Activision Blizzard: Sexuelle Belästigung, Einschüchterung & Co. - So steht es um den Skandal

Seit Activision Blizzard erstmals wegen toxischer Arbeitskultur verklagt wurde, hat sich viel getan. Wir fassen zusammen, wie es um die Prozesse, CEO Bobby Kotick und die Betroffenen steht.

Der Skandal rund um Activision Blizzard ist gut zwei Jahre alt. Wie fassen zusammen, was sich getan hat. Der Skandal rund um Activision Blizzard ist gut zwei Jahre alt. Wie fassen zusammen, was sich getan hat.

Mit dem Publisher Activision Blizzard (AB) hatten viele Fans jahrelang vor allem große Spielmarken wie Call of Duty, Diablo und Warcraft verbunden. Nach einer behördlichen Klage im Juli 2021, die dem Publisher sexuelle Belästigung sowie Diskriminierung am Arbeitsplatz und andere Vergehen vorgeworfen hat, änderte sich das schlagartig. 

Es folgten absurde Statements und inkonsequentes Verhalten der Geschäftsführung und weitere schwerwiegende Berichte, die noch mehr Klagen und Forderungen der Mitarbeiter*innen nach sich zogen und die bis heute - fast zwei Jahre später - noch nicht ausgestanden sind.

Wir schlüsseln euch in diesem Artikel die wichtigsten Fakten und aktuellen Entwicklungen zum Skandal rund um Activision Blizzard auf.

Inhaltsverzeichnis

Update vom 18. Dezember 2023

Es gibt eine neue Entwicklung bezüglich der Klage vom 21. Juli 2021, in der die kalifornische Bürgerrechtsbehörde Civil Rights Department (CRD) – damals noch California Department of Fair Employment and Housing (DFEH) – Activision Blizzard wegen Diskriminierung von Frauen am Arbeitsplatz verklagt hat. Dabei geht es unter anderem darum, "dass ihnen Aufstiegschancen verweigert wurden und sie für im Wesentlichen ähnliche Arbeit schlechter bezahlt wurden als Männer".

Wie die CRD am 15. Dezember 2023 bekannt gab, haben sich die Behörde und Activision Blizzard außergerichtlich auf eine Vergleichsvereinbarung geeinigt, in der das Unternehmen umgerechnet ca. 50,3 Millionen Euro Entschädigungszahlungen leistet, inklusive Rechtsstreitkosten.

Sofern zuständige Gerichte dem Vergleich zustimmen, haben Frauen, die zwischen dem 12. Oktober 2015 und 31. Dezember 2020 in Kalifornien bei Activision Blizzard angestellt waren, Anspruch auf Entschädigung.

Wie der Pressemitteilung der CRD zu entnehmen ist, werden bei Zustimmung folgende Vergleichsvereinbarungen für Activision Blizzard fällig:

  • Eine Zahlung von etwa 54.875.000 US-Dollar, um die direkte Entlastung der Arbeitnehmerinnen und die Prozesskosten zu decken. Etwa 45.750.000 US-Dollar fließen in einen Fonds für die Entschädigung der Arbeitnehmerinnen. 
  • Verteilung überschüssiger Ausgleichsgelder an Wohltätigkeitsorganisationen, deren Schwerpunkt auf der Förderung von Frauen in der Videospiel- und Technologiebranche oder der Sensibilisierung für Fragen der Geschlechtergleichstellung am Arbeitsplatz liegt.
  • AB muss eine*n unabhängige*n Berater*in mit der Bewertung und Abgabe von Empfehlungen zu den Vergütungs- und Beförderungsrichtlinien und Schulungsmaterialien beauftragen.
  • AB muss die Bemühungen fortsetzen, qualifizierte Kandidat*innen aus unterrepräsentierten Gemeinschaften in die Öffentlichkeitsarbeit, Rekrutierung und Bindung einzubeziehen.

Rückblick auf Activision Blizzards Sexismus-Skandal

Am 21. Juli 2021 klagte die Bürgerrechtsbehörde California Department of Fair Employment and Housing (DFEH) Activision Blizzard an. Der Vorwurf: AB habe es nicht nur versäumt, gegen sexuelle Belästigung, ungleiche Bezahlung und schlechtere Karrierechancen für Frauen vorzugehen, sondern hätte all das sogar gefördert und auf Widerstand mit Vergeltungsmaßnahmen reagiert.

Während sich der damalige Blizzard-Präsident J. Allen Brack entschuldigte und auch CEO Robert ‘Bobby’ Kotick Besserung gelobte, wurden einige Vorwürfe in der offiziellen Stellungnahme sowie von Frances Townsend (leitende Vizepräsidentin) als "verzerrt" oder "falsch" angeprangert. (Ehemalige) Angestellte kündigten daraufhin an, nicht aufzugeben und streikten einen Tag lang. Der Zusammenschluss von ABetterABK sollte Mitarbeitenden fortan helfen, bessere Arbeitsbedingungen durchzusetzen.

In den Wochen danach folgten weitere Klagen, darunter von den Aktionären und den Eltern einer ehemaligen Mitarbeiterin. Ihre Tochter wurde am Arbeitsplatz sexuell belästigt, was ein “wesentlicher Faktor” für ihren Suizid gewesen sein soll – die Klage wurde mittlerweile ohne Stellungnahme von den Eltern fallen gelassen.

Bevor die Equal Employment Opportunity Commission (EEOC) im September 2021 gegen Activision Blizzard ebenfalls eine Klage wegen Diskriminierung und sexueller Belästigung einreichte, verließ J. Allen Brack im August – ohne Verweis auf den Skandal – das Unternehmen. Im August folgte mit Jen Oneal und Mike Ybarra eine neue Doppelspitze. Kotick blieb derweil CEO, obwohl er im November 2021 einem Bericht nach Fehlverhalten bei AB nicht nur vertuscht haben, sondern auch aktiv daran beteiligt gewesen sein soll.

Im folgenden Talk-Video besprechen unsere Kolleg*innen von der GameStar und MeinMMO den Skandal, kurz nachdem die erste Klage alles ins Rollen brachte:

Wird der Blizzard-Schock endlich was ändern? Video starten 56:56 Wird der Blizzard-Schock endlich was ändern?

So hat sich der Skandal entwickelt

Langwierige Prozesse und ihre Folgen

Die erste Klage der DFEH zieht auch viele Monate später noch einen Rattenschwanz hinter sich her. So wurde die Klage ausgeweitet, indem neben Vollzeit- auch Teilzeit-Angestellte mit aufgenommen wurden.

Activision Blizzard soll derweil belastendes Material vernichtet und mit der Anwaltskanzlei WilmerHale, die für Union Busting (das Verhindern und Zerschlagen von Gewerkschaften) bekannt ist, eigene Untersuchungen angestoßen haben – die wenig überraschend mit wenigen anerkannten Fällen zu Gunsten von AB ausgefallen sind.

Auch nachdem Mitarbeiter*innen wegen Gewerkschaftszerschlagung und Einschüchterung eine Klage einreichten, blieb der Versuch, eine gewerkschaftliche Organisation innerhalb von Activision Blizzard durchzusetzen, bislang erfolglos.

Auch die neue Doppelspitze mit Oneal und Ybarra brachte nicht die erhoffte Wendung. Im Gegenteil: Jen Oneal war nur wenige Monate Co-Chefin und verließ Ende 2021 das Unternehmen. Wie das Wall Street Journal berichtete, soll auch sie diskriminiert und sexuell belästigt worden sein, nachdem sie Zweifel an der Unternehmensführung äußerte. Sie selbst verriet, dass sie weniger Gehalt als ihr männlicher Mit-Chef Ybarra bekam.

Die Maßnahmen von Activision Blizzard

Im Kontrast dazu stehen die von Activision Blizzard im Oktober 2021 durchgeführten Kündigungen und angekündigten Maßnahmen. Der Publisher entließ mehr als 20 Personen, die mit Belästigungsvorwürfen im Zusammenhang standen. Neben weiteren Schritten wie etwa der Erweiterung des Ethik- und Compliance-Teams, sprach sich Kotick für folgenden Änderungen aus:

  • CEO Bobby Kotick ließ sein jährliches Gehalt von 875.000 auf 62.500 US-Dollar herabstufen und will auf Boni verzichten, bis die anderen Ziele erreicht worden sind.
  • Neue, striktere Regeln rund um Belästigung traten in Kraft. Es gibt keine erzwungenen Schlichtungen mehr und wer sich nach einer Beschwerde an der Person rächt, die diese eingereicht hat, wird entlassen.
  • Spätestens in fünf Jahren sollen bei Activision Blizzard mindestens 50% aller Beschäftigten weiblich oder nichtbinär sein. Das soll auch dank Investitionen, internen Programmen und Partnerschaften mit Unis umgesetzt werden.
  • Vor allem im Hinblick auf Gehälter und Gehaltsunterschiede soll es eine transparentere Kommunikation geben.
  • Der Fortschritt bei all dem wird beobachtet, überprüft und in diversen Berichten mitgeteilt. Im Mai 2023 veröffentlichte AB den ersten Transparenzbericht, der aufschlüsselte, dass 2022 von den 116 untersuchten Fällen 31 als begründet eingestuft wurden.

Trotz dieses Lichtblicks protestierten und kündigten Mitarbeitende ihren Job, nachdem im November 2021 in einem Wall Street Journal-Bericht weitere Anschuldigungen – insbesondere gegen CEO Bobby Kotick (dazu unten mehr) – laut wurden.

Im April 2022 kochte der Prozess nochmal hoch, als die stellvertretende DFEH-Chefanwältin dem kalifornischen Gouverneur und seinem Büro vorwarf, sich in den Fall einzumischen. In einer E-Mail schrieb sie, dass sie zum Beispiel wiederholt Prozessstrategien verlangten und ihrer Chefin plötzlich kündigten. Aus Protest verließ sie ebenfalls die Behörde. Beide Anwältinnen wurden kurz davor bereits ohne Erklärung vom Fall ausgeschlossen. Seitdem ist es wieder still um das mittlerweile sehr komplexe Verfahren geworden.

Auf die Beschwerde vom Equal Employment Opportunity Commission (EEOC) gegen AB folgte hingegen eine Einigung. Activision Blizzard leugnete zwar das Fehlverhalten in einer Stellungnahme, erklärte sich neben einigen Maßnahmen aber auch dazu bereit, 18 Millionen US-Dollar Entschädigung an Betroffene zu zahlen und sich drei Jahre lang staatlich überwachen zu lassen.

Um den Vergleich zu verhindern, reichte die DFEH im Oktober 2021 Einspruch ein. Die kalifornische Behörde befürchte, dass dadurch Beweise unter den Teppich gekehrt werden könnten. Die EEOC warf dem DFEH daraufhin Ethikverstöße vor, die mit zwei DFEH-Anwälten zusammenhängen, die früher für die EEOC an dem Fall beteiligt waren. AB kritisiert zusätzlich, dass der DFEH die Angestellten dazu verleitet habe, mit ihnen zu kooperieren, statt sich externe Anwälte zu nehmen.

Trotz des Hin und Her wurde das Geld mittlerweile ausgezahlt, der Rest des Fonds wurde an Reboot Representation gespendet. Zusätzlich ging der Publisher im April 2023 eine Partnerschaft mit der Vereinigung ein, die sich für schwarze, lateinamerikanische und indigene Frauen in der Technologiebranche einsetzt.

Bobby Kotick ist noch CEO

Robert Bobby Kotick ist nach wie vor CEO von Activision Blizzard. (Bild: Bobby Kotick in NYC photographed by Jordan Matter) Robert "Bobby" Kotick ist nach wie vor CEO von Activision Blizzard. (Bild: Bobby Kotick in NYC photographed by Jordan Matter)

Nur vier Monate nachdem Activision Blizzard von der DFEH verklagt wurde, veröffentlichte das Wall Street Journal einen Bericht, der CEO Bobby Kotick als persönlichen Mittäter bezeichnet. Demnach habe er trotz Hinweise von der Personalabteilung Beschuldigte gedeckt und soll selbst übergriffig geworden sein.

Beispielsweise soll eine Mitarbeiterin des CoD-Studios Sledgehammer mehrmals von Vorgesetzten vergewaltigt worden sein. Nach ihrer folgenlosen Meldung bei AB und der Polizei wurde der Fall angeblich intern geregelt und von Kotick verschwiegen. Beim Studio Treyarch soll er außerdem die Kündigung des mittlerweile ehemaligen Co-Chefs Dan Bunting verhindert haben, dem mehrfach sexuelle Belästigung vorgeworfen wird.

Laut dem Bericht habe Kotick auch selbst eine Frau aktiv belästigt und ihr in einer Voicemail sogar mit dem Tod bedroht haben. Eine andere Angestellte soll außerdem gefeuert und von ihm bedroht worden sein, weil sie sich angeblich über seine Übergriffe beschwerte.

Trotz mehrerer Rücktrittsforderungen erklärte der Vorstand, dass Kotick sich angemessen verhalten habe. Kotick ziehe demnach einen Rücktritt sogar selbst in Betracht, jedoch nur unter der Bedingung, dass er die “firmenkulturellen Probleme” nicht schnell genug aus der Welt schaffen kann.

Zum Leid vieler sitzt er nach dieser (relativierbaren) Aussage nach wie vor im CEO-Sessel von AB. Vielmehr noch hat Kotick in einem Interview mit Variety Ende Mai 2023 sogar Aussagen getätigt, die an seiner Rücktrittsabsicht zweifeln lassen. Dem CEO nach hatte AB nie ein “systemisches Problem mit Belästigung”, dafür aber eine “sehr aggressive Arbeiterbewegung”, die hart daran gearbeitet habe, “das Unternehmen zu destabilisieren.” Das schlechte Image des Unternehmens schreibt er “externen Kräften” zu, womit er unter anderem die Medien meinen dürfte.

Es wäre dennoch möglich, dass Kotick Activision Blizzard verlassen muss. Sofern der angestrebte Rekord-Deal mit Microsoft wirklich durchgewunken und AB aufgekauft wird, scheint er seinen Posten als CEO laut dem Wall Street Journal räumen zu müssen. Da er aber laut Bloomberg an die vier Millionen Activision-Aktien besitzt, dürften ihm gleichzeitig Firmenanteile von 375 Millionen US-Dollar (vor Steuern) erwarten – ein wirklich enormes Trostpflaster, das nochmal auf das ohnehin schon riesige Gehalt dazu kommt. Dass im Zuge der Klagen gegen Activision Blizzard eine Gehaltskürzung bei ihm vorgenommen wurde, ist da nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Die Mitarbeitenden kämpfen weiter

Während Activision Blizzard durch die Klagen Druck bekommt, bemühen sich die Angestellten vor allem mit einem Zusammenschluss unter dem Namen ABetterABK (A Better ABK-Work Alliance) auch selbst etwas zu bewegen.

So ist es der Verdienst der Mitarbeitenden, dass AB einen Teil der temporären Arbeitsverträge in Vollzeitverträge mit besserer Bezahlung und Sozialleistung umgewandelt hat. Außerdem wurde von Entwickler*innen ein Zeichen mit der Umbenennung des Overwatch-Charakters McCree gesetzt, der seinen ursprünglichen Namen von einem in den Skandal verstrickten Chefdesigner hat.

Der Versuch, beim Publisher eine Gewerkschaft zu etablieren, war jedoch erfolglos. Abseits von Petitionen und anderen Maßnahmen kämpft ABetterABK seit mehreren Wochen dafür, dass die Regeln für die Rückkehr in die Büros (nach der Corona-Pandemie) aufgelockert werden.

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Activision Blizzard lässt zwar Anträge auf Ausnahmen zu, damit beispielsweise gesundheitlich beeinträchtigte Personen im Home Office arbeiten dürfen, lehnt davon aber viele ab, wie die Gruppe auf Twitter schreibt. Außerdem sollen Angestellte, die sich darüber beschwert haben, ohne Vorwarnung entlassen worden sein. Damit schadet AB nicht nur den Mitarbeiter*innen, sondern fördert auch Kündigungen und vertreibt neue Talente, was wiederum auf die Produkte zurückfällt. 

Ein besorgter Brief an das Unternehmen half nichts, weshalb mit Hilfe der Mediengewerkschaft Communications Workers of America (CWA) eine Beschwerde wegen unlauterer Arbeitspraktiken eingereicht wurde.

Meilenstein bei Raven Software: Im Gegensatz dazu können die QA-Mitarbeiter*innen (Qualitätssicherung) von Raven Software einen großen Erfolg verbuchen. Nachdem im Dezember 2021 unerwartet zwölf Personen entlassen wurden, versuchten sie sich als Game Workers Alliance (GWA) gewerkschaftlich zu organisieren. Activision Blizzard wollte das verhindern. Mitarbeiter*innen wurden beispielsweise bedroht und in andere Teams gesteckt. Außerdem setzte AB auf eine Firma, die für Union Busting (Gewerkschaftszerschlagung) bekannt ist:

Mit der Genehmigung des National Labour Relations Board (NLRB) stimmten im April 2022 19 von 22 Mitarbeiter*innen allerdings für eine Videospielgewerkschaft ab – die zweite in den USA.

Trotz kleiner Schritte in die richtige Richtung leiden die Mitarbeitenden nach wie vor unter der toxischen Arbeitskultur von Activision Blizzard. Immer wieder müssen sie sich mühsam gegen ihren Arbeitgeber stellen, um Besserungen anzustoßen und riskieren damit nicht nur ihren Job, sondern auch ihre Gesundheit. Der Publisher ist also auch gut zwei Jahre nach der ersten Klage noch problembehaftet und längst nicht in einem Maße auf dem Weg der Besserung, das die Angestellten verdienen. Die Übernahme von Microsoft könnte aber ein Lichtstreif am Horizont sein, sofern sie denn bewilligt wird und Microsoft wie angekündigt nötige Maßnahmen ergreift.