WWE 2K22 hat einiges gutzumachen. Der Vorgänger WWE 2K20 hatte eine dramatische Entwicklungsgeschichte. Nach dem Weggang des langjährigen japanischen Hauptentwicklerstudios Yuke's musste NBA-2K-Entwickler Visual Concepts das Spiel erstmals alleine stemmen, was in einer wahnwitzig verbuggten Katastrophe endete.
Nun kam endlich, was angesichts des altersschwachen Grundgerüsts (dessen technische Wurzeln bis in die PS2-Ära zurückreichen) schon lange hätte kommen müssen: Man brach mit der Tradition, jährlich ein WWE-Spiel zu veröffentlichen, um innerhalb des so gewonnenen zusätzlichen Entwicklungsjahres alles zu modernisieren und gehörig zu entstauben.
Das dennoch mit einiger Verspätung erschienene WWE 2K22 muss nun zeigen, ob die Reihe mittlerweile wirklich ausgezählt gehört oder ob sie sich noch einmal aufrappeln und zu einem furiosen Comeback ansetzen kann. Sprich: Hat man den geriatrischen Athleten zum nachhaltigen Krafttraining geschickt? Oder doch nur die Haut gestrafft und die Haare gefärbt?
Das haben wir gespielt
WWE 2K22 erscheint für PS5, Xbox Series, PS4 und Xbox One. Für diesen Test haben wir den Titel allerdings nur auf der PS5 gespielt. Testversion war die Deluxe Edition mit zusätzlichen Skins.
Zugänglichere Steuerung
"It hits different" lautet der Werbespruch zum Spiel und verspricht damit eine deutliche Wende. Was sich Kennern der Vorgänger schon nach kurzem Anspielen offenbart ist, dass WWE 2K22 tatsächlich anders zuhaut. Das Entwicklerstudio hat die Spielmechanik einer radikalen Frischzellenkur unterzogen. Weg mit dem in den späteren Yuke's-Jahren doch sehr unhandlichen Kontrollschema, her mit einem unkomplizierteren, arcadigeren Konzept.
Tatsächlich erinnert die Steuerung etwas an die frühen Smackdown!-Spiele. Ihr habt jeweils eine Taste für leichten Schlag, harten Schlag, Griff sowie Block. Dazu kommen die rückwärtigen Trigger, die ihr in Kombination benutzt, um Spezialmanöver auszuführen oder zu interagieren. Bereits nach kurzer Eingewöhnung flutschen die Kämpfe unglaublich gut und intuitiv.
Vor allem dem Kontern und Ausweichen hat die Frischzellenkur wirklich gutgetan. Zwar sind die Defensivzeitpunkte immer noch an bestimmte Stellen in den Animationsphasen gebunden, doch das Spiel scheint hier eher zu verzeihen als die Vorgänger, die teils einen korrekten Tastendruck innerhalb von Sekundenbruchteilen verlangten. So wird WWE 2K22 zugänglicher und ermöglicht endlich wieder flüssige, nicht zu komplizierte Matches, die dennoch spektakulär sein können.
Damit ist das Spiel sehr gut für Einsteiger geeignet, die mit der bisherigen, recht komplexen Steuerung möglicherweise überfordert gewesen wären. Ebenfalls lange überfällig: Die "Stopp den Cursor am richtigen Punkt"-Minispielchen (die etwa bei Pins oder Submissions zum Einsatz kamen) wurden wieder durch simples, klassisches Buttonhämmern ersetzt. Viel besser!
Uncanny Valley Wrestling
Ein weiterer Kritikpunkt, der sich wie ein roter Faden durch die zahlreichen Vorgänger zog, waren die Wrestler selbst. Plastikhafte Figuren, die sich ungelenk und hüftsteif durch den Ring bewegen, haben mit dem Showsport nun mal nicht viel zu tun. WWE 2K22 löst dieses Problem zwar nicht ganz, aber immerhin teilweise. Die Animationen wirken deutlich flüssiger und realistischer als zuvor. Nicht falsch verstehen: Hier gibt es immer noch Optimierungsbedarf. Aber immerhin hat man einen Schritt in die richtige Richtung getan.
Auch die Texturen der Wrestler sind nun sehr viel realistischer. Kein Wunder, beweist Entwicklerstudio Visual Concepts doch mit der NBA-2K-Reihe jedes Jahr, dass Sportler in Videospielen nicht wie Gummipuppen aussehen müssen. Die Hauttexturen mit ihren Poren und realistischen Makeln lassen die Showkämpfer in den richtigen Einstellungen beinahe wie bei einer TV-Übertragung aussehen.
Es könnte perfekt sein – wenn man nicht bei der Modellierung geschlampt hätte. Trotz moderner Gesichts-Scans sieht kaum einer der knapp 200 spielbaren WWE-Athleten aus, wie er (oder sie) aussehen sollte. Alle WWE-Superstars scheinen nur zu etwa 75 Prozent sie selbst zu sein. Möglicherweise liegt das zu einem Großteil auch am Uncanny-Valley-Effekt, der durch die fotorealistischen Texturen deutlicher zum Tragen kommt als bei den primitiveren Visagen der Vorgängerspiele.
Auch die immer noch wie zu PS2-Zeiten herumflatternden, groben Haarsträhnen tragen nicht gerade zum Realismus bei. Zugegeben, während der Action im Ring fällt das nicht zu sehr ins Gewicht, hier sollte man für die unvermeidlichen Fortsetzungen aber unbedingt nachbessern. Wenn Stone Cold Steve Austin aussieht wie ein identischer Klon von Bill Goldberg, stimmt was nicht.
Wrestlerische Vielfalt
In Sachen Spielmodi hat die WWE-Reihe noch nie enttäuscht, und auch in WWE 2K22 lässt sich abseits der normalen Matches so einiges anstellen. Ihr könnt in Käfigen antreten, mit Sonderregeln kämpfen, im Royal Rumble antreten oder euch im Backstage-Bereich verkloppen. Letzterer ist ein offener Abschnitt, in dem ihr euch frei bewegen dürft – es gibt sogar Leitern zu höher gelegenen Laufstegen zu erklimmen. Ihr könnt herumliegende Gegenstände, Kisten und Tische zweckentfremden, oder das Match in die Tiefgarage verlagern, wo geparkte Autos darauf warten, dass ihr euren Gegner mit der Nase voran auf den Lack schmettert.
Wenn euch die reinen Matches zu langweilig sind, dürft ihr euch auch als General Manager versuchen, indem ihr auf Basis eines vorgegebenen Budgets einen Kader zusammenstellt und Shows plant. Dazu setzt ihr Matches an, verfolgt Storylines um Championtitel und heizt das Ganze mit Ereignissen an, die ihr für die Matches festlegen könnt. Etwa Einmischungen von Rivalen, die zur Disqualifikation führen, aber dem Drama zuträglich sind. Dieser "MyGM"-Modus simuliert in stark vereinfachter Form die organisatorische Arbeit, die hinter den wöchentlichen WWE-Shows steckt, und stellt euch eine KI-kontrollierte Truppe als Konkurrenz gegenüber.
Fast wie in der richtigen Wrestlingwelt, in der WWE ebenfalls die Marken Raw, Smackdown und NXT ausstrahlt. Die geplanten Matches dürft ihr entweder selbst spielen, sie von der KI austragen oder einfach die Ergebnisse simulieren lassen. Selbst zu spielen ist natürlich wichtig, wenn ihr einen Charakter in bestimmte Bahnen lenken wollt, um Zuschauer anzuziehen. Am Ende jeder Show gibt es dann Zusammenfassungen von Quoten, Gewinn und sogar Social-Media-Posts, die euch den Weg weisen können.
Ein weiterer Spielmodus ist der Showcase, der dieses Jahr ganz im Zeichen der Karriere von Rey Mysterio steht. Hier erlebt ihr eine Mischung aus Ausschnitten bestimmter TV-Shows, die von Rey Mysterio selbst kommentiert werden, und dazu passendem Spielgeschehen. Im Ring müsst ihr dann vorgegebene Aufgaben erledigen, um das Geschehen passend zu den tatsächlichen Ereignissen voranzutreiben.
Klopper-Karriere
Und dann gibt es noch den MyRise-Storymodus, in dem ihr euch als (im exzellenten CAW-Editor) selbstgebastelter Wrestler beginnend im Trainingszentrum ganz nach oben arbeiten müsst. Durch Gespräche mit anderen Wrestlern oder Aktionen habt ihr hier die Möglichkeit, den Weg des Heel (Bösewichts) oder des Babyface (Guten) einzuschlagen. Hier fielen uns die zwischen den Matches leblos und stocksteif agierenden Mitwrestler allerdings sehr negativ auf.
Außerdem findet ihr mit dem neuen MyFaction-Modus eine Mischung aus Sammelkartenspiel und Wrestling-Matches im Hauptmenü. Hier kauft ihr euch für In-Game-Währung, die ihr etwa in Matches verdient, virtuelle Karten, um ein Team zusammenzustellen, mit dem ihr in Matches antretet. Zusätzlich zu Wrestlern gibt es Spezialkarten zu sammeln, die besondere Fähigkeiten freischalten oder Buffs gewähren.
Man kann sich das ungefähr wie Magic: The Gathering mit Wrestlern und handfest ausgetragenen Kämpfen vorstellen. Natürlich führt euch das Spiel hier auch in Versuchung, In-Game-Währung gegen Echtgeld zu kaufen, das ist aber kein Muss. Wer Währung anhäufen will, muss sich eben in Geduld üben und viel spielen.
Zeit für den nächsten Schritt
All den Inhalten im Detail gerecht zu werden, würde den Umfang dieses Artikels sprengen. Im Grunde ist für Wrestling-Fans nur eins wichtig: Die WWE-Spiele sind endlich wieder auf dem richtigen Weg. Der über die Jahre mitgeschleifte Versuch, aus dem ursprünglich sehr arcadigen Spiel eine ernstzunehmende Simulation zu machen, wurde dem großen Wrestlinggott sei Dank mit Anlauf übers oberste Ringseil befördert. Sicher ist WWE 2K22 immer noch weit davon entfernt, perfekt zu sein, doch es ist wohl das beste Wrestling-Spiel seit die Lizenz nach dem THQ-Bankrott zu 2K wechselte.
Die zahlreichen Kompromisse, die immer noch der uralten Grund-Engine geschuldet sind, muss man dabei allerdings verzeihen können. Solange sich die Spiele mit diesem antiquierten Technikgerüst gut genug verkaufen, wird 2K wohl kein zweites Team im Hintergrund daransetzen, etwas zeitgemäßeres auf die Beine zu stellen. Das wäre jetzt allerdings der richtige Schritt: Visual Concepts sollte alles, was man nach dem Weggang von Yuke's über Wrestlingspiele gelernt hat, nehmen und in ein moderneres Gewand umsiedeln. Weg mit den Altlasten, her mit der nächsten Generation.
Um zum Vergleich mit dem alternden Wrestler zurückzukommen: WWE 2K22 hat gezeigt, dass abseits der aufgefrischten Haarfarbe noch Leben im geschundenen Körper steckt, doch nach diesem guten Comeback sollte er sich dringend überlegen, trotzdem in den Ruhestand zu wechseln – die künstlichen Hüftgelenke halten nicht ewig. Die Karriere hat ihren Zenit überschritten, und er muss sich dessen bewusst werden. Der Undertaker kann ein Lied davon singen.
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