Die Liste der diesjährigen Hitspiele ist lang. Bei der Fülle an großen Namen solltet ihr Indie-Titel jedoch nicht belächeln. Sonst könntet ihr Sable verpassen, das Debüt des zweiköpfigen Entwicklerteams Shedworks aus London. Das einfühlsame Adventure ist trotz starker Konkurrenz eines der besten Spiele 2021 - wird momentan aber leider noch von technischen Problemen geplagt.
Einmal durch die Wüste und zurück
In Sable spielen wir die gleichnamige Jugendliche Sable. Wie alle Kinder des Wüstenlandes Midden muss sie das sogenannte Gliding antreten - eine rituelle Reise, mit deren Abschluss sie als Erwachsen gilt. Ziel dieser Reise ist es, eine Maske zu finden. Masken sind ein zentraler Teil der Kultur Middens, da sie nicht nur Reife symbolisieren, sondern auch Zugehörigkeit und den Platz innerhalb der Gesellschaft. Ob Händler, Entertainer, Kartografen oder Wächter, jede Personengruppe hat ihre eigene Maske.
Den besonderen Grafik-Stil von Sable könnt ihr euch hier im Gameplay-Trailer anschauen:
Passend zur Selbstfindung entfaltet sich Sables Handlung allein durchs Entdecken der offenen, frei erkundbaren Welt Middens, die wir auf einem selbstgebauten Gleiter durchqueren. In Gesprächen mit den Bewohner*innen des Landes lernen wir von ihren Idealen, Sorgen und Wertvorstellungen. Schiffswracks und Ruinen zu finden, offenbart hingegen die mysteriöse Vergangenheit von Midden. Und zwischen all dem merken wir: Erwachsen zu werden, ist für niemanden einfach. Doch das ist das Spannende am Prozess.
Dieses nonlineare Storytelling mag nicht allen gefallen. Es zählt aber zu Sables Stärken, weil es mit dem Ausgangspunkt der Handlung harmoniert: Je mehr Zeit wir in der Welt Middens verbringen, desto besser verstehen wir sie und desto leichter wird es uns fallen, unseren - und damit Sables Platz - in ihrer Gesellschaft zu finden.
Weil die Handlung derart von unserem Entdeckungsdrang abhängt, lässt sich die Spieldauer von Sable übrigens nur grob einschätzen. Wer aber jede der fünf Regionen mindestens einmal durchkreuzt und gründlich untersucht, sollte mindestens 15 Stunden in Midden verbringen.
Vertrautes Spielgefühl, aber keine Kopie
Zu Beginn des Spiels ein klares Ziel zu bekommen, das wir in unserem eigenen Tempo in einer frei erkundbaren Welt verfolgen dürfen, erinnert an The Legend of Zelda: Breath of the Wild. Tatsächlich hat sich Sable nicht nur dabei vom jüngsten Zelda-Ableger inspirieren lassen. Wie Link kann Sable alles erklimmen, solange sie genügend Ausdauer hat. Die können wir dauerhaft erhöhen, vorausgesetzt, wir finden die nötigen Gegenstände und den Ort, an dem wir sie gegen ein Upgrade eintauschen können.
Eine dreiste Kopie ist Sable deswegen nicht, weil es auf Kämpfe und sogar Tode komplett verzichtet. Unsere Heldin nimmt nicht einmal Fallschaden. Somit dient die Schwebeblase, die wir im Tutorial erhalten, auch weniger unserem Überleben, sondern allein dem flotteren Überbrücken von Abgründen.
Diese Sicherheit verwandelt Sable in eine minimalistische, meditative Erfahrung. Und dank der Freiheiten der Klettermechanik dürfen wir stets selbst bestimmen, wie wir die Hindernisse dieser Erfahrung am besten überwinden. Fast wie beim Erwachsenwerden.
Sable ist wie ein guter Lehrer
Sables Stärken liegen nicht nur in der nahtlosen Verbindung von Story und Gameplay. Wie ein guter Lehrer spornen uns die besten Momente zur Selbstständigkeit an und versüßen damit das Erfolgsgefühl einer Entdeckung.
Ein Beispiel: Wir treffen früh die ehemalige Wächterin Eliisabet. Sie ist auf dem Weg zur Bridge of the Betrayed, die südwestlich unserer Position liegt. Wollen wir sie wiedersehen, sollen wir einfach ihren Angaben folgen - natürlich ohne einen Questmarker, der das Ziel vorwegnehmen würde. Also schwingen wir uns auf unseren Gleiter, blicken auf unseren Kompass und fahren los.
Demgegenüber stehen leider uninspirierte Fetch Quests, die oft demselben Schema folgen: Gehe an einen Ort, löse ein Problem und hole den Gegenstand. Meistens wird das Ziel direkt mit einem Questmarker auf unserer Karte versehen. Das ist zwar verständlich, weil es das Spiel beschleunigt, schmälert aber die Freude beim Erkunden.
Völlig anspruchslos sind diese Aufgaben zum Glück nicht. Die Lösung des Problems müssen wir nämlich selbst entschlüsseln, etwa wenn wir Käfer fangen sollen, die sofort fliehen, wenn wir ihnen zu nah kommen. Eher stört, dass Sable diese Formel gern wiederholt.
So schön waren Wüsten selten
Die Screenshots sollten es schon bewiesen haben: Sable beeindruckt auch visuell. Das liegt zum einen an der kreativen, teils übernatürlichen Architektur von Midden und zum anderen an der Cel-Shading-Grafik, die an die Werke des französischen Künstlers Jean "Moebius" Giraud erinnert.
Jede Region hat dank einer eigenen Farbpalette eine klare visuelle Identität. Ähnliches gilt für den dynamischen Tageszeitenwechsel. Nachts wird in es Midden nicht bloß dunkel. Ruhiges Blau und Grün, Grauabstufungen und blasse Pastelltöne ersetzen die expressiven Farben des Tages.
Stilsicherheit zeigt Sable auch beim Sound. Nur der brummende Motor des Gleiters, der rauschende Sand, der mal flüsternde, mal fauchende Wind, oder schüchterne Klavier- und Gitarrenakkorde durchbrechen die Stille der Wüste. Die Klangkulissen der Lager, Dörfer oder Höhlen Middens verzieren hingegen zarte Stücke, komponiert von Michelle Zauner, Sängerin und Songwriterin der Indie-Band Japanese Breakfast.
Der einzige Wermutstropfen der Präsentation: Noch hat Sable keine deutschen Texte. Sie werden voraussichtlich Ende des Jahres nachgeliefert.
Wären da nicht Performance-Probleme und Bugs
Die spielerische und visuelle Schönheit Sables wird momentan leider von einer Vielzahl technischer Probleme verdorben, etwa durch konstante Framerate-Einbrüche. Noch gravierender ist das Stottern. Sable bleibt regelmäßig für Sekundenbruchteile auf der Stelle hängen, wie bei einem laggenden Online-Spiel.
Wir haben außerdem mehrere Bugs gefunden. Manchmal ließ sich das Einstellungsmenü öffnen, wir konnten aber keine der Optionen wählen. Das bedeutet auch, dass wir in dem Moment nicht manuell speichern konnten.
Zweimal ist Sables Gleiter sogar verschwunden, nachdem wir ihn aus größerer Entfernung gerufen haben. Karte und Kompass zeigten seine vermeintliche Position an, er befand sich aber weder dort noch in der unmittelbaren Nähe. Das ließ sich nur via Schnellreise zu einem beliebigen Ort lösen; danach spawnt der Gleiter immer neben Sable. Unsere Kolleg*innen bei der Gamestar hat es noch schlimmer getroffen. Sie haben durch einen Bug ihren Spielstand verloren.
Deswegen empfehlen wir: Wartet noch, bis die ersten Patches erscheinen, die laut Publisher Raw Fury bereits in Arbeit sind. Denn abseits der technischen Schwächen ist Sable ein simples, aber keinesfalls belangloses Ausnahmespiel. Es erlaubt sich nur wenige Fehler, und jedes seiner Teile, egal wie klein es ist, greift wie ein minutiös abgestimmtes Uhrwerk ineinander. Niemandes Ersteindruck sollte vom offensichtlich verfrühten Launch verdorben werden.
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