Ken Levine kommt gleich zur Sache. »Wir haben gemerkt, dass wir drei oder vier Wochen länger brauchen«, sagt der Creative Director von Bioshock Infinite. Die Situation ist ihm sichtlich unangenehm; schließlich bittet man nicht alle Tage eine Journalisten-Entourage ans andere Ende der Welt, um ihr bei der Begrüßung zu beichten, dass der geplante Release-Termin platzt – schon wieder.
»Der neue Termin ist der 26. März 2013«, sagt Levine. Einen handfesten Grund für den erneuten Aufschub nennt er nicht; er sucht auch keine Ausrede, ringt nicht um eine Erklärung. Ken Levine braucht einfach mehr Zeit – und er nimmt sie sich.
In den folgenden dreieinhalb Stunden entdecken wir Columbia, jene bonbonfarbene Idylle aus Ballons und Zeppelinen, der Gegenentwurf zur kühlen Funktionalität von Rapture aus dem ersten Bioshock. Wir bummeln über einen Jahrmarkt, spazieren am Strand entlang, haken uns an Wolkenschienen und fahren damit Achterbahn, staunen immer wieder über diese wunderschöne Welt – und darüber, wie lebendig sie wirkt.
Kolibris zwitschern durch die Luft, Kinder toben lachend vor einem sprudelnden Hydranten, Verliebte tanzen zum Ständchen einer A-cappella-Gruppe, es ist ein malerisches Wolkenkuckucksheim aus dem frühen 20. Jahrhundert, der Traum vom perfekten Amerika, strebsam, ehrlich, gottesfürchtig – und weiß.
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Noch mehr über Bioshock Infinite lest Ihr in der GamePro-Ausgabe 02/2013 – darunter Details zu den unterschiedlichen Fähigkeiten, weitere Informationen über die Spielwelt sowie ein ausführliches Interview mit Chef-Designer Ken Levine. GameStar 02/2013 gibt’s ab dem 02.01.2013 am Kiosk.
Die Fratze hinter der Fassade
Wo Bioshock die moralische Dekadenz von Rapture gewissermaßen offen zur Schau stellte, versteckt Infinite die hässliche Fratze hinter einer pittoresken Fassade. Das ist kein besonders origineller Ansatz, aber er funktioniert wunderbar, weil er den Zeitgeist einer Epoche einfängt.
Wenn Columbia-Gründer Zachary Hale Comstock in seinem Audio-Tagebuch wie selbstverständlich über »Neger« und die Überlegenheit der weißen Rasse referiert, wenn wir im ersten Spielabschnitt dazu aufgefordert werden, an der öffentlichen Demütigung (und möglicherweise auch Hinrichtung) einer Schwarzen teilzunehmen, weil sie eine skandalöse Beziehung zu einem Weißen unterhält, wenn wir uns auf geradezu obszön groteske Weise taufen lassen müssen, um Columbia überhaupt betreten zu dürfen, dann ist das ebenso glaubhaft wie beängstigend inszeniert.
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An dieser Stelle würden wir normalerweise von der Handlung erzählen. Aber das lassen wir mal schön bleiben, denn sonst müssten wir solche Sachen schreiben: In der Rolle von Booker deWitt, einem ehemaligen Pinkerton-Agenten, schicken uns mysteriöse Auftraggeber nach Columbia, um dort eine gewisse Elizabeth zu befreien und damit unsere »Schulden« zu begleichen – und schon hätten wir den Schlamassel.
Welche Auftraggeber, könnte man sich nun fragen, und wir müssten zugeben, dass wir das selbst (noch) nicht wissen. Warum die »Schulden« in Anführungszeichen stehen, könnte man sich fragen, und wir müssten einräumen, dass wir keine Ahnung haben, worum genau es sich bei diesen »Schulden« handelt. Was zum Teufel ein Pinkerton-Agent ist, könnte man sich fragen, und wir müssten es bei Wikipedia nachschlagen, weil das Spiel solche historischen Kleinigkeiten nicht erklärt, sondern erwartet, dass wir neugierig genug sind, um sie selbst zu recherchieren.
Nein, von der Handlung erzählen wir nicht. Infinite lebt von der rätselhaften Prämisse, von den undurchsichtigen Figuren und von dem Umstand, dass wir den eigenen Erlebnissen nicht über den Weg trauen. Jedes geschriebene Wort wäre eins zu viel; diese großartige Welt hat es verdient, dass wir ihr unvoreingenommen und mit einer gewissen naiven Unschuld begegnen.
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