Mit dem Reboot will Saints Row einen Neuanfang wagen, nachdem sich die Action-Reihe in eine Sackgasse der Superlative manövriert hatte: Sie war einfach zu abgedreht geworden, um sich selbst noch übertreffen zu können. Folglich versucht der neue Teil das auch überhaupt nicht, sondern setzt alle Regler auf Null zurück – statt der bekannten Third Street Saints bekommen wir eine neue, hippe Gruppe, die neue Stadt Santo Ileso und eine neue Aufstiegsstory der Saints.
So richtig zünden will der Neustart dabei aber nicht, dafür bringt das Reboot zu viele alte und neue Schwächen mit und manövriert sich direkt in die nächste Sackgasse.
Story und Charaktere
Eigentlich zeigt sich das neue Saints Row besonders in den ersten Minuten von der besten Seite. Hier dürfen wir nämlich direkt unseren “Boss” genannten Hauptcharakter selbst erstellen und werden mit einer ebenso riesigen wie spaßigen Auswahl an Anpassungsmöglichkeiten überschüttet. Unabhängig vom Geschlecht stehen uns alle Optionen zur Verfügung, ob wir nun goldene Haut, bunte Zähne, Elfenohren oder Prothesen wollen.
Zusammen mit unseren WG-Mitbewohner*innen Neena, Eli und Kevin versuchen wir zu Beginn des Spiels, die Miete zusammenzukratzen und verdingen uns als Söldner*in für die Marschalls-Gang. Nach einem fehlgeschlagenen Auftrag, der uns unseren Job kostet, entschließen wir uns kurzerhand, zusammen mit unseren Roomies ein eigenes kriminelles Imperium zu gründen. Fortan schließen wir Missionen ab, bei denen wir unseren Einfluss oder unsere Crew vergrößern und prügeln uns mit den anderen Gangs der Stadt um die Vormachtstellung.
Während dieser klassischen Aufstiegs-Story liegt der Fokus aber auch stets auf unseren Freund*innen. Die Frage, ob die neuen Charaktere nun überzeugen können, dürfte bei Fans für Zwiespalt sorgen. Die Hipsterbande wirft nur so mit gewollt coolen Sprüchen um sich und hat damit bei uns gerne mal für Fremdschämen gesorgt.
Gleichzeitig gibt es aber auch den ein oder anderen authentischen Moment, etwa wenn wir mit Neena deprimiert beim Teleshopping Messer bestellen, weil wir gerade unseren Job verloren haben. In der zweiten Hälfte der Story ist uns zumindest die Crew dann doch ans Herz gewachsen und wir konnten über die holprigen Dialoge hinwegsehen. Dazu haben nicht zuletzt die persönlichen Missionen beigetragen, bei denen wir mehr über Neena, Eli und Kev lernen.
Missionen und Kampfsystem
Um im Spiel voranzukommen, schließen wir diverse Hauptmissionen ab, bei denen wir etwa unseren Saints-Einfluss in der Stadt vergrößern oder unseren Freund*innen helfen. Hier sind durchaus einige spaßige Quests dabei, etwa wenn wir in bester Western-Manier einen Zug überfallen oder unserem Buddy Eli beim LARP-Spielen zur Seite stehen. Da kommt dann auch die abgedrehte Saints Row-DNA wieder durch und sorgt für ordentlich Unterhaltung.
Allerdings werden diese Momente zu oft unter repetitiven Aufgaben begraben. So erwarten uns regelmäßig ereignislose Autofahrten, bei denen wir zu Punkt A fahren, um dort etwas abzuholen, dann weiter zu Punkt B reisen, um dort ein paar Gegner abzuballern und uns dann wieder ins Auto schwingen, um zu Punkt C zu gelangen. Zumindest der großartige Soundtrack aus dem Radio hat uns die Fahrzeit verkürzt.
Und auch dem Kampfsystem, das einen Großteil der Action bei Saints Row ausmacht, fehlt es auf Dauer an Abwechslung und Spaßfaktor. Zwar gibt es durchaus Varianz bei den Gegnertypen, wie etwa gepanzerte Minibosse, die mit schweren Hämmern auf uns losgehen. Aber die Masse an Feinden ist einfaches Kanonenfutter. Noch dazu ist die KI nicht sonderlich schlau. Meist schießen wir stumpf auf Gegner, die direkt auf uns zurennen oder herumstehen, bis nichts mehr zuckt. Dabei steht uns immerhin eine große Waffenauswahl zur Verfügung, aber so ausgefallene Modelle wie den berühmten Dildo-Schläger braucht ihr nicht zu erwarten.
Und auch das Zielen mit dem Controller auf PS5 und Xbox Series X hat sich bei uns im Test unbefriedigend angefühlt. Die Steuerung ist dabei zu ungenau, was für Frustration gesorgt hat. Gleichzeitig korrigiert der Controller mittels “Snap-on” beim ersten Zielen stark nach, sodass es sich fast wie automatisches Anvisieren anfühlt. Nehmen wir etwa das Scharfschützengewehr zur Hand, macht es wenig Sinn für uns den Zielen-Button gedrückt zu halten. Vielmehr visieren wir kurz an, haben dank Snap-on den Gegner bereits im Visier, drücken ab und lassen den Zielknopf wieder los, bevor wir zum nächsten Gegner schwenken. Spaßiges Gunplay geht anders, hier erinnert das Spiel eher an Fallout 76 als an klassische 3rd-Person-Shooter wie Sleeping Dogs oder Sunset Overdrive.
Verursachen wir im Kampf Schaden, füllt sich außerdem unsere Flow-Leiste. Ist die voll, können wir unsere diversen Fähigkeiten einsetzen, von denen wir mit jedem Aufleveln eine neue freischalten: Sei es Gegnern Granaten in die Hosen zu stecken, sie mit einem Flammenschlag niederzustrecken oder uns kurzzeitig zu heilen, wenn wir Schaden austeilen. Das bringt immerhin etwas Taktik in die Kämpfe. Allerdings sind wir nach dem eher knackigen Einstieg auch schnell überlevelt und das Spiel wird zu leicht. Wer die Herausforderung sucht, kann jedoch den Schwierigkeitsgrad jederzeit ändern.
Koop: Abseits der ersten beiden Missionen können wir das komplette Spiel auch zu zweit im Online-Koop spielen und den Missionsfortschritt auf Wunsch für beide Spieler*innen übernehmen. Zwar kam es in unserem Test hier zu kleineren Bugs, durch die die Position unseres Koop-Partners etwa nicht auf der Karte angezeigt wurde, wir hatten gemeinsam aber deutlich mehr Spaß als alleine. Das lag nicht nur daran, dass wir gemeinsam über Bugs lachen konnten, sondern uns während der ereignislosen Autofahrten auch austauschen konnten.
Zumindest die Verfolgungsjagden mit der Polizei und anderen Banden sind um einiges actionreicher und spaßiger als die Kämpfe. Wir sind hier nie müde geworden, die anderen Autos seitlich zu rammen und sie in einem Feuerball aufgehen zu sehen. Mit der Physik nimmt es das Spiel dabei nicht allzu genau, die überdrehte Reaktion von Fahrzeugen auf jede Kollision mag für den ein oder anderen gewöhnungsbedürftig sein. Für uns zumindest hat es aber für ordentlich Belustigung gesorgt, wenn wir von einem zerstörten Wasserhydranten gute zehn Meter in die Luft katapultiert wurden.
Open World und Reisen
Auch die Einbindung der Missionen in die offene Spielwelt hat bei uns für verständnisloses Kopfkratzen gesorgt. Denn das freie Erkunden der Welt und das Abschließen von Hauptmissionen sind strikt voneinander getrennt. So können wir während einer aktiven Quest nicht mehr schnellreisen sondern müssen stattdessen durch die gesamte Stadt fahren und auch viele der Aktivitäten sind nicht verfügbar.
Wir können dann in einigen Geschäften nicht einkaufen, keine Nebenaktivitäten starten, und sind bei vielen Missionen auf einen stark eingegrenzten Einsatzbereich limitiert. Verlassen wir den, schlägt die Mission fehl und wir müssen vom letzten der (immerhin meist fair gesetzten) Checkpoints neu anfangen. Besonders ärgerlich ist das, da beim Spielen mehrfach Bugs aufgetreten sind, mit denen Gegner außerhalb unseres erlaubten Bereiches spawnen und wir sie nicht erreichen können.
Technische Performance: Beim Spielen sind wir mehrfach auf Bugs gestoßen. Viele davon waren nicht weiter störend, wie etwa Clipping-Fehler, manche haben aber auch unseren Fortschritt behindert. Hier mussten wir mehrfach den Checkpoint neu laden, einmal mussten wir sogar das Spiel beenden. Das ist besonders ärgerlich, da Rücksetzpunkte innerhalb von Missionen nicht vom Spiel gespeichert werden. Machen wir Saints Row während einer aktiven Quest aus, müssen wir die 30-45 minütige Mission komplett von vorne beginnen.
Auflösungsmodi: Saints Row verzichtet auf allen Konsolen und in jedem Bildmodus auf feste Begrenzungen bei der Framerate, stattdessen fluktuiert diese je nach Aufwand einer Spielszene. Wirklich flüssig fühlt sich der Titel daher nur auf einem Fernseher mit einer Unterstützung für variable Bildfrequenzen (VRR) an. Dann koppelt sich die Bildwiederholrate eures TVs an die schwankende Framerate des Spiels, wodurch es geschmeidiger wirkt. Ohne VRR ist die Verteilung der ausgegebenen Bilder extrem unregelmäßig, was beim Spielen enorm stören kann.
Das bringt Ray-Tracing: Die fünf verfügbaren Bildmodi unterscheiden sich grundlegend bei der Auflösung, diese lässt sich zwischen 4K, 1440p und 1080p justieren. Zudem lässt sich optional Ray-Tracing – also eine Technik zur physikalisch korrekten Berechnung von Lichtstrahlen – hinzuschalten. Diese sorgt für die bestmögliche Schattendarstellung, lässt die Bildwiederholrate aber auch regelmäßig einbrechen.
Haben wir dagegen keine Mission ausgewählt, können wir die offene Spielwelt von Santo Ileso und dem näheren Umland frei erkunden. Die Umgebung ist dabei recht leer und bietet wenig Abwechslung, was nicht zuletzt am grau-braunen Look der Wüstenstadt liegt. Ohnehin wirkt die Grafik von Saints Row schon in die Jahre gekommen und wird mit Sicherheit niemanden vom Hocker reißen. Die wachsartigen Gesichter und matschigen Texturen sorgen dafür, dass das Spiel nicht mit modernen Open World-AAA-Titeln wie Ghost of Tsushima oder selbst einem älteren The Witcher 3: Wild Hunt mithalten kann.
Dafür gibt es aber einiges an Nebenaktivitäten in der Stadt zu absolvieren, ob wir nun Container nach Schätzen durchwühlen, Gesuchte jagen, Drogenpakete aufsammeln, Sehenswürdigkeiten fotografieren um Schnellreisestationen freizuschalten oder die verschiedenen Klamottenläden der Stadt abklappern. Letztere haben nämlich alle ein eigenes Sortiment und runden unseren Charakter mit herrlich ausgefallenen Klamotten ab.
Überall in der Stadt gibt es außerdem Aussichtstürme, von denen aus wir mit unserem Wingsuit eine Erkundungstour starten können. Das macht zwar ordentlich Laune, wir haben es aber letztlich seltener genutzt, als wir vorab erwartet hätten. Stattdessen ist es meist praktischer, den Stadtbewohner*innen einfach das nächstbeste Auto unter der Nase wegzuklauen, wenn wir irgendwo hin wollen. Für Tuning-Enthusiast*innen gibt unsere Garage hier jede Menge Anpassungsmöglichkeiten her, mit denen wir nicht nur das Aussehen unserer Karre verändern, sondern auch Spielereien wie einen Schleudersitz oder Turbo-Boost einbauen können.
Barrierefreiheitsoptionen: Saints Row bietet eine große Auswahl an Zugänglichkeitsoptionen, so können etwa Tasten neu belegt, die Fahrgeschwindigkeit runtergestellt und die Untertitelgröße hochgeschraubt werden. Außerdem gibt es Optionen für Hochkontrast- und Farbenblindheitsmodi und die Möglichkeit, die Darstellung von Gewalt abzuschalten. Einige Optionen hätten wir uns beim spielen aber noch gewünscht, so lässt sich das automatische Zentrieren der Kamera beim Fahren nicht abschalten und die invertierte Steuerung beim Fliegen nicht ändern.
Innerhalb der Stadt können wir außerdem kriminelle Vorhaben angehen: Dafür wählen wir im Hauptquartier ein Unternehmen, das wir in einem der Bezirke bauen wollen und müssen dann eine bestimmte Anzahl an Aufgaben für dieses Unternehmen abschließen, um den Bezirk zu übernehmen: So müssen wir eine bestimmte Anzahl an Autos klauen oder Versicherungsbetrug begehen, indem wir uns wiederholt in den offenen Straßenverkehr werfen. Während einige dieser Aufgaben durchaus spaßig sind (mit dem Versicherungsbetrug hatten wir fast schon zu viel Freude) fehlt es auch hier an Abwechslung.
Wir wiederholen einfach stumpf bis zu einem dutzend Mal die immer gleichen Vorgänge, um ein einzelnes kriminelles Vorhaben abzuschließen. Zum Glück müssen wir das nur wenige Male tun, wenn wir einfach die Story beenden wollen – wer aber nach dem Ende der Kampagne noch die restlichen Hauptmissionen abschließen und die komplette Stadt einnehmen will, ist hier zu Grind gezwungen.
Fazit
Das Reboot hat unterm Strich mit zu vielen kleineren und größeren Problemen zu kämpfen, um die Saints-Row-Flamme neu zu entfachen: Von den Bugs über repetitive Mechaniken und einem teils schlecht durchdachten Missionsdesign bis hin zu Charakteren, die mit Sicherheit nicht alle Fans abholen werden. Auch das Spieldesign wirkt im Vergleich zu modernen Open World-Spielen wie etwa Horizon Forbidden West einfach zu veraltet. Wo ältere Saints Row-Teile noch mit ihren abgedrehten Elementen über solche Schwächen hinwegtäuschen konnten, hat das Reboot diesen Luxus nicht.
Das heißt dabei keineswegs, dass das Spiel überhaupt keinen Spaß macht. Besonders wenn zwischendrin immer mal wieder die abgedrehten Saints Row-Ideen durchkommen, haben wir die Schwächen beim Gameplay auch gerne mal vergessen. Letztlich ist Saints Row für euch einen Blick wert, wenn ihr neu in die Reihe einsteigen, einfach in einer Open World etwas Chaos stiften oder euch die Zeit bis GTA 6 vertreiben wollt. Mit rund 18 Stunden Spielzeit für die Hauptstory und zahlreichen Nebenaktivitäten könnt ihr auf jeden Fall eine Weile beschäftigt sein.
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