Nintendos Fire Emblem deprimiert mich. Und das seit Jahren. Von den mittlerweile 14 veröffentlichten Serienteilen habe ich 13 gespielt (Radiant Dawn liegt immer noch jungfräulich in meinem Elternhaus), einige sogar mehrfach. Auf mein Erfahrungskonto gehen unzählige Schlachten mit unzähligen Helden, die mir alle ans Herz gewachsen sind. Mit denen ich einige der atemberaubendsten Momente meiner Spielerlaufbahn erleben konnte. Und immer, wenn ich zu meinen gaming-affinen Freunden und Bekannten laufe und sage »Hey, Fire Emblem ist der absolute Hammer!«, kommt nur zurück: »War das nicht so ein Gameboy-Spiel?«
Nein! Fire Emblem ist viel mehr als »so ein Gameboy-Spiel«. Es bietet einen fantastischen Mix aus Rollen- und Strategiespiel, vereint clevere Taktikgefechte mit einer fesselnden Geschichte und erschafft damit einige der besten Subgenre-Vertreter überhaupt - und das seit 26 Jahren. Mich deprimiert, dass erst Fire Emblem: Awakening 2013 den Mainstream-Funken so einigermaßen entfachen konnte, nachdem diese grandiose Serie so viele Jahre im Schatten größerer Releases verbringen musste. Und dabei sollte Awakening angesichts der schwierigen Nischen-Verkaufslage eigentlich der letzte Ableger werden. Jeder Nintendo-Fan sollte froh sein, dass es stattdessen ein Erfolg wurde.
Denn nur deshalb bekommen wir jetzt Fire Emblem Fates, das sich guten Gewissens aufs Siegertreppchen der besten 3DS-Spiele aller Zeiten stellen könnte. Die beiden Editionen Vermächtnis und Herrschaft ergeben gemeinsam ein Meisterwerk, das ich während meines Tests Tag und Nacht nicht mehr aus den Händen geben wollte.
Welche Edition kaufen? Ähnlich wie bei Pokémon gibt's auch von Fire Emblem Fates zwei Editionen. Allerdings unterscheiden die sich gravierend voneinander. In Vermächtnis kämpft man für das asiatisch angehauchte Reich Hoshido, in Herrschaft für das »europäische« Nohr. Vermächtnis richtet sich an all die Spieler, die keine langjährige Erfahrung mit Fire Emblem haben und sich eine Spielerfahrung wünschen, die ähnlich ist wie Awakening. Hier kann man auf der Weltkarte auch Erfahrung grinden. Herrschaft sollte man hingegen nur spielen, wenn man ein echter Profi ist - die Erfahrungspunkte-Anzahl bleibt begrenzt, stattdessen sind die einzelnen Kapitel knackiger, haben häufig Rundenlimits und fordern ordentlich Taktikgenie. Wenn man eine Edition besitzt, lässt sich die andere als vergünstigter DLC dazukaufen. Es lohnt also nicht, sich beide Spiele zum Vollpreis zuzulegen. Übrigens: Es gibt noch eine dritte Kampagne namens Revelation, in der man sich keiner der beiden Seiten anschließt - die konnten wir aber bisher nicht testen.
Ritter oder Samurai?
Wie in jedem Fire Emblem geht's auch in Fates um einen gigantischen Krieg: Die mittelalterliche Fantasy-Welt von Fire Emblem Fates ist gespalten. Das asiatisch angehauchte Königreich Hoshido befindet sich seit Ewigkeiten im Konflikt mit dem eher europäisch inspirierten Nohr. Der Held der Geschichte stammt als Prinz eigentlich aus Hoshido, wurde aber als Kind von Nohr entführt und ist dort am Hof wie ein echtes Familienmitglied aufgewachsen. Zu Beginn der Handlung gerät er zum ersten Mal aktiv zwischen die Fronten, erfährt von seiner eigenen Herkunft und muss sich entscheiden: Kämpfe ich für die leibliche Verwandtschaft oder meine Adoptivfamilie?
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Wie genau dieser Held aussehen soll, kann ich übrigens selbst entscheiden. Wie in Fire Emblem 12 und 13 bastelt man beim Spielstart im Editor seinen Wunschkrieger zusammen, wählt Aussehen, Geburtstag und Klasse. Anders als in den Vorgängern verkörpere ich in Fates nicht einfach einen loyalen Kumpel des Prinzen. Diesmal bin ich selbst die Hauptfigur.
Das klingt nach einer coolen Idee, hat aber den Nachteil, dass der Avatar im Vergleich zu den Lords früherer Fire Emblems eher blass ausfällt, weil sich ja jeder Spielertyp darin wiederfinden soll. Den kratzbürstigen Charme eines Ike (Teil 9 und 10) erreicht der neue Held an keiner Stelle.
Rein spielerisch ist er aber trotzdem der Dreh- und Angelpunkt des Geschehens. Wie in jedem Fire Emblem muss ich auch in Fates (unabhängig von den Editionen) knapp 30 große Kapitel absolvieren, indem ich mit meiner Armee aus Helden in die Schlacht ziehe und in rundenbasierten Kämpfen ordentlich austeile. Entscheidungen treffe ich auf der Übersichtskarte, Kämpfe finden in der hübschen Gefechtsansicht statt.
Der Umfang einer Kampagne entspricht dabei etwa der Länge von Awakening. Zählt man beide Editionen und die versteckte Bonuskampagne zusammen, kommt man etwa auf das Dreifache an Spielzeit. In Fates kann man sich gut und gerne wochenlang verlieren.
Kinder kriegen auf dem Schlachtfeld
Und dass man in der Welt von Nohr und Hoshido auch tatsächlich Wochen verbringen will, liegt an der grandiosen Vermischung von motivierenden Spiel- und Storymechaniken. Jeder Anführer in der Armee des eigenen Helden hat eine eigene Persönlichkeit - von meiner Kammerzofe Felicia über denen altgedienten General Gunter bis zum Bauernmädchen Mozu bietet jede Figur eine individuelle Geschichte, die ich entdecken kann. Mozu rekrutiere ich beispielsweise als einzige Überlebende eines grausamen Dorfmassakers.
Ob ich alle Charaktere kennenlerne, hängt dabei ganz von mir ab: In den Schlachten kann ich Bündnisse schmieden, gezielt Freundschaften entstehen lassen und mich sogar verlieben. Zig Helden sind miteinander »liebeskompatibel«, bekommen sogar Kinder, die dann wiederum als spielbare Figuren zu meinen Reihen stoßen.
Das war in Awakening auch schon möglich, in Fates bekommen die Charaktere aber einen ganz besonderen Twist: Da man sich ja in jeder Edition für eine Seite entscheidet, werden beispielsweise die Verbündeten von Vermächtnis in Herrschaft zu meinen erbittertsten Feinden. Das sorgt für immense Dramatik, weil man eben zwei Perspektiven auf den Krieg bekommt, die man gleichermaßen nachvollziehen kann.
Klar, in vielen Gesprächen zwischen Charakteren im Lager geht's nach wie vor ein bisschen kitschig zur Sache, wenn vordergründig über Süßigkeiten-Vorlieben und Waschgewohnheiten geplaudert wird. Aber auf globaler Ebene begegnet man jeder Figur jetzt von zwei möglichen Seiten - das sorgt für weit mehr Tiefgang als im Vorgänger und macht aus der eigentlich recht klassischen Story eine unheimlich fesselnde und emotionale Erfahrung.
Auch spielerisch greift Fates alle Stärken von Awakening auf und vertieft sie: Zu den mehr als 40 Charakterklassen werden im Nachfolger weit über 60. Das Schere-Stein-Papier-Prinzip zwischen den einzelnen Schlagwaffen und Magietypen (Schwert sticht Axt und so weiter) weitet sich jetzt auch auf Fernkampfwaffen aus. Das Rollenspielsystem wird dadurch noch komplexer, weil ich mir genau überlegen muss, in welche Klasse sich meine Figuren entwickeln wollen und mit wem sie am besten Reihe in Reihe stehen. Hinzu gesellen sich nette Zusatz-Features wie der Bau einer eigenen Festung.
Fire Emblem Fates muss man erleben, um den unglaublichen Sog der einzelnen Spielmechaniken nachvollziehen zu können. Egal, welche Episode ich spiele: Beim Testen konnte ich den 3DS einfach nicht mehr aus der Hand legen. Hier noch eine Story-Schlacht, hier noch ein Scharmützel auf der Weltkarte, dann noch ein wenig Support-Gespräche führen, Festung aufbauen, Waffen aufstocken - und schon gehen die Stunden dahin. Wenn Awakening als Best-Of aller vorherigen Serienteile eine neue Grundlage für ein modernes Publikum erschaffen hat, dann bringt Fire Emblem Fates dieses Konzept durch zig Erweiterungen zur überragenden Meisterschaft.
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