Die laufende Formel 1-Saison ist dank des geänderten Regelwerks eine der spannendsten aller Zeiten und die große Frage war, ob Codemasters es schafft, aus all den Neuerungen ein erneut hervorragendes Lizenzspiel zu basteln. Im Test hat sich herausgestellt, dass F1 22 für PS4, PS5 und aktuelle Xbox-Konsolen zwar die neuen Boliden toll auf den Asphalt bekommt, die größten Änderungen im Vergleich zum Vorgänger, wie F1 Life und die Integration von fahrbaren Supersportwagen, der Reihe aber mehr schaden als positiv zum Spielspaß beitragen. So ist zwar ein überaus spaßiges Rennspiel entstanden, das uns jedoch samt dem Wegfall des Story-Modus mit einigen Sorgenfalten auf der Stirn zurücklässt.
Die größte und unnötigste Neuerung: F1 Life
Die tiefste Stirnfalte hinterlässt dabei F1 Life. Dass ein spärlich anpassbarer Lifestyle-Hub, in dem wir unserem Fahrer Klamotten wie coole Sonnenbrillen und teure Armbanduhren anziehen, Supercars protzig in unserem Haus präsentieren und zudem unser Wohnzimmer einrichten können, keine sonderlich gute Idee ist, das war bereits während der Preview-Phase absehbar.
Der komplette spielerische Totalschaden hat sich jedoch erst in der Vollversion offenbart. F1 Life ist gelinde gesagt kompletter Nonsens, bietet absolut keinen Mehrwert und gehört in dieser Form nicht in ein Lizenzspiel der Formel 1.
Warum es dieses fragwürdige und überaus prominent platzierte Feature jedoch ins Spiel geschafft hat, wird mit Blick in den Ingame-Shop deutlich: Hier sollen kosmetische Items an eine besonders "hippe" Zielgruppe verkauft werden. Danke, Codemasters und EA, aber ohne uns.
Zugegeben: Geld mit Mikrotransaktionen abseits von Pay2Win zu verdienen, ist heutzutage keinen Aufschrei mehr wert und legitim. Hier stellt sich jedoch die Frage, warum in aller Welt man auch nur einen Cent für diesen digitalen Mumpitz ausgeben sollte? Lifestyle und die F1, das passt per se super zusammen. Die Umsetzung hätte schlechter jedoch kaum sein können, da uns Codemasters lediglich einen lieblosen, kaum interaktiven und abseits der Supercars vom restlichen Spiel losgelösten Schaukasten vor die Nase setzt.
Worte zur Technik: Bei unserem Test auf der PS5 haben wir ein nach wie vor sehr hübsches Spiel vorgefunden, das im Vergleich zum Vorgänger in Sachen Beleuchtung und Regeneffekte nochmal einen Schritt nach vorn gemacht hat, sonst aber größtenteils unverändert daherkommt. Speziell Gesichter wirken weiter recht hölzern und auch sonst erwartet euch hier abseits der Strecke kein grafischer Sprung. Der bleibt leider auch in diesem Jahr aus. Dafür klingen die neuen Motoren fantastisch und tragen enorm zur F1-Atmosphäre bei. Sascha Roos (Sky) als neuem Kommentator können wir an dieser Stelle ebenfalls ein Lob aussprechen.
Von Bugs wurden wir während der gut zweiwöchigen Testphase zwar nicht ganz verschont, so sind unter anderem Fahrer am Ende des Rennens urplötzlich ausgeschieden und das DRS wollte ab und an trotz Abstand unter einer Sekunde zum Vordermann nicht aufblinken, die Fehler waren jedoch gut verschmerzbar und Abstürze hatten wir ab Patch 1.04 auch keine mehr.
Verbesserte DualSense-Funktion: Codemasters hat auf der PS5 dank DualSense auch wieder einen besonderen Anreiz für alle, die mit Controller fahren wollen. Die adaptiven Trigger machen es möglich, dass der Bremspunkt eures Autos einfacher zu spüren ist. Wird L2 langsam heruntergedrückt, gibt es bei knapp 20 Prozent einen Widerstand, der durchgedrückt werden kann, um fester zu bremsen. Dadurch ist es leichter, kontrolliert zu bremsen, was enorm bei der Durchfahrt von Kurven hilft.
Supercars, die gar nicht so super sind
Was gehört zum Lifestyle eines hippen F1-Fahrers natürlich dazu? Aber klar, ein verdammt teurer, dafür aber auch verdammt gutaussehender Supersportwagen. Vom dunkelgrünen Aston Martin Safety Car bis zum Mercedes-AMG GT Black Series haben es ganze zehn sogenannte Supercars ins Spiel geschafft, die wir recht schnell durch absolvierte Kilometer in unseren F1-Boliden freischalten.
Und blenden wir das halbgare zur Schau stellen der Flitzer in F1 Life einmal aus, bekommen wir hier einen schönen Mehrwert. Mit allen Fahrzeugen können wir nämlich in den Pirelli Hot Laps antreten. Die könnt ihr euch wie Gold,- Silber,- und Bronze-Herausforderungen aus Gran Turismo vorstellen, in denen ihr kleine Aufgaben für Pokale meistert.
Dafür geht es auf die insgesamt 22 F1-Rennstrecken wie Miami, Spielberg oder Abu Dhabi beispielsweise zum Zeitfahren. In anderen Challenges müssen wir hingegen eine gewisse Durchschnittsgeschwindigkeit in einem Sektor halten oder im Slalom durch Checkpoints rasen.
Das macht dank der guten Fahrphysik – Codemasters haben mit der Grid-Serie ja reichlich Erfahrung im Bereich der Supersportwagen gesammelt – Laune und ist eine schöne Abwechslung. Doch warum ist das Ganze wie oben geschrieben gar nicht so super? Das liegt schlicht daran, dass wir mit den Supercars keine richtigen Rennen fahren dürfen und sich die Aufgaben zudem recht schnell wiederholen. Gerade der erste Punkt wiegt schwer, da Codemasters nicht die volle Meile fährt und kurz vor Assetto Corsa Hausen und Sankt iRacing links ins Niemandsland abbiegt. Spätestens mit F1 23 sollten echte Rennen kommen, oder man sollte die Ressourcen besser auf andere Modi wie die Fahrerkarriere oder My Team verteilen.
Neue Strecken in F1 22: Miami
Überarbeitetes Strecken-Layout: Melbourne, Barcelona, Abu Dhabi
Alle Strecken: Bahrain, Jeddah, Melbourne, Imola, Miami, Barcelona, Monaco, Baku, Montreal, Silverstone, Spielberg, Le Castellet, Budapest, Spa, Zandvoort, Monza, Singapur, Suzuka, Austin, Mexico City, Sao Paulo, Abu Dhabi
Gefühlter Stillstand in der Karriere und in My Team
Am Herzstück des Spiels hat sich nämlich im Vergleich zum Vorgänger kaum etwas getan. Während wir im Karriere-Modus ein Cockpit in einem der zehn F1-Teams einnehmen und um die Meisterschaft fahren, basteln wir in My Team wie gewohnt unseren eigenen Rennstall. Für alle Koop-Fans an dieser Stelle die wichtige Info: Ihr könnt erneut zu zweit an der Meisterschaft teilnehmen!
Ganz ohne sinnvolle Neuerungen kommt F1 22 im My Team-Modus aber nicht daher. So können wir uns jetzt zu Beginn entscheiden, ob wir lieber als Newcomer-Team, etabliert im Mittelfeld oder als Spitzenteam an den Start gehen wollen. Wofür wir uns entscheiden, wirkt sich dann auf unser Budget aus. Auch cool ist, dass uns Codemasters bei der Lackierung des Boliden weit mehr kreativen Spielraum lässt, wir aus glänzenden, matten, metallischen und seidenglänzenden Liverys wählen dürfen und das Ganze zudem mit einigen neuen Komfortfunktionen wie dem Abspeichern von Farben daherkommt.
Die dritte sinnvolle Neuerung haben wir bei den Trainingsprogrammen entdeckt, die jetzt mit drei Optionen (Rennpace, Quali-Pace und Reifenabnutzung) deutlich entschlackt daherkommen und weiterhin speziell für Neulinge gut geeignet sind, um sich an eine Strecke zu gewöhnen.
Zwar wurde hier im Detail ein wenig verändert und klar ist auch, dass sowohl die Karriere als auch My Team zwei schöne Modi sind. Dennoch stagniert Codemasters’ F1 hier und unschöne Erinnerungen an den Karriere-Modus aus EAs FIFA werden wach. Am Punkt der FIFA-Stagnation sind wir zwar noch nicht angekommen, aber spätestens im kommenden Ableger sollte frischer Fahrtwind durch die Modi wehen.
Auf der Strecke: Zwischen Extra- und Holzklasse
Halbgare und recht dürftige Neuerungen hin oder her, das Wichtigste an einem Rennspiel mit solch einem starken Grundgerüst – das soll an dieser Stelle nochmal deutlich betont werden – ist der Spaß auf der Strecke.
Und hier gibt es zunächst einmal viel Positives zu berichten. Das Fahrverhalten der 2022er-Autos wurde toll umgesetzt. Während die schwereren Boliden in schnellen Kurvenpassagen weit mehr als noch im Vorgänger auf der Strecke kleben, ist in engen Kurven größte Vorsicht angesagt. Wer hier die Traktionskontrolle für mehr Realismus ausstellt, muss das Gaspedal am Scheitelpunkt gefühlvoll streicheln, sonst bricht das Auto sofort aus. Das mag für viele verständlicherweise ein wenig zu viel des Guten sein, ermöglicht im Umkehrschluss aber auch eine hohe Lernkurve für Profis, die ungemein motiviert. Ebenso verhält es sich bei den Curbs, von denen wir einige tunlichst meiden sollten, wollen wir das Auto nicht augenblicklich verlieren. Welche Randsteine wir mit hoher Geschwindigkeit mitnehmen können und welche nicht, wirkt jedoch anders als in F1 2021 logisch nachvollziehbar.
Mehr Immersion: Neben der Integration der Sprint-Rennen gibt es auch zwei optionale Neuerungen während der Rennen, die uns gut gefallen. Zum einen immersive Boxenstopps, bei denen wir mit einem Reaktionstest durch Druck auf die X- bzw. A-Taste kurz vor Einbiegen in die Box bestimmen, wie lange der Stopp andauert. Drücken wir zu spät, braucht unsere Crew über drei Sekunden, treffen wir den Punkt optimal, fahren wir nach knapp zwei Sekunden weiter, was rennentscheidend sein kann. Auch können Boxencrews jetzt Fehler machen, was auch für die KI gilt.
Zum anderen gibt es immersive Einführungsrunden, in denen wir ebenfalls durch einen Reaktionstest bei der Fahrt in die Startaufstellung eine je nach Ergebnis bessere oder schlechtere Positionierung in der Startbox selbst bestimmen.
Eine weitere Neuerung bedingt durch das 2022er-Regelwerk ist das Verhalten der frischen Reifen. Da diese durch Heizdecken auf maximal 70 Grad erwärmt werden dürfen (2021: 100 Grad), fehlt es uns in der ersten Runde nach jedem Pitstop deutlich an Grip. Auch hier haben Codemasters eine schöne Portion Simulation ins Spiel gepackt, deren Umsetzung voll aufgeht. Der Bouncing-Effekt und das Porpoising, welche zum Hüpfen der Boliden auf der Straße führen und mit denen vor allem Mercedes seine liebe Not hat, wurden nicht implementiert, was uns jedoch nicht gestört hat, hätten wir das Geruckel eh schnell deaktiviert.
Eine zu aggressive KI: Doch leider hat sich auf der Strecke nicht alles zum Besseren gewandelt. Wie bereits in der Preview-Phase befürchtet, ist das Zweikampfverhalten der computergesteuerten Gegner aktuell deutlich zu aggressiv. Nicht selten sind wir für die KI unsichtbar und bei ausnahmslos jeder Strecke gibt es mehrere Kurven, in denen ein Überholvorgang mit der Fahrt zum Flügelwechsel in der Box endet. Im Vergleich zum Vorgänger hat die KI offensichtlich auch jegliches Gefühl für Renntaktik verloren. Da wird sich in ewigen Zweikämpfen aufgerieben, anstatt taktisch im DNS-Train hintereinander her zu fahren und drei oder vier Autos nebeneinander in einer Kurve zu sehen ist ebenfalls keine Seltenheit mehr.
Wir wollen die KI an dieser Stelle nicht zu sehr verdammen, denn weiterhin macht sie mitunter noch sehr viel Spaß und es entstehen durchaus packende Zweikämpfe. Doch im Vergleich zu F1 2021 ist das aktuelle Fahrverhalten der Gegner ein klarer und in gewisser Weise auch ein recht unerklärlicher Rückschritt.
Dazu kommt, dass die KI speziell in Regen-Qualifikationen wohl mit Grip-Deluxe-Reifen ausgestattet ist und uns chancenlos zurücklässt. Hier würden wir euch aktuell empfehlen, den Schwierigkeitsgrad um zehn Punkte im Vergleich zum Rennen zu senken. Generell ist F1 22 deutlich fordernder, grämt euch daher also nicht, generell ein paar KI-Punkte bei der Schwierigkeit nach unten zu stellen.
Neue Hilfe für Neulinge: Einen Lichtblick in Sachen KI gibt es jedoch, der allerdings ausschließlich Einsteiger betrifft. So wurde mit F1 22 eine adaptive KI eingeführt, die das Fahrverhalten der Gegner euren Fähigkeiten anpasst. Was nach Gummibandeffekt klingt, ist vielmehr eine reine Hilfe. Leistet ihr euch beispielsweise einen Dreher, reduziert die KI so lange das Tempo, bis ihr wieder mitten im Renngeschehen seid. Ist die Funktion aktiviert, könnt ihr jedoch weiterhin dem Fahrerfeld enteilen. Wer die Hilfe ein wenig reduzieren möchte, kann zudem die adaptive KI so einstellen, dass das Feld lediglich seine Rundenzeiten an eure anpasst, jedoch nicht auf euch “wartet”. Eine schöne Neuerung, die nochmal untermauert, dass Codemasters’ F1 nicht nur für Expert*innen gemacht ist, sondern sich auch ausdrücklich an Neulinge richtet.
Trotz deutlicher Kritik ein tolles F1-Spiel
Fans sind nicht selten die schärfsten Kritiker und auch wenn wir an Codemasters’ F1-Reihe in diesem Jahr so einiges zu mäkeln haben, sei abschließend nochmal deutlich gesagt, dass sowohl auf Formel 1-Neulinge als auch auf Expert*innen ein weiterhin sehr umfangreiches und toll umgesetztes Lizenzspiel wartet.
Eines, das wir Rennspiel-Fans nur empfehlen können. Eines aber auch, das mit einigen seltsam umgesetzten Features daherkommt und sich für F1 2021-Fans mehr wie ein sinnvolles 2022er-Update mit zu aggressiver KI anfühlt. Letzteres Problem sollte das Entwickler-Team in den kommenden Wochen angehen und für F1 23 hoffen wir, dass an den richtigen Modi geschraubt wird.
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