Matsch. Überall Matsch. Auf den Dorfwegen, auf den verschlungenen Waldpfaden, auf den Höfen, auf dem Steinbruchgelände. Dazwischen Pfützen - voller kleiner Kreise, die sich für Sekundenbruchteile bilden, wenn Regentropfen reinklatschen. Und jetzt wird's auch noch langsam dunkel, nur die gelegentlichen Blitze und vorbeihuschenden Dorfbewohner mit ihren Laternen erhellen die Hütten um uns herum. Immer wieder fallen uns die Augen kurz zu, die Umgebung verschwimmt - wir sind hundemüde. Doch als wir in einer leerstehenden Kate endlich eine Pritsche finden, können wir vor Hunger nicht schlafen.
Dabei hat das Rollenspiel Kingdom Come: Deliverance doch so wunderschön angefangen! Strahlender Himmel, darunter ein malerisches Dorf, wie es so typisch ist für Böhmen im Jahr 1403. Angelegt an einem Bach, der in einen Teich mündet, alles scheinbar völlig planlos angelegt, kaum rechte Winkel, der Bach wird mal auf ein paar hingeworfenen Brettern, mal auf einer stabilen Holzbrücke, dann wieder durch eine Furt mit ein paar Trittsteinen überquert. Vor einer Schänke, auf die kein Schild hinweist, sind ein paar grobe Tische und Bänke aufgereiht, Soldaten und Arbeiter trinken langsam, auch ein Händler ist darunter, der nebenan seine Waren feilbietet - doch das finden wir erst heraus, als wir ihn ansprechen.
Plus-Report: Mount & Blade - Der Nischenkönig
Mount and Raid
Ansprechen werden wir in nächster Zeit viele Bewohner, und nicht alle wollen handeln, ganz im Gegenteil. Denn wir sind sozusagen im Auftrag des Herrn unterwegs: Als Henry, Sohn eines Schmieds, sollen wir eine Reihe von Überfällen aufklären, deren Zeugen und Mitwisser einer nach dem anderen brutal beseitigt wurden. Und so schickt uns Sir Robard, Hauptmann der Garnison von Burg Talmberg, auf eine Spur, die wir selber entdeckt haben: Ein gewisser »Reeky« hat irgendwie mit den Morden zu tun. Dass wir an den Anführer der Burgwache berichten, der an seinen Lehnsherr Sir Divisch von Talmberg berichtet, der an Lord Sir Radzig Kobyla berichtet, zeigt schon, was für ein verdammt kleines Licht wir sind. Also klettern wir auf unser Pferd und machen uns auf die Jagd nach diesem ominösen Reeky.
Doch die Jagd wird zur Schnitzeljagd: Statt zu einem großen Kreuz auf der Landkarte zu reiten, müssen wir über Multiplechoice-Dialoge mit den Dorfbewohnern ermitteln, wo der Kerl stecken könnte. Schnell finden wir heraus, dass Reeky eigentlich Hynek heißt, aber Reeky (»Stinker«) genannt wird, weil er a) Sohn eines Gerbers ist und b) es mit der Körperpflege nicht ganz so genau nimmt. Es sei denn, eine gewisse Adela steigt mit in die Wanne. Also suchen wir die Maid im örtlichen Badehaus auf und erfahren, dass er vor ein paar Tagen im Wald verschwunden ist, voller Angst und total betrunken. Ach ja, Geld hat er auch noch vergraben, berichtet sie, beim Vater auf dem Hof, in der Nordecke vom Zaun.
Mitdenken statt Abhaken
Kingdom Come: Delieverance spielt im Jahr 1403. König Wenzel IV. wird von seinem Halbbruder Sigismund abgesetzt und verhaftet. Das Rollenspiel basiert auf diesen historischen Ereignissen, statt mit Drachen und Einhörnern bekommen wir es mit Söldnerheeren zu tun, die unter anderem unsere Familie auf dem Gewissen haben.
Kingdom Come ist kein Spiel, das uns mit der Nase auf alles stupst, Ausrufe- und Fragezeichen über Questgeber tackert und mit rot eingeblendeten Linien zum Ziel dirigiert. Nein, hier müssen wir vieles selbst herausfinden. Wo genau sich Reeky im Wald versteckt haben könnte, weiß nicht jeder Dorfbewohner - der eine war zu betrunken, um sich an das Versteck zu erinnern, der andere mauert, ein dritter erzählt immer nur, dass Reeky total unbeliebt ist und stets in falscher Gesellschaft. Wir können drohen und freundlich sein, uns als Reekys bester Freund oder schlimmster Alptraum ausgeben - alles hat Konsequenzen. Wenn wir zum Beispiel einem gut bewaffneten Soldaten per Dialogauswahl drohen wollen und scheitern, kann der Kerl uns angreifen. Erst mit dem richtigen Gesprächspartner und richtigem Auftreten finden wir heraus, wo genau Reekys Versteck liegt. Und erst dann taucht auch ein Questsymbol auf dem immer oben eingeblendeten Kompass und auf der Landkarte auf.
Es sind Kleinigkeiten, die sogar das eigentlich simple Dialogmenü schick machen. Denn die Gespräche finden immer in der tatsächlichen Umgebung statt: Wenn wir bei strömenden Regen einen Bauern ansprechen, während hinter ihm Hühner gackern und seine Gattin den Hof fegt, regnet, gackert und fegt es auch in den folgenden Kameraeinstellungen. Gleiches gilt auch fürs Feilschen bei einem Handel, einer Art Minispiel, bei dem wir über einen Balken möglichst niedrig bieten, ohne dass sich eine »Händler platzt vor Wut«-Anzeige komplett füllt. Einfach mal rumprobieren ist nicht, stattdessen sollten wir genau hinhören, wie unser jeweiliges Gegenüber antwortet.
Ein ganz normaler Typ
Wir befehligen keine Armee wie in Mount and Blade 2, wir besitzen keine Festung, führen keine Belagerungsschlachten an (obwohl wir im fertigen Spiel an einer teilnehmen sollen). Unser Henry ist kein Superheld. Das »immer wieder fallen uns die Augen zu«, das wir oben beschrieben haben, stimmt wortwörtlich: Wenn Henry zu lange ohne Schlaf bleibt oder zu wenig isst, wird der Bildschirm immer wieder kurz von oben nach unten schwarz (Augenlider gehen zu), oder die Umgebung verschwimmt (Henry ist schlecht vor Hunger). Allerding sollten wir uns spätestens bei Einbruch der Dunkelheit sowieso Bett, Strohmatte oder Pritsche suchen, denn nachts ist es richtig, richtig dunkel - da merkt man erst, wie stark heutzutage passive Lichtquellen durch Städte und Fahrzeuge sind. Wir können zwar eine Fackel entzünden, doch das sieht zwar hübsch aus, erhellt aber nur die nächsten paar Meter.
Aber auch jenseits von Hunger und Schlafmangel ist Henry kein Superheld. Wie alle anderen Figuren im Spiel hat er keine exorbitanten Hitpoints, sondern immer dieselben. Wie viel Schaden er mit einem Schwerttreffer aussteilt oder einsteckt, hängt stark von seiner Ausrüstung ab. Ein Plattenpanzer ist zum Beispiel ideal gegen Angreifer mit Schwert, weil die Klinge schlicht nicht durchkommt. Doch wehe, unser Gegenüber schwingt eine stumpfe Waffe wie eine Keule oder gar einen Kriegshammer - dann werden wir in unserem Panzer wahrlich zusammengeprügelt. Mit der falschen Rüstung und übermüdet in den Kampf zu ziehen, ist deshalb eine schlechte Idee. Die richtige Vorbereitung (auspennen, essen, umziehen, Waffenwahl) kann über Sieg oder Tod entscheiden!
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