Mit Overwatch hat Blizzard den Shooter-Markt im Sturm erobert - eigentlich wollte man das mit Starcraft: Ghost aber schon viel früher schaffen. Im Jahr 2000 konnte das Studio zwar schon auf beträchtliche Erfolge wie Starcraft und Diablo zurückblicken, suchte aber nach Wegen, sich auch außerhalb der Stamm-Genres Strategie und Action-RPG als Hit-Spieleschmiede zu etablieren.
Es war also genau der richtige Zeitpunkt, als Robert Huebner und das junge Team Nihilistic Software mit einer kühnen Idee an Blizzard herantraten: Wie wär's denn mit einem Konsolenshooter im Starcraft-Universum? Ein neues Genre, neue Plattformen - perfekt, um Blizzards Reichweite zu vergrößern!
2002 wurde das Spiel mit viel Getöse offiziell angekündigt, in den folgenden Jahren zeigte Blizzard immer wieder spielbare Versionen auf verschiedenen Messen. Das Licht der Welt erblickte es jedoch nie. Über ein Jahrzehnt lang brodelte die Gerüchteküche um Ghost. Was dauert denn da so lange? Wurde es eingestellt? Kommt es vielleicht doch noch?
Erst 2014 bestätigte Blizzard-Präsident Mike Morhaime, dass das Spiel offiziell tot ist. Gestorben war es aber schon Jahre zuvor. Die amerikanische Website Polygon hat im Gespräch mit mehreren Schlüsselfiguren des Projekts rekonstruiert, was damals so schrecklich schieflief, dass das einst als sicherer Hit gehandelte Spiel nie erschien.
Von Lucasarts zu Starcraft
Nihilistic Software wollte sich in der Spieleindustrie einen Namen machen. Das Entwicklerteam wurde von Lucasarts-Veteranen gegründet, die unter anderem an Jedi Knight mitgearbeitet hatten. Robert Huebner bezeichnete das Star-Wars-Studio als »Lucas-Universität«: schlechte Bezahlung, aber ein gutes Sprungbrett in die Industrie. Nach Lucasarts arbeitete er sogar kurzzeitig schon für Blizzard am Original-Starcraft. Aber dann überredete ihn Jedi-Knight-Kollege Ray Gresko, gemeinsam ein neues Team zu gründen. Erste Lorbeeren erwarb sich Nihilistic mit dem Rollenspiel Vampire: The Masquerade - Redemption.
Eine Zusammenarbeit mit Blizzard sollte der nächste Schritt sein. Damals war just Metal Gear Solid erschienen und Splinter Cell stand kurz bevor, also entwickelte Nihilistic die Idee eines Third-Person-Stealthshooters im Starcraft-Universum. Als Ghost-Eliteagentin Nova sollten Spieler Starcraft aus einem völlig neuen Blickwinkel erleben und selbst im Schützengraben sitzen, wenn die Zerg hereinbrechen.
Mach's gut, Lucasarts:Nachruf auf die Kult-Spieleschmiede
Blizzard - ohnehin schon äußerst angetan von Nihilistics Vampire-Erstlingswerk - war von der Ghost- Präsentation begeistert. Und natürlich auch vom Gedanken, mit Starcraft die Konsolen zu erobern. Starcraft: Ghost bekam grünes Licht und das mit einem recht großzügigen Deal: Blizzard würde regelmäßig Feedback geben und die Zwischensequenzen beisteuern, während Nihilistics Team in San Francisco ganz ohne Deadline drauflos entwickeln durfte.
Stealth oder Action?
Am Anfang war tatsächlich alles eitel Sonnenschein: Beide Studios waren Feuer und Flamme für das Projekt und bereits frühe Versionen spielten sich laut Entwickleraussagen hervorragend. Mit der Zeit entwickelten sich aber Spannungen. Schon damals war Blizzard kein Studio, das unbedingt zielstrebig auf einen Release hinarbeitete. Man nahm sich alle Zeit, die es brauchte, und trat ein Spiel auch mal in die Tonne, wenn es den eigenen Ansprüchen nicht genügte.
Laut Huebner schlug Blizzard in Feedback-Meetings mit Nihilistic ständig neue Features vor, anstatt sich darauf zu konzentrieren, die bisherige Vision zu perfektionieren. Als 2002 etwa Splinter Cell erschien, sollte Ghost sich daran ein Beispiel nehmen. Bei Nihilistic wurde es zu einem Running Gag, welches aktuelle Spiel ihnen Blizzard wohl beim nächsten Mal als Vorbild vorsetzen würde.
Auch Chris Millar, der als Nihilistics Kontaktperson und Producer bei Blizzard fungierte, gibt zu, dass man nicht immer zeitige und konsistente Rückmeldung gab. Ursprünglich sollte Ghost vor allem ein Stealth-Spiel werden, aber viele Leute bei Blizzard wünschten sich zunehmend mehr Action. Statt fokussiert auf die Zielgerade zu gehen, zerfaserte die Entwicklung immer weiter. Mal war Action die oberste Priorität, dann wieder Tarnlevels, dann plötzlich sogar Koop-Multiplayer. Viele der von Blizzard gewünschten Features waren laut Huebner für ein verhältnismäßig kleines Team wie Nihilistic nicht realistisch. Und obgleich Ghost eine Reihe vielversprechender Level enthielt, etwa die Infiltration eines Protoss-Schiffes, hätte sich jedes davon wie ein gänzlich anderes Spiel angefühlt.
Die Entwickler seien zunehmend frustriert und überarbeitet gewesen - ohne merklichen Fortschritt in Richtung Release zu machen. Auf der E3 2004 fiel dann das Todesurteil. Während im Besucherbereich noch eine spielbare Messeversion von Ghost lief, trafen sich Blizzard und Huebner hinter verschlossenen Türen und kamen zu dem Schluss, dass die Entwicklung an Ghost so nicht weitergehen konnte. Nihilistic war raus - aber das bedeutete noch nicht das Ende der Geschichte.
World of Warcraft war schuld
Blizzard hatte Ghost nämlich noch nicht komplett aufgegeben. Ein neuer Entwickler namens Swingin' Ape Studios sollte das Projekt neu angehen und zu Ende führen. Ähnlich wie seinerzeit Nihilistic hatten sie Blizzard mit ihrem Erstling, dem dem Third-Person-Shooter Metal Arms: Glitch in the System, überzeugt. Diesmal sollten die Ghost-Entwickler aber nicht als externer Dienstleister fungieren, Blizzard kaufte Swingin' Ape direkt auf.
Der zweite Versuch begann wie schon der erste Anlauf vielversprechend: Blizzard bemühte sich, konzentrierteres Feedback zu geben, und die Entwicklung schritt stressfrei, aber zielstrebig voran. Auch wenn Ghost unter der neuen Federführung zu einem ganz anderen Spiel wurde als noch unter Nihilistic. Die Action stand deutlich stärker im Vordergrund, genau wie der Multiplayermodus. Auf der Blizzcon 2005 waren Versus-Matches zu spielen, in dem sich Starcraft-Charaktere wie die Firebat-Flammenwerfersoldaten gegenseitig an die Gurgel gingen.
Bei den Messebesuchern kam das neue Ghost richtig gut an, bei den ursprünglichen Entwicklern weniger. »Ich habe es nicht verstanden«, meinte Nihilistic-Mitarbeiter Chris McGee. »Es war frustrierend. Aber diese ganze Industrie ist voll von Frustrationen.« Auch Chris Millar war schockiert davon, wie stark sich das Spiel verändert hatte.
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Trotzdem sah man es bei Blizzard auf einem guten Weg - bis World of Warcraft dazwischenkam. Das erschien 2004 und erwies sich als Blizzards bislang größter Hit. So wurde es zur obersten Priorität, WoW so groß wie möglich zu machen. Notfalls auch auf Kosten anderer Projekte wie eben Ghost. Zumal der Starcraft-Shooter aufgrund seiner langen Entwicklungszeit ohnehin schon spät dran war. Als die Entwicklung begann, war die erste Xbox weniger als ein Jahr alt, nun sollte Ghost 2005 erscheinen. Also im gleichen Jahr, in dem die Xbox 360 die nächste Konsolengeneration einläuten würde.
Blizzard stand vor einer Entscheidung: Entweder die Arbeit an Ghost intensivieren und noch mehr Ressourcen in das Spiel stecken, um es Next-Gen-tauglich zu machen, oder das Projekt zu den Akten legen. Laut Swingin'-Ape-Veteran Matthew Bell wäre sein Team auch von Blizzard unterstützt worden, wenn man sich auf ein Next-Gen-Ghost hätte stürzen wollen. Aber in Anbetracht all der anderen Blizzard-Projekte glaubte das Ghost-Team nicht, dass genügend Entwickler zur Verfügung gestanden hätten, um das durchzuziehen.
Also wurde die Entwicklung an Starcraft Ghost beendet - und diesmal endgültig. Immerhin kam Nova trotzdem nochmal zum Zuge: 2006 erschien der Roman StarCraft: Ghost: Nova mit der Vorgeschichte des damals bereits eingestellten Spiels. Bis sie endlich in ihrem eigenen Spiel auftreten durfte, sollte es aber noch bis 2016 dauern. Dann bekam sie zumindest ihren eigenen DLC für Starcraft 2: Novas Geheimmissionen.
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