London im frühen 20 Jahrhundert. Der erste Weltkrieg ist vorbei, dennoch macht sich in der Bevölkerung keine Erleichterung breit. Zwei Gedanken lassen die Bürger nachts nicht schlafen. Zum einen verbreitet sich die unheilvolle Spanische Grippe im nassen London wie die Pest, zum anderen treiben brutale Mörder seit einiger Zeit ihr Unwesen, deren blutleere Opfer die Straßen der Stadt pflastern.
So beklemmend zeichnen die Life is Strange-Macher Dontnod die Spielwelt von Vampyr. Wir waren zu Besuch bei Publisher Focus Home Interactive und hatten die Chance, die ersten zwei Stunden des kommenden Action-RPGs anzuspielen. Obwohl wir nur einen Bruchteil von dem gesehen haben, was die durchschnittliche Spielzeit von circa 20 Stunden zu bieten hat, holt uns von Beginn an genau diese bedrückende Grundstimmung ab.
Der Vampir im Schafspelz
Wir schlüpfen bei Vampyr in die Haut des eigentlich tugendhaften Dr. Jonathan Reid. Der berühmte Arzt wacht nach seiner Rückkehr aus dem Krieg inmitten eines Leichenbergs auf und verspürt urplötzlich einen unstillbaren Durst auf Blut. Wieso er unverhofft zum Blutsauger wurde und wer dahinter steckt, ist am Anfang der Geschichte von Vampyr unklar. Fest steht nur: Wenn er überleben will, muss er schnell lernen, sich in seiner neuen Rolle zurechtzufinden und dabei möglichst diskret sein.
Das gestaltet sich jedoch schwierig, wenn das Spiel uns direkt zu Beginn für jedermann sichtbar den Vampir-Stempel aufdrückt. Unserer Mutation vollzieht sich nämlich quasi im Delirium und lässt uns letztendlich blutverschmiert wie aus einem Albtraum erwachen. Unser elendes Aussehen macht uns zu einem gefundenen Fressen für die wütenden Bürger der Stadt, die uns mit ihren geschulten Augen schnell als Vampir entlarven und uns in einem Akt der Selbstjustiz an den Kragen wollen. Zum Glück treffen wir schon bald auch auf Menschen, die uns freundlicher gesinnt sind und bei denen wir Schutz finden.
Schon zu Beginn des Spiels eröffnet sich uns das moralische Dilemma, von dem Vampyr konstant zehrt: Nutzen wir unsere übermenschlichen Fähigkeiten, um unschuldige Opfer zu Durstlöschern zu degradieren? Oder halten wir uns anderweitig am Leben und spielen den moralischen Helden?
Wie die Entwickler uns in einem Interview versichert haben, ist es durchaus möglich, das Spiel ohne auch nur einen einzigen NPC-Mord zu beenden. Dass das alles andere als leicht ist, mussten wir allerdings am eigenen Leib erfahren. Unseren Vorsatz, als friedliebender Held zu spielen, haben wir bereits in den ersten 10 Minuten über Bord geworfen. Wir sahen keine andere Möglichkeit, als mit dem erstbesten gefundenen Messer anzugreifen, nachdem sich uns haufenweise streitsüchtige Einwohner in den Weg gestellt haben. Eine friedvolle Route haben wir in dem linearen Einstiegslevel jedenfalls nicht gefunden.
Klassisches Kampfsystem
In der Spieldemo stellten sich uns nicht nur selbst ernannte Vampirjäger, sondern im späteren Verlauf auch eine Art Werwolf als Mini-Boss in den Weg. Um gegen solche Angreifer gewappnet zu sein, statten wir Jonathan Reid durch einen überschaubaren Fähigkeitenbaum mit aktiven und passiven Stärken (mächtige Spezial-Attacken, mehr Lebensenergie, etc.) aus.
Die Upgrades zeichnen sich stets durch ein finsteres Kernelement aus: Die lebensgebende rote Flüssigkeit, nach der wir uns als Vampir so sehr sehnen. Wir verwenden Blut in allen möglichen Variationen. Es dient zum Angriff und zur Verteidigung in den Echtzeit-Kämpfen, indem es Leben regeneriert und unseren Mana-Balken für besondere Attacken auffüllt. Diese lassen uns zum Beispiel extra-hart zuschlagen oder machen uns für kurze Zeit unsichtbar, damit wir schnell das Weite suchen können.
Bei unserem Anspieltermin haben wir uns als erstes für eine effektvolle Fernkampf-Fähigkeit entschieden, mit der wir unsere Gegner bei ausreichendem Mana-Vorrat mit einem mächtigen Speer aus Blut durchbohren können. Wenn wir einen Feind damit nicht außer Gefecht gesetzt haben, können wir zum richtigen Zeitpunkt einen Gegenangriff elegant mit einer Art Teleportation als dunkler Schatten ausweichen.
Die Qual der Moral
Das Ausbauen unserer mächtigen Fähigkeiten kostet uns einen Haufen Erfahrungspunkte, die wir mit Leichtigkeit durch das Töten von NPCs abgreifen könnten, sofern wir denn unsere Moralvorstellungen hinten anstellen. Vampyr will uns nämlich in die Bredouille bringen: Je mehr Hintergrundinformationen wir durch Quests über eine Person sammeln, desto mehr bedeutet sie uns möglicherweise, desto mehr XP bringt jedoch auch ihr Tod.
Das Konzept mit weitreichenden moralischen Entscheidungen entfaltet seine Tiefe vermutlich erst nach mehr als nur zwei Spielstunden. In der Vorschau haben wir jedenfalls nur einen geringen Bruchteil davon mitbekommen. Als wir an einer Stelle einen hilfsbedürftigen Mann am Hafen vorgefunden haben, lag die Entscheidung bei uns, ihn entweder ins Krankenhaus zu bringen oder ihm in einer abgelegenen Werft die XP aus dem Leib zu saugen.
Während wir das nächtliche London auf der Suche nach Antworten und dem Strippenzieher hinter unserer Mutation durchstreifen, bleibt uns also stets die Wahl. Die Semi-Open World, die uns aufgrund der Story zu Beginn einige Gebiete vorenthält, bietet auch alternative Möglichkeiten, um stärker zu werden. Von Rattenblut können wir genauso gut wie von dem menschen Gegenstück leben. Das Töten von NPCs wirkt für viele Spieler jedoch sicherlich bequemer und zahlt sich in verlockender Weise auch mit mehr Erfahrungspunkten aus.
Release: 5. Juni 2018
Plattformen: PS4, Xbox One, PC
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