Fortsetzungen bringen sicheres Geld
Auch der legendäre Filmkritiker Roger Ebert, unter Spielern für seine abwertenden Aussagen über Spiele bekannt, blickt verächtlich auf aktuelle Entwicklungen in Hollywood. »Einige Filmstudios verheimlichen es nicht einmal mehr, dass sie es komplett aufgegeben haben, Filme für Erwachsene zu drehen«, schreibt Ebert in einem Beitrag für das Nachrichtenmagazin Newsweek. Schuld daran sind laut Ebert: die Macht der Marketingabteilungen, die Rezession, hohe Ticketkosten, Kabelsender, das Internet. Doch auch wenn es gute Gründe für die Risikoscheu gibt, ist sie gefährlich: »Wir verlieren unsere Tradition des hochwertigen Spielfilms«, klagt Ebert.
In der Spieleindustrie ist es noch nicht ganz so weit, aber vielleicht kurz davor. »Blockbuster-Spiele bringen mehr Geld als je zuvor, und es sind die mittelgroßen Spieleentwickler, die darunter leiden«, sagt Jamie Cheng, der Gründer von Klei Entertainment, einem kleinen Studio aus Vancouver, das mit dem Action-Prügelspiel Shankbekannt geworden ist. »Die Spieleindustrie konzentriert sich immer mehr auf die großen Hits. Es ist unglaublich schwer, einen neuen Titel auf den Markt zu bringen.«
Cheng gehört zu einer wachsenden Gruppe junger Entwickler, die große Studios verlassen, um eigene Projekte zu verwirklichen. Für Relic arbeitete er an der künstlichen Intelligenz der Dawn of War Serie- bis er keine Lust mehr hatte und sich mit Klei Entertainment und etwas über 20 Mitarbeitern selbstständig machte.
Damit folgt er dem Modell der Indie-Szene, die die Rolle als Experimentierkasten von den großen Publishern übernommen hat. Ironischerweise arbeitet Klei aber im Moment trotzdem an Fortsetzungen zu Shank und Eets. Mit kreativem Ausverkauf soll dies aber nichts zu tun haben. »Beides sind unsere Wunschprojekte! Wir haben gemerkt, dass wir die Spiele verbessern können«, rechtfertigt sich Cheng.
Keine Lust auf Fortsetzungen
Andere sind da konsequenter: »Ich mache keine Sequels, weil ich keine Sequels machen muss!«, lacht Edmund McMillen, der mit Super Meat Boyund The Binding of Isaaczu einem der erfolgreichsten und bekanntesten unabhängigen Entwickler geworden ist.
»Außer um die Miete zu bezahlen oder eine Firma am leben zu halten, will doch niemand wirklich Fortsetzungen entwickeln. Man muss sie bloß machen, wenn man Verträge mit großen Publishern unterschreibt. Ich habe dagegen die Freiheit, zu tun, was ich will!«, McMillen gefällt sich als unabhängiger Entwickler, der in wechselnden Teams aus Gleichgesinnten an kleinen Projekten arbeitet. »Wenn ich je ein Super Meat Boy 2 ankündigen sollte, dann weißt du, dass ich eine schwere Zeit durchmache«, scherzt McMillen und fügt schnell hinzu: »Aber das wird nie und nimmer passieren!«
Ist es also so einfach? Während die Wirtschaftskrise riskante Entscheidungen unmöglich machen, übernimmt das Marketing langsam die Kontrolle über die Spieleindustrie, die erfolgreiche Ideen auspresst, bis der letzte Funken Magie verschwunden ist - oder hat Assassin’s Creed: Revelationsseine Spieler immer noch so überrascht und bezaubert wie der erste Teil?
Auch dass Activision seine Call of Duty-Serie jährlich neu auflegt, überrascht angesichts ihrer Verkaufszahlen kaum. Der jüngste Ableger Modern Warfare 3etwa spielt binnen 16 Verkaufstagen eine Milliarde Dollar ein -- und übertraf damit sogar den Kino-Überflieger Avatar, der dafür 17 Tage gebraucht hatte. Derweil verlassen talentierte Entwickler die Spieleindustrie, um ihr eigenes Ding zu drehen, weil sie keine Lust mehr auf langweilige Sequels haben. Sind Sequels der Untergang der Kreativität?
Sequels sind Klassiker
»Homers Odyssee ist ein Sequel der Ilias; der zweite, weitaus bessere Part von Don Quixote ist ein Sequel, Tolkiens Herr der Ringe ist ein Sequel des Kleinen Hobbits«, ermahnt David Bordwell, einer der einflussreichsten US-Filmhistoriker. »Sequels seien langweilig und würden sich nur wiederholen, selten seien sie so gut wie das Original, schreiben Journalisten gerne. Aber was ist mit Aliens, Das Imperium Schlägt Zurück, Toy Story 2? Begreift es endlich! Es wird immer Sequels geben - und das ist gut so!«
In einer Diskussion mit namhaften Filmhistorikern hat Bordwell bereits 2007 versucht, herauszufinden, warum Fortsetzungen so ein beliebtes Kritikerziel bilden, obwohl so viele wichtige Werke der Film- und Literaturgeschichte Fortsetzungen sind. Wie sieht es mit der Spielegeschichte aus?
»Die Zelda-Reihe ist ziemlich gut!«, gibt Edmund McMillen zu. »Jedes Zelda hat meistens ein neues Spielprinzip, was es zu einem komplett neuen Spiel für mich macht.« Jamie Cheng ergänzt: »Street Fighter 2 braucht keine Erklärung, es rockt!« und Aaryn Flynn erinnert sich gerne an die Zeit mit Kings Quest 6: »Ich habe es mit meiner Ehefrau (damals noch Freundin) gespielt und wir hatten viel Spaß dabei. Der Spielspaß wurde verbessert, ohne das Rad neu zu erfinden.« Es sind alles Serien, die trotz Fortsetzungen viele Spieler begeistern.
Nintendos Zelda-Reihe versucht ständig, sich neu zu erfinden, entweder mit einem neuen Stil oder mit neuen Ideen, bleibt ihren Grundthemen aber treu: der Verbindung zwischen Mensch und Natur sowie japanischer Folklore. Mit Street Fighter 2 wiederum hat Capcom eine Legende erschaffen, die der Entwickler noch heute immer weiter verfeinert - der erste Teil ist dagegen in Vergessenheit geraten. Und Aaryn Flynns Abende mit Kings Quest und Ehefrau (damals noch Freundin) dürften davon profitiert haben, dass der sechste Teil von Sierras Fantasy-Adventure-Reihe dank der Zusammenarbeit der Kings Quest-Erfinderin Roberta Williams mit der Gabriel Knight-Autorin Jane Jensen als Höhepunkt der Serie gilt.
Sequels müssen also nicht unkreativ oder gar schlecht sein, im Gegenteil. Einige davon gehören zu den besten Spielen, die jemals entwickelt wurden. Auch wenn System Shock dank erstmalig echter 3D-Levels als Shooter-Meilenstein gilt, so ist es der zweite Teil des Cyberpunk-Klassikers, der noch heute Spiele beeinflusst. Ohne Irrationals System Shock 2und den wahnsinnigen Supercomputer Shodan gäbe es vielleicht kein Bioshock, kein Deus Ex, kein Portal.
Die Faszination guter Fortsetzungen liegt darin, dass sie Verständnis dafür zeigen, was das Original besonders gemacht hat - und darauf aufbauen. »Fortsetzungen sind eine Möglichkeit für die Entwickler, etwas Bekanntes noch weiter zu verbessern«, erklärt Aaryn Flynn. Und das kann durchaus radikale Schritte umfassen. Mit Mass Effect 2hat Bioware aus der im Vorgänger noch etwas unbequemen Verbindung aus Rollenspiel und Shooter praktisch ein eigenes Genre geschaffen, in dem schnelle Shooter-Mechaniken mit komplexen Rollenspiel-Entscheidungen harmonieren. Was also unterscheidet gute von schlechten Fortsetzungen?
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