Als LucasArts 1995 das Roadmovie-Adventure Full Throttle für den PC herausbringt, wirkt es ein wenig wie aus der Zeit geplumpst. Alle Welt setzt damals auf den schicken SVGA-Grafikstandard, digitalisiert Schauspieler und schielt kräftig gen Hollywood. Doch Monkey-Island-Erfinder Tim Schafer und seine Crew pfeifen auf solch neumodisches Gedöns – und liefern ein Adventure in grober VGA-Grafik und mit flotten Comic-Animationen.
Und sie gehen sogar noch weiter: Ein Teil der Action-Sequenzen spielt auf einer Straße in der Wüste, und hier soll eigentlich die INSANE-Engine aus dem zeitgleich bei LucasArts entstehenden CD-Rom-Vorzeigetitel Rebel Assault zum Einsatz kommen. Doch die verträgt sich nicht mit der klassischen SCUMM-Engine, also wird Letztere überarbeitet, bis beide miteinander klarkommen.
Aber jetzt gibt es ein neues Problem: Weil Rebel Assault ja so fotorealistisch wie möglich aussehen soll, wirkt auch die Wüste in Full Throttle viel zu real. Auch der Parallax-Himmel sieht zu echt aus und passt nicht zur Cartoon-Optik des Adventures. Kurzerhand skaliert das Team die Grafik runter, damit alles wie aus einem Guss wirkt.
Skywalker auf der dunklen Seite
Aber keine Sorge, für Full Throttle Remastered haben Tim Schafer und sein Team von Double Fine keine fotorealistischen Effekte draufgepappt, sondern den Look wirklich rundum gelungen überarbeitet und das Spiel erstmals auch auf Konsolen gebracht, zumindest auf die PlayStation 4.
Dank 16:9 und HD ist der Detailgrad wesentlich höher, ohne den klassischen Grafikstil zu versaubeuteln. Durch das Breitbildformat wirkt die Neuauflage viel cineastischer als früher, was den langen Zwischensequenzen und vielen kurzen Kamerawechseln wie Nahaufnahmen und Totalen zugutekommt. Per Buttondruck können wir jederzeit und nahtlos zur originalen VGA-Grafik in 4:3 umschalten.
Beim Sound hingegen halten sich die Verbesserungen in Grenzen. Was daran liegt, dass Full Throttle in dieser Disziplin schon damals erstklassig war: Der rockstarke Soundtrack, hochklassige Sprecher wie Mark Hamill als Bösewicht Ripburger und grandiose Motorensounds können sich auch heute noch absolut hören lassen.
Dabei gehen die Entwickler damals so ungewöhnliche Wege wie bei der heruntergeschraubten Grafik: Für die Motorensounds der rivalisierenden Biker-Gangs nehmen sie das wütende Brummen von Bienen in einem Glas und spielen den Sound mal schneller, mal langsamer ab. Für das wuchtige Bike von Held Ben wird ein echter Biker aus San Francisco angeheuert, der mit seiner aufgemotzten Lieblings-Harley vorbeiknattert. Und dabei so viel Luftdruck erzeugt, dass links und rechts die Alarmanlagen der parkenden Autos anspringen.
"Tim, riecht das nach Benzin?"
Diese ganzen Hintergrundinfos bekommt ihr im Spiel auf Knopfdruck. Bei Bedarf schmeißt ihr nämlich den Audio-Kommentar an, der wirklich klasse ist. Gleich sechs der damals am Spiel Beteiligten schwelgen hier in Erinnerungen und verraten technische Hintergründe. Zum Beispiel, dass der Sound der Band "The Gone Jackals" so schmissig klingt, weil der etwas eigenwillige Tontechniker die Musik damals in Kopfhörerqualität direkt an den Soundblastereingang geliefert hat - das bringt Profis zwar zum Heulen, sorgt aber für einen ganz speziellen Klang.
Und wir erfahren, dass in einer Schrottplatzszene das alte Auto von Tim Schafer zu sehen ist. Sein 69er LeMans GTO ist nämlich just in dem Moment wegen eines kaputten Benzinschlauchs fast komplett ausgebrannt, als der Grafiker gerade die Schrottplatzwracks gezeichnet hat. Das Auto hat Tim Schafer heute noch in einer Garage stehen.
Hoppla, jetzt haben wir vor lauter Zeitreise das eigentliche Spiel vergessen. Macht aber nichts, das holen wir hiermit nach: Full Throttle spielt in einer parallelen Zeitlinie in den USA. Die Staaten erleben gerade den Übergang von bereiften Fahrzeugen hin zu schwebenden Autos und Motorrädern. Der letzte Hersteller klassischer Motorräder ist Corley Motors, doch selbst deren Chef lässt sich in einer Hovercraft-Limo herumkutschieren.
Wir spielen den beinharten Biker Ben, der in eine Intrige aus Mord und Macht gerät und seine alte Gang sowie neue Freunde retten muss. Dabei treffen wir zwar auf abgedrehte Figuren wie den Übelwicht Ripburger oder die hibbelige Fotoreporterin Miranda, doch unterm Strich sind die Charaktere weniger skurril als ihre Kollegen auf Monkey Island oder in der Tentakelvilla.
Rätsel & Randale
Auch bei den Rätseln kommt Full Throttle nicht an die Genrespitzenreiter aus dem eigenen Stall heran. Fast alle der ohnehin wenigen Gegenstände setzen wir ein paar Sekunden oder ein, zwei Bildschirme später ein, es gibt kaum Item-Kombinationen, fast alle Lösungen liegen gleich auf der Hand. Es lauern auch keine Sackgassen oder falschen Fährten, selbst Kettensäge und Benzinkanister kommen konventionell zum Einsatz.
Full Throttle Remastered PS4 - Screenshots ansehen
Nun ja, fast konventionell: Die Kettensäge ist nämlich die mächtigste Waffe für die legendären Motorrad-Duelle, in denen wir rivalisierende Biker von ihren Maschinen schubsen. Mit Faust, Fußtritt, Motorradkette oder zuvor gemopsten Dünger greifen wir die neben uns fahrenden Rocker an, indem wir per Gamepad lenken und schlagen.
Damals ziemlich kultig sind die simplen Action-Einlagen (später gibt's noch ein Crash-Autorennen) heute spielerisch arg mau, wenn nicht gar nervig – wir haben in den letzten zwei Jahrzehnten schlicht zu viele Quicktime-Events erlebt. Allerdings wäre Full Throttle ohne die Stunt-Einlagen endgültig viel zu kurz: Nach drei bis vier Stunden dürften auch Adventure-Einsteiger, die die Lösung nicht im Kopf haben, locker durch sein. Für rund 15 Euro ist das aber immer noch länger als ein gleich teurer Kinoabend. Und mindestens genauso unterhaltsam.
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