Der Tag der Ragnarök wird kommen! Dann werden die Toten aus ihren Gräbern steigen, die Eisriesen ihre Höhlen verlassen, die Zwerge zum Kampf rüsten und die Götter die letzte große Schlacht um das Schicksal der Welt schlagen. So beschreibt die nordische Mythologie die letzten Tage unserer Welt, die die Bibel "Apokalypse" nennt.
Auch Senua, eine junge Kriegerin und Hauptfigur von Hellblade: Senua's Sacrifice, wird auf ganz besondere Weise Teil dieses Ragnaröks und rüstet sich während der rund acht Spielstunden in einer nordisch-frühmittelalterlichen Fantasy-Welt für eine schwere Schlacht, die sie im großen Finale schließlich überstehen muss. Der Weg dorthin ist gepflastert mit einigen überraschend innovativen Gameplay-Ideen, die selbst schwierige Themen erfahrbar und mittelbar machen.
Eine gezeichnete Kriegerin
Senua hat zu Beginn des Abenteuers trotz ihres jungen Alters bereits eine bewegende Biographie mit vielen lebensverändernden Einschnitten vorzuweisen. Ihr Elternhaus ist zerrüttet, das Heimatdorf wurde von Nordmännern niedergebrannt, ihr Geliebter Dillion schließlich starb einen grausamen Tod. Senua beschließt, ihren Mann, einzigen Freund und Verbündeten aus dem Höllenreich wieder zurück ins Leben zu holen und reist nach Helheim. Dort will sie Hel, der Herrscherin der nordischen Unterwelt, persönlich entgegentreten und Dillions Seele zurückerobern.
Hellblade und die Psyche
Die korrekte und angemessene Darstellung mentaler Erkrankungen wie Depressionen und Schizophrenie ist dem Entwicklerteam von Ninja Theory sichtbar wichtig. So sprachen sie während der Entwicklung mit vielen Experten und Betroffenen über Symptome und Verhaltensweisen der Patienten, um daraus eine glaubwürdige und nicht etwa überdramatisierte oder stilisierte Darstellung von mentalen Krankheiten mit dem Charakter von Senua zu vereinen. Die junge Kriegerin wird von Albträumen geplagt, hört Stimmen und ist traumatisiert - und das, was wir auf dem Bildschirm sehen, sucht lobenswerterweise eher die Nähe zur Realität als zur spektakulären Fantasy-Inszenierung.
Das wirklich besondere an dieser Hintergrundgeschichte ist aber die Art und Weise, wie sie uns im Spiel vorgestellt wird. Statt eines klassischen Kurzfilm-Intros oder langen Erklärbärtexten hält sich das Entwicklerteam von Ninja Theory klugerweise an die goldene Regel Show, don't tell! und liefert mit dem Spieleinstieg einen ersten, frühen Höhepunkt ab.
Aus der Nebelbank, die über einem großen See liegt, bricht ein kleines Ruderboot, auf dem Senua steht und angestrengt in die Dunstschwaden vor ihr blickt. Gleichzeitig dröhnen aus unseren Kopfhörern dutzende Stimmen, die durcheinander sprechen, zischen, flüstern und schreien. Wir können nur einzelne Wortfetzen ausmachen, "Du suchst vergeblich!", "Kehre um!" und "Gib nicht auf!"
Ähnlich verwirrt wie wir als Spieler reagiert auch Senua auf diese Kakophonie. Sie wirkt angespannt und blickt sich immer wieder gehetzt, fast ängstlich um. Wir drücken instinktiv auf dem Controller herum und versuchen irgendwie, dieser unangenehmen Situation zu entkommen. Aber Senua kann ihr Boot nicht verlassen, muss den Stimmen standhalten, auf ihre eigene Stärke vertrauen und abwarten, wohin sie die Strömung treibt.
Damit haben wir die erste und vielleicht wichtigste Lektion von Hellblade bereits gelernt: Vor den Stimmen gibt es kein Entkommen. Vielmehr müssen wir lernen, mit ihnen zu leben, ihnen zu vertrauen - oder zur rechten Zeit auch ihren Rat in Frage zu stellen.
Wer braucht schon ein Interface?
Nachdem Senua am Ufer der Unterwelt ihrem Boot entsteigt, warten wir instinktiv einige Sekunden darauf, dass das Interface mit den gewohnten Info-Einblendungen auftaucht. Aber Überraschung: Ninja Theory hat sich dazu entschlossen, die Reise von Senua mit keinem einzigen Interface-Element zu stören, sondern uns jede nötige Information selbst entdecken, beobachten und lernen zu lassen.
In der Praxis stellt sich das als eindeutig richtige Entscheidung heraus - und das nicht nur, weil wir deswegen die teils wirklich hübschen Areale ungestört und auf Wunsch auch im Foto-Modus genießen können.
Denn Hellblade profitiert fast durchgängig von den Konsequenzen dieser selbstauferlegten Einschränkung: Statt eines klassischen Lebensbalkens wird die Soundkulisse beispielsweise nach schweren Verletzungen zurückgeschraubt und die Farbsättigung der Spielwelt reduziert, bis schließlich auch Senuas Bewegungen schwerfällig werden und die Kriegerin an ihre gut sichtbaren Wunden greift.
Das sieht alles nicht nur super aus und erhält die Immersion, sondern stellt auch an erfahrene Spieler die ungewohnte Herausforderung, sich auf die eigenen Augen und nicht bequeme Einblendungen verlassen zu müssen.
Dieses System macht sich vor allem in den regelmäßigen Kämpfen gegen Tiermenschen und andere Monster positiv bemerkbar, die auch ohne diesen spannenden Lebensbalken-Ersatz überraschend viel Spaß machen. Diese Gefechte können zwar weder mit der Finesse des Duell-Simulators For Honor, noch mit dem anspruchsvollen Rhythmus-Tastendrücken der jüngsten Batman-Spiele mithalten, bieten allerdings einen anderen, ganz besonderen Reiz: Das lebensgefährliche Risiko der Niederlage.
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