen Fortsetzung immerhin einen spielbaren Abschnitt bekommt, und John, der als Waffenshop-Besitzer Robert Kendo in Resident Evil 2 auftaucht.
Elza selbst wird darin von Claire Redfield ersetzt, ihres Zeichens ebenfalls Studentin, die jedoch nach ihrem verschwundenen Bruder Chris sucht - dem Helden des Vorgängers. Claire kommt gemeinsam mit Leon im zombieverseuchten Raccoon City an, wo sich die beiden zur Polizeiwache durchschlagen müssen. Die Handlung von Resident Evil 2 ähnelt also der von Resident Evil 1.5, steht aber unter anderen Vorzeichen, weil sich Leon und Claire bereits kennen.
Mehr Ausrüstung und Nervenkitzel
Weitere Unterschiede: In Resident Evil 1.5 treffen die Hauptfiguren auf mehr überlebende Polizisten und Gegner, die aber weniger Polygone haben und längst nicht so detailreich aussehen wie in Resi 2. Dafür soll es mehr unterschiedliche Zombies geben, die zudem agiler sind. Einige von ihnen können klettern oder nach einer im Eifer des Gefechts durchgeführten Amputation der Beine noch weiter kriechen.
Zum nicht minder gefährlichen Rendezvous bitten Krähen, Hunde und Riesenspinnen. Darüber hinaus gibt es - anders als in der finalen Version - einen Mensch-Spinne-Hybrid und einen infizierten Pavian als Gegnertyp. Die Polizeistation hat ein moderneres Design, ist aber auch kleiner. Die Soundkulisse wirkt insgesamt düsterer, bedrohlicher. Nehmen Leon und Elza Schaden, dann soll man das an blutenden Wunden und zerrissener Kleidung sehen. In Resident Evil 2 hinken die Hauptfiguren lediglich.
Wir halten also fest: Im Original ist der Nervenkitzel-Faktor höher. Dagegen verfügen beide Versionen über ein reichhaltiges Arsenal an bleihaltigen Argumentationsverstärkern. Allerdings gibt es auch hier Unterschiede. Einige Waffen wie der Flammenwerfer gelangen in die finale Version, andere hingegen nicht. Darunter etwa eine Metallstange für die Nahkampfverteidigung und ein Granatwerfer. Neben der Action schaffen es auch die anderen aus dem ersten Resident Evil bekannten Spielelemente mit in die Polizeiwache - also Denksportaufgaben in Form von Rätseln und Survival-Abenteuer samt Inventarverwaltung.
Letztere soll ursprünglich umfangreicher ausfallen, als sie es in Resident Evil 2 später tatsächlich wird. Die Entwickler planen nämlich, dass Leon und Elza auf ihrer Überlebenstour Ausrüstung finden, Sicherheitshandschuhe etwa sollen einen Schadensbonus geben. In der finalen Version fehlt dieses Feature völlig.
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