Neben Euro-Trash und aufblasbaren Sesseln haben die Neunziger uns vor allem ein wichtiges Kulturgut hinterlassen: Teenie-Slasher. Filme wie »Scream« oder »Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast« setzen vor allem auf bildhübsche Mittzwanziger, die unbesonnene Klischee-Jugendliche darstellen, eine vorhersehbare Handlung und jede Menge Blut.
Die Macher von Until Dawn haben sich die Schnetzelfilmchen als Vorbild genommen, um ein nervenaufreibendes Horror-Adventure auf die Beine zu stellen. Doch mit solchen Vorbildern müssten Spielmechanik und Handlung ja eigentlich ziemlich vorhersehbar sein. Sind sie aber nicht. Until Dawn bedient sich zwar an so ziemlich jedem Klischee, das in den letzten Jahren im Horrorsegment aufgekommen ist, setzt sie aber auf eine so kreative Art und Weise ein, dass es uns wirklich überrascht hat.
Abgepauste Horrorfigürchen
Das fängt schon bei der Besetzung an. Die acht Jugendlichen, die wir steuern, sind die perfekten Schablonen für amerikanische Film-Teenager. Die einzige Asiatin ist natürlich schmal, zierlich und Klassenbeste, die schüchterne Kreative kommt über ihre Schwärmerei für den ebenfalls zurückhaltenden Computer-Nerd nicht hinweg. Die frisch verliebte blonde Cheerleaderin und der große, gut gebaute All-American-Darling würden sich am liebsten sofort die Kleider vom Leib reißen. Eigentlich ist keiner der Charaktere auf den ersten Blick besonders sympathisch. Schließlich ist es ein Horrorspiel, da lohnt es sich sowieso nicht sonderlich, die Figuren ins Herz zu schließen.
So einfach lässt uns Until Dawn aber nicht vom Haken. Denn anders als ein zweistündiger Popcorn-Kinofilm nimmt sich das Spiel zehn Stunden Zeit, um aus den austauschbaren Abziehbildchen Persönlichkeiten zu formen, deren Leben und Sterben uns wirklich etwas bedeuten. Im Spiel steuern wir sie nicht nur, wir bekommen auch jede einzelne ihrer Gefühlsregungen mit. Hier zeigt sich, wer in Lebensgefahr über sich hinauswächst - und wer komplett zusammenbricht. Unter Druck beweist sogar der langweilige, weil aalglatte Schönling so viel Mut und Charakter, dass wir am Ende gar nicht anders können, als uns um ihn zu sorgen. Auch wenn wir am Anfang jedes Mal mit den Augen gerollt haben, wenn wir ihn spielen mussten.
Ferien in der Anstalt
Die Handlung ist ebenfalls nur auf den ersten Blick vorhersehbar. Eine Gruppe Teenager sitzt in einer stürmischen Winternacht auf einem von Indianern verfluchten Berg fest, in dessen Nähe natürlich auch noch ein verlassenes Sanatorium steht, was bereits wie eine Mischung aus Stephen King und Outlast klingt. Zusätzlich dazu sind in dieser Nacht vor einem Jahr die beiden Schwestern von einem der Jugendlichen verschwunden. Als dann auch noch aus dem Nichts ein Verrückter erscheint und beginnt, die Teenager mit kranken Spielchen à la Saw durch die Hütte zu jagen, ist die typische Rahmenhandlung vorprogrammiert: Die Klischee-Blondine stirbt zuerst, und vielleicht überleben die beiden zurückhaltenden Nerds.
Pustekuchen. Wir können zwar nicht viel über die Geschichte sagen, ohne zu spoilern, so viel sollte aber verraten werden dürfen: Spätestens, wenn einer unserer Charaktere vom Mörder an einem Fleischerhaken aufgespießt wird, ein anderer aber gleichzeitig am Fluss um sein Leben kämpft, wissen wir, dass die Storyvariante »Verrückter Axtmörder« hier so gar nicht greifen will. Durch seine Klischees baut Until Dawn genüsslich eine Erwartungshaltung auf, nur um diese dann auf halber Strecke ebenso genüsslich wieder über den Haufen zu werfen. Das schockt, im wahrsten Sinne des Wortes.
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