Nix zu tun?
Dass wir bisher so wenig über die eigentlichen Interaktionen mit der Spielwelt gesprochen haben, hat ebenfalls einen Grund: Es gibt schlicht sehr wenig zu tun. Zwar ist Detektiv Prospero ein übersinnlich begabter Schnüffler, der anhand bestimmter Indizien vergangene Ereignisse rekonstruieren kann, das ist aber auch so ziemlich alles, was wir in The Vanishing of Ethan Carter machen: ein paar Hinweise anklicken, die Geschehnisse in die richtige Reihenfolge bringen, zur Belohnung eine kleine Sequenz genießen, einen Brief lesen - und dann beim nächsten Schauplatz das Gleiche wiederholen.
Mit ein bisschen Zynismus lässt sich die Gesamtheit an Spielmechanik auf kaum mehr als zehn kleine Rätselketten reduzieren, die zudem fast alle nach dem gleichen Muster verlaufen. Bei Ethan Carter geht es demnach weniger um tatsächliche Interaktion und cleveres Rätseldesign, sondern um Wahrnehmung und Gefühle. Wie wirkt die malerische, aber einsame Spielwelt auf uns? Wodurch entsteht der Anschein von Tod und Verfall?
Was fürchten wir in diesem Spiel wirklich? Wo Gone Home mit einem Gefühl von Nostalgie spielt, arbeitet Ethan Carter mit der Angst vor Vergänglichkeit, vor Ablehnung durch die Gesellschaft und den Schattenseiten vermeintlicher Idyllen. Dabei wird das Geschehen sehr geruhsam erzählt - wer nicht die Geduld mitbringt, sich auf den gemächlichen Spielfluss einzulassen, der dürfte enttäuscht werden.
Schönheitspreis
Wer sich allerdings die Zeit nimmt, der wird mit einer wunderbar stimmigen Atmosphäre belohnt, die von der fantastischen Präsentation ungemein profitiert. Denn auf die Schnelle fällt uns kein Spiel ein, das so schön aussieht wie The Vanishing of Ethan Carter. Dank der speziellen Modellierungstechnik (mehr dazu in unserem Technik-Special zur Photogrammetrie) wirkt die Landschaft unheimlich realistisch; jeder Stein ist individuell gesetzt, einzigartig gestaltet und unverwechselbar angeordnet.
In Kombination mit der tollen Lichtstimmung könnte jeder Blick auf die Wälder und Seen in Red Creek Valley direkt in eine Fotosammlung der schönsten Panorama-Bilder wandern. Hinzu kommt ein einprägsamer Soundtrack mit über 90 Variationen - für ein so kurzes Spiel macht Ethan Carter an allen Ecken und Enden deutlich, wie viel Detailarbeit in die Inszenierung gesteckt wurde.
The Vanishing of Ethan Carter ist eine minutiös komponierte Geschichte, die den Spieler emotional gefangen nimmt, ihn in eine fantastisch inszenierte virtuelle Welt entführt und auf Entdeckungsreise schickt. Dabei knobeln wir vor allem in unserem Kopf über mögliche Bedeutungen, Zusammenhänge und Hintergründe - denn die eigentlichen Spielmechaniken sind arg begrenzt.
Weder gibt es wirklich viel zu entdecken, noch können wir abseits der spärlichen Rätsel wirklich mit der Spielwelt interagieren. Trotzdem: Allein schon wegen der famosen Aussicht kann jeder Freund subtiler Gruselgeschichten guten Gewissens einen Ausflug ins malerische Red Creek Valley riskieren.
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