»Wow, sieht das schön aus!«, ist ein Satz, der einem während des Spielens von Song of the Deep oft durch den Kopf geht. Die unglaublich liebevolle und detailreiche Unterwasserwelt, die ein relativ kleines Team von nur 15 Leuten innerhalb Insomniac Games gezaubert hat, ist stellenweise wirklich träumerisch schön und allein dafür schon einen Tauchgang wert.
Als empathisch veranlagter Spieler bleibt einem nach dem Intro keine andere Wahl, als sich in die Fluten zu stürzen. Die zwölfjährige Heldin des Spiels Merryn vermisst ihren Vater, der vom Fischfang auf dem Meer nicht zurückkehrt. In der sorgenvollen Nacht hat das irische Mädchen einen visionären Traum und sieht ihren geliebten Vater in mysteriösen Ruinen am Meeresboden gefangen.
Kurzentschlossen baut sich Merryn am nächsten Morgen aus umherliegenden Schrotteilen ein U-Boot und sticht damit in See. Unrealistisch? Na klar! Aber wir haben es hier auch nicht mit einer seriösen Simulaton zu tun, sondern mit einem Vertreter des Metroidvania-Genres. Die Frage lautet also nicht, wie realistisch Song of the Deep ist, sondern ob die Spielmechanik funktioniert.
Märchenhaft schönes Metroidvania
Mit der in handgezeichneten Bilderbuchseiten und einer sehr einfühlsamen Erzählstimme präsentierten Prämisse öffnet sich die eigentliche Spielwelt, die sich in den darauffolgenden 8-12 Stunden komplett unter Wasser abspielt. Da Song of the Deep nach dem Metroidvania-Prinzip funktioniert, haben wir es zwar theoretisch mit einer nichtlinearen, offenen Spielwelt zu tun, aber nicht alle Gebiete sind von Anfang an zugänglich.
Mit eingesammelten Schätzen erhält das selbstgebaute Unterwassergefährt im Laufe des Spiels Upgrades. Mit jeder neu erworbenen Fähigkeit lassen sich dann bisher unzugängliche Areale erreichen und Hindernisse überwinden. So erlaubt uns ein gefundener Feuerschuss, Eisblockaden zu schmelzen, und nach dem Fund einer Atemmaske kann Merryn aus dem U-Boot aussteigen, um durch schmale Gänge zu schwimmen, durch die unser U-Boot nicht passt.
Dieses erprobte und oft kopierte Spielprinzip fühlt sich bei Song of the Deep noch erstaunlich unverbraucht an, was vor allem daran liegt, dass durch die Unterwassersteuerung kein klassisches Plattformergefühl aufkommt. Als U-Boot sind wir in alle vier Himmels- beziehungsweise Wasserrichtungen unabhängig. Das Spiel fühlt sich daher weniger wie ein Sidescroller an und erlaubt mehr Bewegungsfreiheit, die von den Leveldesignern kreativ genutzt wird.
Auch die physikalischen Besonderheiten des Elements Wasser kommen in einigen Rätseln zum Tragen. So haben wir es stellenweise mit Strömungen zu tun, bei denen wir nur durch geschicktes Einsetzen unseres kurzzeitigen Düsenantriebs und dem Festhalten an Verankerungen vorankommen.
Das Spiel bleibt den 2D-Wurzeln des Genres dabei aber stets treu verbunden, auch wenn es eine räumliche Tiefe durch Unschärfe und Objekten im Vorder- und Hintergrund vortäuscht. Doch eintönig oder langweilig wird uns nie im Meer, ganz im Gegenteil: Die mit sehr viel Liebe zum Detail umgesetzten Levelabschnitte sind extrem abwechslungsreich gestaltet und unterscheiden sich in den insgesamt 12 Gebieten der Karte nicht nur in Farb- und Lichtstimmung, sondern glänzen auch jeweils durch ein neues Oberthema, neue Feindtypen und eine stimmungsvolle musikalische Begleitung.
Publisher-Premiere
Das 2D-Unterwasserabenteuer des Ratchet&Clank-Entwicklerstudios ist das erste Spiel, das unter dem neuen Publisherlabel »GameTrust« der amerikanischen Videospiel-Kette GameStop erscheint. Die Version für den Handel wird daher exklusiv bei der hauseigenen Kette geführt. Die digitalen Versionen erscheinen aber regulär auf im PSN und im Xbox-Store.
Monotone Kämpfe, aber interessante Rätselmechaniken
Im Gegensatz zu aktuellen Genrevertretern wie Ori and the Blind Forest oder Axiom Verge spielen die Kämpfe in diesem Metroidvania jedoch eine sehr untergeordnete Rolle. Zwar begegnen wir allerlei Wasserwesen wie Schnecken, Quallen und Oktopoden, die uns meist als appetitlichen Snack sehen, aber trotz Feuer-, Eis- und Schockkanone sowie einem Greifarm für den Nahkampf bleiben die Auseinandersetzungen das ganze Spiel über relativ monoton.
Hier wurde einiges an Potential verschenkt. Vor allem in den Bosskämpfen und Schlüsselmomenten des Spiels fällt den Entwicklern oft nicht viel mehr ein, als uns in ein Gebiet zu sperren und einfach Gegnermassen auf uns loszulassen, statt interessante Bewegungsmuster, Angriffe und Feindtypen zu entwerfen. Schade.
Dafür stehen Rätseln und Erkunden klar im Vordergrund. Das, was den Kämpfen an Abwechslung fehlt, macht Insomniac hier an Kreativität wieder wett. Über die gesamte Spieldauer hinweg schaffen es die Entwickler, interessante Mechaniken zu präsentieren und mit neuen Ideen zu überraschen. Mal müssen wir eher logisch vorgehen und im beeindruckend komplex wirkenden Innenleben einer alten Maschine Spiegel- und Lichtinstallationen zum Aktivieren von Schaltern korrekt anordnen, an anderer Stelle gilt es, durch geschicktes Timing eine empfindliche Bombe durch die Ausnutzung von Strömungen an der richtigen Stelle zur Explosion zu bringen. Dabei schafft es das Spiel, dank sehr fair verteilter und regelmäßiger Speicherpunkte keinen Frust aufkommen zu lassen.
Untypische Heldenfigur mit Vorbildfunktion
Die Idee zu diesem Projekt ist laut Insomniac Games' »Chief Creative Officer« Brian Hastings von seiner Tochter inspiriert. Er wollte ein Spiel mit einer weiblichen Heldin schaffen, zu der seine Tochter aufschauen kann. Es soll, so Hastings, »die Botschaft vermitteln, dass es egal ist, wer du bist und jegliches Unglück überwindbar sei, wenn man nicht aufgibt«.
Dank der märchenhaften und sehr ruhig erzählten Rahmenhandlung und den handgezeichneten Zwischensequenzen ist das Spiel auch in Kinderhänden gut aufgehoben und kann Hastings' Wunsch nach einem pädagogisch wertvollen Spiel voll erfüllen, ohne dabei jedoch erwachsene Spieler zu verlieren. Wir würden uns freuen, wenn wir auch in Zukunft mehr von Merryn sehen und Insomniac die junge Heldin auf weitere Abenteuer schickt.
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