Nach unzähligen Stunden mit Hotline Miami 2: Wrong Number halten wir zwei Dinge fest: Zum einen ist die Indie-Metzelei in jeder Hinsicht opulenter als ihr Vorgänger. Zum anderen ist sie ein Paradebeispiel dafür, dass die kreative Freiheit einer Indie-Produktion ein zweischneidiges Schwert sein kann. Zuerst die positive Seite: Gerade Indie-Spiele haben die Möglichkeit, selbst abgebrühte Spieler noch richtig überraschen zu können. Indie-Entwickler schaffen das, indem sie den Konventionen »großer« Produktionen den Mittelfinger zeigen. Stattdessen machen sie einfach, was ihnen in den Sinn kommt.
Zumindest stellt man es sich so vor, wenn wieder eine völlig abgedrehte Idee eine Nische in der Spielelandschaft besetzt, von der weder Spieler noch Kritiker wussten, dass sie überhaupt existiert. Die Hotline-Miami-Spiele tun genau das. Denn wer hätte gedacht, dass 80er-Jahre-Ballereien aus der Vogelperspektive mit Pixellook und brutalem Schwierigkeitsgrad so eine positive Resonanz auslösen würden?
Dass unter anderem ein treibender Soundtrack und ein unglaublich flotter Spielfluss die Jagd auf Mafiafieslinge zum schrill-brutalen Kunstwerk machen? Aber es gibt eben auch eine Kehrseite: Gerade diese einzigartige Nische kann einem eigentlich großartigen Indie-Spiel gleichzeitig zum Verhängnis werden. Und auch dafür ist Hotline Miami 2 ein Paradebeispiel.
Sieger der Herzen
Auf den ersten Blick kann man leicht missverstehen, womit die Hotline-Miami-Spiele die Herzen der Spieler erobern. Denn was sich da präsentiert, ist vor allem eins: blutig. Hotline Miami 2 provoziert noch drastischer als sein Vorgänger - am Ende der Kampagne haben wir Hunderte von Menschen bestialisch um die Ecke gebracht, darunter auch viele Unschuldige. Wir haben die Gegner mit Messern erdolcht, mit Kettensägen malträtiert, mit Schrotflinten erschossen.
Und dann gibt's da noch diese Vergewaltigungsszene, die im Vorfeld selbst in Fankreisen für Aufruhr gesorgt hat (und die sich vielleicht gerade deshalb im Optionsmenü ausschalten lässt). Provokation gehört zum Markenimage, natürlich steckt da auch Vermarktungskalkül dahinter.
Aber wer sich davon nicht abschrecken oder ablenken lässt, der entdeckt hinter der Splatter-Fassade eine komplexe Geschichte. Und die punktet mit einer innovativen Erzählweise, die uns wenig verrät, mit Leerstellen arbeitet, den Spieler in die Story miteinbezieht. Das gilt alles schon für den ersten Teil, in dem wir in der Rolle eines maskierten Vigilanten russische Mafiosi ermorden müssen, weil uns bedrohliche anonyme Anrufe keine andere Wahl lassen.
Dort ist die Suche nach den Hintergründen wendungsreich und komplex und fordert ordentlich Grips. Doch zumindest in puncto Komplexität lässt Hotline Miami 2 den Vorgänger wie ein Mathebuch für Grundschüler aussehen. Statt einer Figur steuern wir jetzt satte 13 Charaktere, die Geschichte spielt nicht einfach nach Teil 1, sondern auch davor und währenddessen.
Mal verfolgen wir einen Soldaten, der auf Hawaii russische Außenposten attackiert, dann schlüpfen wir in die Haut eines Ermittlers, der einen Serienkiller jagt, gleichzeitig aber einen persönlichen Feldzug gegen die Mafia führt. Weiterhin gibt's noch eine Truppe von Fans, die den »Helden« des ersten Hotline Miami verehrt und ebenfalls grausame Anschläge verübt.
Am harmlosesten ist da noch Journalist Evan, der dem maskierten Vigilanten nachspürt und als Einziger auf nicht-tödliche Gewalt zurückgreift (wir hauen die Gegner nur KO). Die Geschichte ist weit weniger linear als die des Vorgängers und arbeitet statt mit einer stringenten und wendungsreichen Handlung lieber mit unterschiedlichen Perspektiven.
Weniger ist manchmal mehr
Folglich sorgen die vielen Charaktere und wechselnden Schauplätze für eine noch undurchsichtigere Story. Was das alles mit der Handlung des Vorgängers zu tun hat, ist mal mehr, mal weniger ersichtlich. Aber wer das Ende verstehen will, muss äußerst genau aufpassen, die Hinterhöfe, Lagerhäuser und Appartementgebäude mit wachem Auge untersuchen und die kryptischen Dialoge im Kopf zerlegen. Das Zusammenpuzzeln der einzelnen Storyfragmente zu einem großen Ganzen motiviert sehr. Allerdings ist hier der Weg lohnender als das Ziel selbst, denn uns lässt dieses Gesamtbild ein wenig enttäuscht zurück, nachdem wir es zusammengebastelt haben.
Die Hintergrundgeschichte ist weniger spannend als im Vorgänger. Hotline Miami 2 fehlen spannende Wendungen, die vielen Charaktere ziehen uns interessanterweise weniger in den Bann als die eine Hauptfigur des Vorgängers, obwohl im Nachfolger deutlich mehr geredet wird. Die Story hat weniger zu sagen, sie ist mehr eine Ergänzung der eigentlichen Geschichte. Zwar rundet sie die beiden Teile mit einem abschließenden Ende ab, das befriedigt uns aber weniger als die offenen Fragen nach dem Ende des Vorgängers.
Kein Level-Editor?Anders als die PC-Version bekommt die Konsolenfassung von Hotline Miami 2 keinen Level-Editor spendiert! Auf diesen Unterschied weist der Entwickler kaum hin; wer auf nutzererstellte Missionen gehofft hat, schaut also zumindest bei der PS4-Fassung in die Röhre.
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