Massenhaft Entlassungen bei PlayStation, Xbox, Twitch & Co. - Das steckt hinter der Krise der Gaming-Branche

Seit Monaten wütet eine Entlassungswelle in der Videospielbranche und ein Ende scheint nicht in Sicht. Ist das normal? Was heißt das für die Zukunft der Industrie?

Nicht nur kleine Studios trifft es, auch große Namen wie Sony, Xbox und Twitch haben viele Mitarbeiter*innen entlassen. Nicht nur kleine Studios trifft es, auch große Namen wie Sony, Xbox und Twitch haben viele Mitarbeiter*innen entlassen.

Jetzt ziehen auch Sony und Electronic Arts nach: Das PlayStation-Unternehmen entlässt 900 Mitarbeiter*innen und auch mehrere First-Party-Studios wie Guerrilla Games sind betroffen. London Studios muss sogar ganz die Pforten schließen. EA streicht dagegen 670 Stellen, nachdem bereits 2023 schon 800 Angestellte gehen mussten. 

Damit reihen sich neben Xbox und Unity zwei weitere Größen der Videospielbranche in die Riege der Unternehmen ein, die in den letzten Monaten mit Kündigungen und Studioschließungen Schlagzeilen machten.

Was auf den ersten Blick beim gesunden Wachstum der Videospielbranche wie eine vollkommen überraschende Krise wirkt, ist die Konsequenz von Fehlplanungen der letzten Jahre. Was wir damit meinen und was das für die Zukunft bedeuten kann, schlüsseln wir in diesem Artikel etwas auf.

Seit Monaten greift die Kündigungswelle um sich, Studios müssen schließen

Was ist passiert? Bereits letztes Jahr ließ sich ein besorgniserregender Trend in der Videospielbranche erkennen. Publisher und Studios entließen reihenweise Personal.

Das betraf jedoch nicht nur Studios mit erfolglosen Projekten wie Daedalic Entertainment, deren katastrophaler Release von ‘Der Herr der Ringe: Gollum’ als letzter Sargnagel der Entwicklungsabteilung zu verstehen ist und 25 Personen den Job kostete. Auch unabhängig vom Erfolg gab es reihenweise Entlassungen: Naughty Dog, Epic Games, Telltale Games, CD Projekt Red, BioWare – um nur einige Beispiele für das vergangene Jahr zu nennen.

In 2024 weitet sich die Krise sogar aus und erreicht neue Ausmaße. Bereits in den ersten beiden Monaten reihte sich eine Entlassungswelle an die nächste:

  • Microsoft: 1.900 Personen
  • Unity Software: 1.800 Personen
  • Sony: 900 Personen
  • EA: 670 Personen
  • Riot Games: 530 Personen
  • Twitch: 500 Personen
  • Playtika: 300-400 Personen
  • Discord: 170 Personen
  • Lost Boys Interactive: 125 Personen
  • Pixelberry Studios: 120 Personen
  • Eidos Montreal: 97 Personen
  • Supermassive Games: 90 Personen
  • Metaverse World: 70 Personen
  • Sega of America: 61 Personen
  • Reikon Games: 60 Personen
  • Black Forest Games: 50 Personen
  • und noch weitere mehr…

Während wir 2022 auf einen Rekordwert von 8.500 Entlassungen kamen und 2023 bereits 10.500 verbuchten, haben wir alleine in den ersten 58 Tagen von 2024 bereits 7.300 gestrichene Stellen erreicht (Stand: 28.02.24). Ein besorgniserregendes Bild, das Unternehmer und Berater Matthew Ball zusammenfasst, das vermutlich unvollständig ist, da etwa die genauen Zahlen von Ubisoft nicht bekannt sind.

Hochmut kommt vor dem Fall

Bei all den gestrichenen Stellen und damit verbundenen Studioschließungen stellt sich unweigerlich die Frage, wie es soweit kommen konnte. Vor allem, da die Unternehmen in den letzten Quartalen und Jahren teils enormen Profit erwirtschaftet haben. Warum sollte also zum Beispiel Sony, die mit der PS5-Hardware und ihren AAA-Spielen Erfolge einfahren, jetzt Angestellte entlassen müssen? Die Antwort darauf setzt sich aus gleich mehreren Faktoren zusammen.

Die Corona-Pandemie wirkte wie ein Verstärker

Nachdem sich der Virus Anfang 2020 weltweit ausbreitete und wochenlange Lockdowns verhängt wurden, gab es einen neuen Boom in der Videospielwelt. Viel mehr Menschen fanden durch das erzwungene Daheimbleiben erstmals zum Gaming oder spielten länger als üblich. 

Folglich stieg die Nachfrage und der damit verbundene Umsatz stark an (2020 auf 2021: 192,92 auf 227,33 Milliarden US-Dollar). In Kombination mit dem zuvor beobachteten Marktwachstums 2017 bis 2019 verleitete das Analysten und Unternehmen dazu, für die kommenden Jahre einen weiteren Anstieg der Videospielindustrie zu prognostizieren. Ein guter Grund also, um schon jetzt in neue Arbeitskräfte zu investieren oder gleich ganze Studios aufzukaufen.

Wie lange die Pandemie andauern würde, war jedoch schwer einzuschätzen. Es gab vorab keine vergleichbare Situation, an der man sich guten Gewissens hätte orientieren können. Trotzdem war das Risiko eines kurzen “Strohfeuers” nicht auszuschließen. Sollte sich die Pandemie schnell beruhigen, könnten sich die Menschen wieder vermehrt vom Gaming abwenden, was den Boom ausbremst. Grundsätzlich war aber auch damit zu rechnen, dass selbst danach die Anzahl der Spieler*innen auf einem neuen, höheren Level bleibt.

Als die Pandemie sich 2022 zwischenzeitlich beruhigte und die Menschen tatsächlich weniger spielten, machten Unternehmen dafür aber auch wenige und schwache Releases verantwortlich. Die durch die Pandemie ungewohnten, teils schwierigen Arbeitsbedingungen im Home Office trugen mit dazu bei, dass die Qualität der Spiele litt und eine Verschiebung die andere jagte.

Im Vergleich zum starken weltweiten Umsatzanstieg 2020 von 28 Prozent kamen wir laut der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young 2023 gerade einmal auf 5 Prozent. Das ist zwar auch ein kleines Plus, resultiert jedoch gerade einmal in 184 Milliarden US-Dollar Umsatz, während eigentlich 228 Milliarden US-Dollar, wenn nach manchen Schätzungen nicht sogar 281,77 Milliarden US-Dollar erwartet wurden.

Dieses hohe Wachstum blieb aber selbst mit Spiele-Hits wie Baldur’s Gate 3 und Hogwarts Legacy aus. Die Entscheidungsträger bei vielen Gaming-Unternehmen haben das rasante Wachstum im Zuge der Pandemie überschätzt und zu riskant investiert, sodass nun die Quittung folgt. Und am Ende leiden die Angestellten unter der Fehlkalkulation.

Viele der Unternehmen wie EA, Sony oder beispielsweise Microsoft, die dieser Fehlplanung unterliegen, stehen nun mit vielen, teils kurzfristig eingestellten Arbeitnehmer*innen dar, deren Jahresgehälter die Profiterwartungen der Investor*innen weiter gefährden. Entsprechend werden Stellen im großen Stil wieder abgebaut, während so manche CEOs und Executives immense Gehälter beziehen.

Bobby Kotick etwa, der bis Ende Dezember 2023 CEO bei Activision/Blizzard war, verdiente 2020 über 154 Millionen US-Dollar. Seine Abfindung betrug noch einmal rund 300 Millionen US-Dollar. Sehr viel Geld für eine einzige Person, die dazu noch stark im Rahmen des Sexismus-Skandals bei Activision/Blizzard in der Kritik stand. 

Mehr zum Skandal und Kotick lest ihr hier:

Robert Antokol, der CEO von Playtika, kam 2020 sogar auf 372 Millionen US-Dollar, während EAs CEO Andrew Wilson “lediglich” 34 Millionen verdiente. Zum Vergleich: Die Mitarbeiter von Electronic Arts bekamen einen durchschnittlichen Jahreslohn von 123.935 US-Dollar. Das sind zwar Extrembeispiele, allerdings könnte man theoretisch viele Arbeitsplätze erhalten, wenn nur ein kleiner Teil dieses Geldes umverteilt werden würde.

Auch die Inflation, Shareholder und Gesetze spielen eine Rolle

Die Bereitschaft, neue Leute einzustellen oder gleich ganze Studios aufzukaufen, beruhte aber auch darauf, dass Unternehmen sich aufgrund der damaligen günstigen wirtschaftlichen Situation Geld zu niedrigeren Konditionen leihen konnten. Neben den höheren Einnahmen waren auch Investor*innen vor und zu Beginn der Pandemie viel risikobereiter, da sie sich durch die positiven Analysen sehr rentable Investitionen versprachen.

Embracer Group ist hier ein gutes Beispiel. Der Mutterkonzern kaufte aufgrund der “rosigen Zukunftsprognose” lange Zeit vermehrt Studios: Unter anderem Asmodee, Gearbox, Plaion (ehemals Koch Media), Warhorse Studios... und hatte sich damit schließlich übernommen. So musste etwa Volition schließen, die zuletzt das gefloppte Saints Row-Reboot rausbrachten. Seit Juni 2023 sollen zudem 29 unangekündigte Projekte eingestellt worden sein. Die Zukunft von Gothic-Macher Piranha Bytes steht derweil noch auf der Kippe:

Zusätzlich setzte 2020 die weltweite Inflation ein, die nicht nur das Wachstum ausbremst, sondern auch die Kosten für die immer aufwändigere Spieleproduktion noch weiter in die Höhe treibt. Das ist mitunter der Grund, warum etwa das erfolgreiche deutsche Studio Mimimi sein Aus angekündigt hat. Das finanzielle und gesundheitliche Risiko, das dadurch entsteht, sei einfach zu hoch.

Dass viele dieser Personen so schnell wieder entlassen werden, wie sie eingestellt wurden, hängt zudem auch vom jeweiligen Arbeitsrecht ab. Ein Großteil der betroffenen Personen, vor allem jene in den USA, können viel einfacher und schneller wieder entlassen werden, als es beispielsweise die Gesetzeslage in Deutschland zulässt. Sich mit spontanen Einstellungen und Entlassungen dem Markt anzupassen, ist dort eine viel gängigere Praxis. 

Um sich besser zu schützen, bemühen sich Arbeitnehmer*innen seit einigen Jahren vermehrt darum, sich gewerkschaftlich zu organisieren. 2022 haben die Mitarbeiter*innen der Qualitätssicherung des CoD-Studios Raven Software hier einen Meilenstein gesetzt. Sie gründeten die erste große Gewerkschaft in den USA, nachdem Activision/Blizzard versucht hatte, das zu verhindern. Währenddessen kämpfen Ubisoft-Angestellte unter den Namen ‘ABetterUbisoft’ für ihre Rechte.

Hinzu kommt ein Effekt, den nach Gruppenzwang aussieht: Nachdem die ersten Unternehmen Mitarbeiter*innen entließen, zogen andere augenscheinlich nach. Ganz nach dem Motto: “Wenn jetzt alle ihr Personal entlassen, kann ich es jetzt auch tun, ohne dass es zu viel Aufmerksamkeit auf uns zieht”. Allerdings fällt die Entscheidung über Kündigungen weit weniger spontan und beruht auf internen Strategien. Es sind vielmehr die Bekanntmachungen, die sich bündeln, was den Eindruck einer wirtschaftlichen Krise verstärkt.

Warum brennt die Spieleindustrie? Video starten 1:31:39 Warum brennt die Spieleindustrie?

Welche Gründe die Unternehmen auch immer haben, eines haben alle Entlassungen immer gemeinsam: Jede gestrichene Stelle ist eine zu viel, da hier finanzielle und persönliche Existenzen betroffen sind. Viele Angestellte, gerade in den USA, müssen oft tausende Kilometer hinter sich lassen und umziehen, um einen Job in einer fremden Umgebung annehmen zu können.

In der freien Marktwirtschaft gehört das Risiko zwar dazu, es ist aber nicht auszuschließen, dass bei manchen Entscheidungen bewusst zu hoch gepokert wird und mögliche Entlassungen wissentlich in Kauf genommen werden.

Wie steht es um die Zukunft der Branche?

Wie sich die Gaming-Branche weiterentwickelt, können wir natürlich nicht mit Sicherheit sagen. Es ist aber wahrscheinlich, dass wir auch noch viele weitere Monate mit Entlassungen, Studioschließungen und eingestellten Projekten rechnen müssen.

Irgendwann sollte aber ein Punkt erreicht sein, an dem sich die meisten Unternehmen, um es mit dem unschön klingenden wirtschaftlichen Begriff zu formulieren, “gesund geschrumpft” haben. Fürs erste werden die großen Studios und Publisher daher wohl weniger Risiken eingehen, um auf dem Papier weiter schwarze Zahlen zu schreiben. Das bedeutet auch weniger Releases und Experimente, macht dafür aber wiederum mehr Platz für kleinere und unabhängige Studios und ihre Spiele.

Allerdings befindet sich der klassische Gaming-Markt rund um (teils exklusive) AAA-Spiele mit dem geringeren Wachstum nun auch an einem Sättigungspunkt. Um den stagnierenden Umsatz wieder anzukurbeln, muss laut Xbox-Chef Phil Spencer (via Official Xbox Podcast vom 15. Februar) entweder eine neue Zielgruppe erreicht oder neue Möglichkeiten gefunden werden, Spiele zu monetarisieren. Bis es soweit ist, helfen unter anderem die Entlassungen dabei, das Wachstum konstant beizubehalten und so auch Investor*innen zufriedenzustellen.

Wir sollten uns daher keine großen Hoffnungen machen, dass es in Zukunft besser wird und Entlassungswellen dieser Art nicht mehr vorkommen. Für die Entscheidungsträger*innen, die nach wie vor ihre Positionen besetzen, war dies schließlich eine funktionierende Lösung. Den “Krisenstempel” können wir der Branche damit nicht unbedingt auf wirtschaftlicher, dafür aber auf moralischer Ebene aufdrücken.

Unser liebstes Hobby und die Branche ist also nicht am Ende, sondern durchlebt eine für die betroffenen Menschen schwierige Phase, die strukturelle Veränderungen nach sich ziehen könnte. Sei es in der Art und Weise, wie Spiele produziert und vermarktet werden, oder wie Mitarbeiter*innen zukünftig besser geschützt werden können. Gewerkschaften und politische Maßnahmen zum Arbeitnehmerrecht wären hier Ansatzpunkte.

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