Ähnlich wie Tetris-Bausteine, kommen auch Videospiele mittlerweile in vielen Formen und Farben vor: Von Rollenspielen über Strategiespiele bis hin zu Shootern aber auch Lern- und Rätselspielen ist für jeden etwas dabei. Ähnlich verschieden wie die Spiele selbst, sind allerdings auch die angeblichen Wirkungen auf unser Bewusstsein und unsere Wahrnehmung: Shooter machen aggressiv, Rätselspiele schlau, und Tetris...zum Baumeister?
Das meistverkaufte Puzzlespiel aller Zeiten hat mittlerweile durch Tetris 99 wieder an Aktualität gewonnen, doch schon damals in den 80ern hatte es einen Einfluss auf die Wahrnehmung der Videospieler:innen. Bewusst und populär geworden ist dieses Phänomen allerdings durch das Spiel Tetris und den Beobachtungen die Harvard Psychiater Robert Stickgold bei seinen Testpersonen gemacht hat:
Wie der Tetris-Effekt seinen Namen erhielt
Viele fingen auch im Schlaf an gedanklich Blöcke einzusortieren, sahen teilweise Tetris-Blöcke in ihrem Alltag oder verstanden einzuräumende Schränke als Tetris-Sequenz. Das ist auch Stickgold aufgefallen, welcher flux entschlosse dieses Phänomen zu erforschen: Ca. 60% der Testpersonen, die sich nach ausgiebigem Tetris-Spielen ins Bett gelegt haben, sahen noch vor dem inneren Auge Blöcke und Kästchen, die sie gedanklich hin und herschieben, sogenannte "kognitive Nachbilder".
Wir kennen ein ähnliches Phänomen, die optischen Nachbilder bereits, wenn wir als Kinder zu lange auf Muster gestarrt haben und uns gefreut haben, wenn dann beim Blinzeln die Muster auch auf der Tapete zu sehen waren. Dieses Phänomen nennt man optische Nachbilder, weil sie durch die Stimulation der Rezeptoren im Auge ausgelöst werden.
"Kognitive Nachbilder" hingegen werden dadurch hervorgerufen, wenn unser Gehirn mit einer bestimmten Art von Reizen wiederholt konfrontiert wird. Den Beinamen "Tetris-Effekt" hat dieses Phänomen deshalb erhalten, weil es durch den weltweiten Hype um das Spiel Ende der 80er und dem hierdurch bedingten Auftreten der Nachbilder bei derselben Tätigkeit in der breiten Bevölkerung beobachtbar wurde.
Zur Autorin: Jolina hat ihre ersten Erfahrungen mit kognitiven Nachbildern aka "Tetris-Effekten" im Alter von zwölf nach einem exzessiven Tag im JRPG Suikoden 2 für die Playstation gemacht. Nach über zehn Stunden Spielzeit gingen ihr sowohl vor als auch im Schlaf nur noch rundenbasierte Kämpfe durch den Kopf. Als Psychologin findet sie es jedoch auch rückwirkend immer wieder spannend Erklärungen für alltägliche oder selbstverständliche Phänomene im Zusammenhang mit Gaming zu finden.
Was wir tun, beeinflusst also, wie wir Dinge wahrnehmen. Jeder schaut durch eine gewisse "Brille" auf die Realität. Diese Brille kann auch dadurch geprägt sein, welchen Beruf wir ausüben. Als Psychologin versuche ich häufig erklärende Muster zu suchen, während ein Mathematiker möglicherweise viele Situationen eher als eine zu lösende Gleichung sieht. Aber welche Brille bekommen wir, wenn wir exzessiv unserer Lieblingsfreizeitbeschäftigung dem Zocken nachgehen? Wie prägen Videospiele unsere Wahrnehmung und vielleicht sogar unser Gehirn?
Tetris ist das perfekte Versuchsobjekt
Was die psychologische Forschung angeht, ist Tetris eines der meist erforschten Videospiele. Es bietet sich für Studien tatsächlich auch an, weil es durch sein simples und geradliniges Spieldesign wenige eingebaute "Störfaktoren" hat. Bei Multiplayer-Spielen beispielsweise hängt viel von dem Verhalten anderer Spieler:innen ab. Bei Rollenspielen gibt es oft viele verschiedene Wahlmöglichkeiten was Spielmechaniken wie Skills oder sogar den weiteren Spielverlauf angeht.
All diese Störfaktoren hat Tetris nicht. Bei Tetris geht es schlicht und ergreifend darum, die 2D-Puzzleteile möglichst lückenlos an die passende Stelle zu bringen und sie dafür eventuell zu drehen. Wenn man an die Anforderungen von Tetris an das Gehirn denkt, kommt man daher schnell auf Begriffe wie "räumliches Denken" und "mentale Rotation". Werden wir also durch Tetris auch im echten Leben zu Bau- und Puzzlemeistern?
Ist Tetris ein Training für den mentalen Bizeps?
Dem Tetris-Rausch und rotierenden Teilchen im Kopf durch den "Tetris-Effekt" zum Trotz sind die Wirkungen, die es auf unsere geistigen Fähigkeiten hat, eher ernüchternd. Mayer & Pilegard haben in ihren Studien zeigen können, dass Tetris spielen nahezu keinen Einfluss auf unsere kognitiv-räumlichen Fähigkeiten hat: Natürlich gehen mehr Stunden Tetris mit besseren Fähigkeiten in Tetris selbst und sehr ähnlichen Spielen einher. Allerdings können keine Transfereffekte, also Übertragung der Fähigkeiten auf andere Kontexte (wie z.B. reale Welt, dreidimensionale Aufgaben) beobachtet werden.
Aber wie ist das mit anderen Videospielen, insbesondere "Gehirnjogging"-Spielen die ja per Definition darauf abzielen unsere geistigen Fähigkeiten zu verbessern? Eines der wohl bekanntesten Spiele in diesem Bereich ist wohl Dr. Kawashimas Gehirnjogging, welches erstmals 2006 in Europa für den Nintendo DS veröffentlicht wurde und mittlerweile auch auf der Switch erhältlich ist.
Sind Denkspiele ein geistiger Jungbrunnen für ältere Gamer?
Kleine, einfache Denkaufgaben wie Kopfrechnen, Wortspiele oder Gedächtnisübungen sollen bei täglichem Spielen dazu beitragen unser Gehirn auch im höheren Alter noch fit zu halten. Aber helfen solche Spiele tatsächlich bei den sogenannten "Silver Gamer*innen", also Spieler*innen im höheren Alter, Demenz vorzubeugen? Und wie ist das mit der jungen Generation, die eh noch frisch und knackig im Kopf ist, hat es da einen Einfluss auf unsere gedanklichen Fähigkeiten und Wahrnehmungen?
Es ist in Forscherkreisen unumstritten, dass geistige Beschäftigung bei über 65-Jährigen positive Effekte auf deren Leistungsfähigkeit hat. Die Studien der japanischen Forschergruppe rund um Rui Nouchi versuchen ein positives Bild für den positiven Einfluss von Gehirnjogging Videospielen zu zeichnen, geben allerdings auch zu, dass die positiven Effekte von solchen Spielen eher eine "geringe wissenschaftliche Basis" haben.
Sie konnten zwar in ihren Studien zeigen, dass Gehirnjogging Effekte auf die kognitiven Fähigkeiten wie Verarbeitungsgeschwindigkeit und Denkfähigkeit, sowie demenzielle Symptomatik zeigen. Allerdings waren diese Effekte nicht gegen eine Kontrollgruppe abgesichert und kleiner als klein - sprich: nicht wirklich nennenswert.
Es lässt sich also nicht sagen, ob Kawashimas Gehirnjogging eine besonders gute oder sogar bessere Methode ist als herkömmliche Trainings für Ältere Personen. Auf der anderen Seite schadet es auch nicht wirklich, und ist toll zu sehen, wenn auch rüstige Rentner Spaß an Videospielen finden.
Und wie sieht es mit jungen Spieler:innen aus?
Aber wie sieht das ganze bei der Hauptzielgruppe von Videospielen, Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus? Auch hierzu haben Rui Nouchi und Co. geforscht, konnten aber bei jungen Erwachsenen gar keinen signifikanten Effekt auf irgendeine Form kognitiver Leistungsfähigkeit, wie beispielsweise Arbeitsgedächtnis, Intelligenz, oder Aufmerksamkeit feststellen.
In einer Studie um das Team von Lorant-Royer haben 10-jährige Kinder elf Wochen lang statt einer Unterrichtsstunde in der Woche entweder Gehirnjogging oder New Super Mario Bros. Gespielt. Aber auch hier waren die Ergebnisse eher enttäuschend: Zwar vergrößerten besonders Mario-Spieler:innen das "nutzbare Sichtfeld", also den Bereich ab dem sie visuelle Reize in der Peripherie wahrnehmen, dieser Effekt war aber vergleichsweise auch nur gering.
Eine Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten, wie räumliche Wahrnehmung oder Aufmerksamkeit, konnte auch hier nicht nachgewiesen werden. Natürlich lassen die Studien auch noch viele Zweifel zu, da sie nur sehr geringe Stichprobengrößen, begrenzte Zeiträume und Fähigkeiten abgefragt haben. Insgesamt ist aber wissenschaftlicher Konsens, dass wir selbst aus Spielen wie Dr. Kawashimas Gehirnjogging, die speziell darauf abzielen unsere kognitiven Fähigkeiten zu verbessern, nicht wirklich viel Nutzen für unseren Alltag ziehen können.
Durch Videospiele zum Alltagshelden - alles nur eine Lüge?
Aus der Traum für den virtuell manifestierten Wunsch der Selbstverbesserung durch Videospiele? Nicht ganz: Aus der "dunkelsten" Ecke der Videospielgenres scheint beim Thema Entwicklung kognitiver Fähigkeiten das hellste Licht: First-Person-Shooter.
Spieler:innen von FPS-Games zeigen in Studien zu kognitiven Fähigkeiten viele Besonderheiten: Sie können visuelle Reize schneller und besser unterscheiden, können schneller Entscheidungen treffen und zeigen bessere gedankliche Flexibilität.
Einige Rentner wie das Team Silver Snipers haben sogar schon umgerüstet und stellen sich der Herausforderung des Tactical-Shooters Counter-Strike. Bei der aktuellen Studienlage machen sie damit auch alles richtig, denn für die gedanklichen Fähigkeiten ist es besser actionreiche First-Person-Shooter wie Call of Duty oder Doom zu spielen statt Dr. Kawashimas Gehirnjogging.
Videospiele können also in der Tat unsere Wahrnehmung beeinflussen: Entweder als kognitives Nachbild von exzessiven und repetitiven Spielsequenzen wie beim Tetris Effekt. Oder aber dadurch, dass sie unsere Fähigkeiten beispielsweise in räumlicher Wahrnehmung trainieren und wir dadurch visuelle Reize schneller verarbeiten und darauf reagieren können, wie bei First-Person-Shootern.
Habt ihr schon einmal den Tetris-Effekt (z.B. dass euch bestimmte Spielsequenzen vor eurem inneren oder äußeren Auge aufkommen) erlebt? Und könntet ihr euch vorstellen später im Altenheim Shooter-Turniere abzuhalten?
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