Es ist schon absurd, wenn ich mal zurückblicke: Seit 20 Jahren bin ich nun "der Wrestling-Typ" bei GamePro. Nimmt man die Zeit dazu, die ich zuvor rein privat sämtliche Wrestlingspiele auf NES, SNES, PlayStation und Co. verschlungen habe, kann ich es tatsächlich mit der WWE-Karrieredauer des Undertaker aufnehmen. Dadurch habe ich natürlich alle Ups und Downs der WWE-Reihe mitgemacht – in den letzten Jahren waren es tatsächlich mehr Downs. Unter der Fuchtel von THQ sollte seinerzeit das ursprünglich sehr arcadige Konzept der Reihe immer weiter in Richtung Simulation getrieben werden, was gleichzeitig den Spaß herausnahm. Nach THQs Pleite und dem Wechsel der WWE-Marke zu 2K wurde dieses Spielchen noch eine Weile weitergetrieben, bis der langjährige japanische Entwickler Yuke's die Notbremse zog, zur Wrestlingkonkurrenzliga AEW wechselte und Co-Entwickler Visual Concepts mit dem Scherbenhaufen allein ließ.
Nach dem daraus resultierenden Rohrkrepierer WWE 2K20 rappelte sich letztes Jahr der nun alleinige Entwickler Visual Concepts nach einer Zwangspause mit WWE 2K22 aber wieder auf. Sicher, das Spiel war nicht perfekt, zeigte aber trotz einiger Bugs und stellenweise hässlicher Optik eine deutliche Verbesserung auf.
Es ist schön zu sehen, dass das kein Ausreißer war, denn mit WWE 2K23 erschien nun tatsächlich das seit vielen Jahren beste Spiel der Reihe. Lasst uns zur Feier also zwei Bierdosen öffnen, mit Schmackes aneinanderschlagen und uns das schaumige Gesöff à la Stone Cold in den Hals kippen. Wobei ... wenn ich nochmal drüber nachdenke, will ich uns allen die Sauerei lieber ersparen. Und mit bierverklebter Tastatur könnte ich auch den folgenden Test zu WWE 2K23 nicht schreiben.
Das haben wir getestet: Uns stand für den Test die PS5-Version des Spiels in der Icon Edition samt aller dazugehörigen Boni und dem Update 1.03 zur Verfügung. Entsprechend gelten dieser Test und die Spielspaßwertung auch nur für die gespielte PS5-Version. Insbesondere die Versionen für PS4 und Xbox One könnten abweichen.
Überhaupt nicht kompliziert
Wer WWE 2K23 zum ersten Mal startet, wird sich im Gewirr der Spielmodi wahrscheinlich etwas verloren vorkommen. Und damit sind nicht nur die unzähligen Match-Varianten gemeint, denn das Spiel pfeffert euch neben dem reinen Wrestling-Kram auch noch drei Story-Modi, den Universe-Mode, My Faction, My GM, einen gewohnt tiefen Editor und einiges mehr vor die Birne.
Ich persönlich stelle das alles bei einem neuen WWE-Spiel aber immer erst mal zurück und verschaffe mir in einem simplen 1vs1-Match einen Überblick zu Spielmechaniken und -gefühl: Komme ich ohne das ausführliche Tutorial mit der Steuerung zurecht? Gibt es einschneidende Veränderungen gegenüber dem Vorjahr? Muss ich mich im Zweifel schon wieder an eine komplett überarbeitete Bedienung gewöhnen, wie es gerade gegen Ende der THQ-Ära immer wieder der Fall war?
Mein Fazit nach einem Probematch Stone Cold Steve Austin gegen Mr. McMahon: Es funktioniert alles schön intuitiv, die Griffe greifen, der Stone Cold Stunner stunnt, Mr. McMahon wird routiniert der Ringmatte gleichgemacht. Wer den Vorgänger gespielt hat, sollte direkt zurechtkommen. Und selbst wer nur rudimentäre Erfahrungen mit WWE-Spielen hat, findet dank hilfreicher Einblendungen und dem unkomplizierten Steuerungsschema, dessen Grundfunktionen man zügig begriffen hat, schnell rein. Ein anschließender Blick ins Tutorial lohnt sich für die Feinheiten aber natürlich dennoch.
Gut kontern ist der halbe Sieg
Dass ein Wrestling-Match ohne Sonderregeln meistens endet, indem einer der beiden Showkämpfer mit beiden Schultern auf der Matte liegt, bis der Ringrichter bis drei gezählt hat, brauche ich wohl keinem zu erklären. Davon gehe ich nach all den Jahren einfach mal aus. Aber sicher wollt ihr wissen, wie ein Match in WWE 2K23 funktioniert. Womöglich habt ihr den Vorgänger gar nicht gespielt und wollt neu oder wieder in die Serie einsteigen.
Vergesst zunächst mal alles, was ihr vielleicht über die Spielmechanik der Reihe bis zum schicksalhaften WWE 2K20 wusstet. Die grundlegende Steuerung besteht aus den vier Haupttasten, die harte und schwache Angriffe, Griff und Blocken auslösen. Außerdem werden zwei Schultertasten fürs Rennen sowie Interaktionen benötigt. Alles weitere ergibt sich sozusagen daraus, wenn man erst einmal mit dem Grundkonzept vertraut ist – gelegentliche Tasteneinblendungen im Spielverlauf helfen zusätzlich, die weiteren Mechaniken zu verstehen.
Mein größter Kritikpunkt an den Vorgängern war immer wieder die Kontermechanik, für die mitunter je nach Schlag oder Griff zwei verschiedene Tasten nötig waren, die innerhalb von Sekundenbruchteilen gedrückt werden mussten. Ein Zugeständnis an den immer wieder von Publisher und WWE geforderten Simulationsanspruch, der die ursprünglich sehr zugänglichen Spiele irgendwann mit einer völlig überladenen und verkorksten Steuerung runterzog. WWE 2K23 funktioniert zwar ähnlich, gibt euch allerdings ein größeres und nachvollziehbareres Zeitfenster, um die Kontertaste zu drücken. Bei einem Erfolg wandelt ihr den Angriff dann zu euren Gunsten um. Zusätzlich gibt es auch die Möglichkeit, per Schultertaste auszuweichen oder Angriffe einfach zu blocken. Das erlaubt einen guten Flow bei den Kämpfen.
Das hervorragend funktionierende Staminasystem sorgt nachvollziehbar dafür, dass euch im Verlauf des Matches immer wieder mal die Puste ausgeht. Allerdings ohne das Gefühl der Trägheit, das bei früheren Spielen der Reihe immer wieder mal aufkam, wenn versucht wurde, die Ausdauer "realistisch" einzubauen. WWE 2K23 schafft den Spagat zwischen arcadigem Spielgefühl und leichtem Simulationseinschlag so gut wie Rob Van Dam ihn zwischen den Ringseilen hinkriegt.
Und natürlich gibt es jede Menge interaktive Stellen, an denen ihr über eine Schultertaste Aktionen auslösen könnt. So findet ihr zum Beispiel unterm Ring Objekte wie die allseits beliebten Stahlstühle, Tische oder andere Dinge, deren Einsatz euch in einem Match mit normalen Regeln eine Disqualifiktaion einbringt. Habt ihr jedoch einen Modifikator aktiviert, können Tische oder Leitern sogar zum Schlüssel für den Sieg werden.
So viele Modi, so wenig Zeit
Wie eingangs erwähnt bombardiert euch WWE 2K23 geradezu mit möglichen Match-Varianten – vom "Hell in a Cell" über "Tables, Ladders, Chairs" und Hardcore-Matches bis hin zum "übers oberste Seil Werfen"-Royal Rumble mit 30 Teilnehmern und acht Wrestlern gleichzeitig im Ring ist nahezu alles dabei, was man sich wünschen kann.
Dieses Jahr feiert sogar die Variante "Wargames" ihren Einstand. Dabei treten zwei Teams aus jeweils drei oder vier Wrestlern gegeneinander in zwei nebeneinander aufgebauten Ringen mit einem Käfig drumherum an. Das Prinzip ähnelt dem Royal Rumble, da die Wrestler nacheinander in Zeitintervallen den Ring betreten. Die Teamkomponente macht die Sache aber etwas spannender, da hier nicht jeder gegen jeden kämpft, sondern die Gruppenstärke sich durch die zeitversetzten Einzüge der Mitglieder immer wieder unterscheidet. Mal habt ihr mehr Wrestler in den Ringen, mal die Gegenseite.
Neben diesen Match-Varianten, die vor allem für Online-Sessions oder Couch-Koop beziehungsweise -Versus Spaßgaranten sind, könnt ihr euch aber auch in anderen Modi austoben, die euch als Einzelspieler länger beschäftigen werden.
Einige aus den Vorgängern bekannte Sachen wie der GM-Modus, in dem ihr euch als General Manager des Wrestlingstalls versucht, oder der Universe-Modus, in dem ihr das gesamte WWE-Universum nach euren Vorstellungen gestalten dürft, kehren zurück. Auch der Modus "My Rise", in dem ihr als selbsterstellter Charakter eine Story erlebt, ist wieder mit dabei – diesmal jedoch in zwei Varianten: Ihr dürft euch als männlicher oder weiblicher Wrestler an zwei unterschiedlichen Geschichten versuchen. Dabei muss ich natürlich den Editor erwähnen, der eigentlich viel mehr als ein simpler Charaktereditor ist: Neben der wie gewohnt wunderbar tiefen Erstellung einer Spielfigur inklusive Importmöglichkeit für ein Foto des eigenen Gesichts gibt es viele weitere Unterpunkte, in denen ihr nicht nur Move-Sets zusammenstellt, sondern auch Einzugsvideos, Logos, Arenen, Championtitel und allen anderen möglichen Kram, den man sich vorstellen kann.
Infos zu den Loot-Packs: Wie der Vorgänger setzt auch WWE 2K23 in einigen Spielmodi auf ein Sammelkartensystem. In My Faction bekommt ihr durch die Karten etwa zusätzliche Wrestler für eure Gruppierung und vorübergehende Buffs für bestimmte Statuswerte, die ihr nach Belieben verteilen könnt. Die dafür nötige Währung verdient ihr im Spiel durch das Erledigen von Bonuszielen während der Kämpfe, was allerdings viel Zeit in Anspruch nimmt. Die Preise für neue Karten-Packs sind so hoch, dass ihr wahrscheinlich schnell in Versuchung geraten werdet, mit Echtgeld nachzuhelfen. Wir wollen euch natürlich nicht vorschreiben, was ihr mit eurem Geld anfangt, doch bevor ihr in die Karten investiert, solltet ihr gut darüber nachdenken.
Und dann ist da noch der Modus "My Faction". Darin bildet ihr eine Gruppierung und führt sie zum Erfolg. Allerdings läuft das Ganze über Spielkarten, die ihr ähnlich wie in FIFA und Co. per "Blind Pack" erhaltet. Diese Sammelkartentütchen erwerbt ihr entweder durch Erfolge beim Spiel, über verdiente Ingame-Währung oder per Echtgeld gekaufte Ingame-Währung. In den Tütchen sind sowohl Wrestler als auch Statusboni und Dinge wie Team-Banner versteckt. Schwieriges Thema. Allerdings sollte es hier mit viel Zähneknirschen möglich sein, auf Echtgeld zu verzichten, wenn man sich im Spiel genug anstrengt und viel (!) Geduld mitbringt. Von einem Punktabzug sehen wir ab, dafür ist diese Mechanik nicht zentral genug.
Verdrisch den Cena
Ein Spielmodus fehlt noch in der Aufzählung: In WWE 2K23 kehrt der Showcase-Modus zurück, der uns die Karriere eines WWE-Superstars nacherleben lässt. Das funktioniert über Matches, in denen ihr besondere Aufgaben erfüllen müsst, die den groben Verlauf der klassischen Kämpfe nachzeichnen.
An einigen Stellen wechselt die Spielgrafik dann nahtlos in Schlüsselpunkte klassischer TV-Aufzeichnungen und wieder zurück. Nach jedem Match folgt dann eine Erzählung des jeweiligen Wrestlers, in der er sich an den jeweiligen Punkt seiner Laufbahn zurückerinnert und das nächste Match einleitet. 2022 ließ uns 2K so beispielsweise die Karriere von Rey Mysterio miterleben.
Im Jahr 2023 dürfen wir nun die Erfolge von John Cena nacherleben ... äh, nein, ich meinte natürlich die Misserfolge. Dank eines gelungenen Twists wird der Showcase-Modus nämlich zum "Verdrisch den Cena"-Modus, in dem wir in immer andere Wrestler schlüpfen, um die Niederlagen des John nachzustellen.
Das Ganze wird noch großartiger, weil Cena in Einspielern herrlich selbstironisch über diese Anfangsjahre als Kanonenfutter reflektiert. Als Wrestlingfan kann man den Mann lieben oder hassen, aber zwei Dinge sind sicher: Er ist unsichtbar ("U can't C me"), und er ist ein fantastischer Entertainer.
Noch ein paar Worte zur Technik
Ach, vielleicht sollte ich auch noch auf die Technik eingehen. Nach dem Desaster WWE 2K20 ein nicht ganz unwichtiger Punkt. WWE 2K22 konnte hier zwar schon einiges wiedergutmachen, doch 2K23 schafft einen wahnsinnigen Sprung in Bezug auf Optik und das technische Drumherum.
Die WWE-Spiele haben nie besser ausgesehen als in der aktuellen Ausgabe. Zwar gibt es noch die ein oder andere Merkwürdigkeit an den Modellen zu bemäkeln (vor allem die Zähne), doch der Grafikstil funktioniert mit seinem leicht stilisierten Fotorealismus wunderbar, und das Spiel läuft generell sehr sauber. Es gab in unzähligen Matches während des Testzeitraums keine bizarren Bugs wie in einigen der Vorgängertitel zu entdecken. Auch die Animationen wirken weitgehend realistisch und lassen die Wrestler nicht wie hüftsteife Puppen wirken. Schön, dass 2K Games und Entwickler Visual Concepts nun tatsächlich die Kurve gekriegt haben und mit WWE 2K23 eines der besten WWE-Spiele, wenn nicht sogar das beste der letzten zehn Jahre ablieferten.
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