Frühe Vernetzung
Aber nicht nur die Briten – allen voran Nintendos wichtigste Europa-Partner Rare, die etliche ihrer NES- (Battletoads, R.C. Pro-Am) und später auch SNES-Marken (Killer Instinct, Donkey Kong Country) auf den Game Boy bringen – versorgen fleißig das Nintendo-Handheld. Zahllose Publisher und Entwickler steuern zu einem kontinuierlich wachsenden Spieleangebot bei: Capcom, Konami, Square, Taito, THQ, Acclaim, Ocean, Microprose, Ubisoft, Infogrames, Disney, Midway – kaum ein Spiele-Unternehmen der 1990er lässt sich die Chance entgehen, vergleichsweise günstig für einen boomenden Riesenmarkt zu produzieren.
Allein in Deutschland besitzen laut stolzer Verkündung des offiziellen Club Nintendo-Magazins bis Ende 1991 über zwei Millionen Menschen einen Game Boy, fünf Millionen Spiele befinden sich in den Privathaushalten. Der Löwenanteil davon sind Tetris-Module: Das russische Knobelspiel liegt dem Game Boy bei, ist die Killer Application der Konsole und eine virtuelle Droge, deren Suchtwirkung sich niemand entziehen kann; bis in den Schlaf hinein verfolgen einen fallende Klötzchen und russische Melodien.
Tetris ist auch der erste Game Boy-Titel, der das beigelegte »Game-Link Dialog-Kabel« nutzt: Über eine Schnittstelle an der rechten Gehäuseseite lassen sich zwei Handhelds verbinden, um im Versus-Modus gegeneinander Klötzchen zu stapeln. Dutzende Spiele machen Gebrauch von der Vernetzungsmöglichkeit – von der Prügelei Double Dragon über Bomberman (in Europa als Dynablaster veröffentlicht) bis zu zahllosen Sportspielen wie Nintendo World Cup oder Malibu Beach Volleyball. Später dürfen sich sogar vier Handheld-Spieler mit ihren Game Boys zum gemeinsamen Zocken zusammenfinden – der gesondert erhältliche Vierspieler-Adapter wird vornehmlich von Rennspielen wie F-1 Race, Super R.C. Pro-Am oder Wave Race (die durch den N64-Teil legendär gewordene Jetski-Raserei feiert ihr Debüt auf 1992 auf dem Handheld) unterstützt.
Nintendo genießt einige Jahre den gewaltigen Erfolg des Game Boy, der nicht zuletzt den großartigen, hauseigenen Spielen rund um die Marken Mario, Wario, Zelda, Kirby oder Metroid zu verdanken ist. In puncto Hardware halten sich die Japaner dagegen zurück: Dem grauen Selbstläufer werden ein paar Farbvarianten (wie knallgelb oder schwarz) spendiert, außerdem bringt Nintendo 1994 die Super Game Boy-Peripherie, mit der die Game Boy-Bibliothek via SNES in vier Farben auf dem großen Bildschirm und mit hübschem Rahmen versehen gespielt wird. Spät im Game Boy-Leben, 1998, erscheinen bei uns zudem die Game Boy Camera, die in den Modulschacht gesteckt wird, sowie der kuriose Game Boy Printer, mit dem sich die grobpixeligen Schwarzweiß-Bilder ausdrucken lassen und der von einer Handvoll Spiele (zur Ausgabe von Passwörtern oder Sportspielstatistiken) genutzt wird.
Game Boy-Genie
Zwei kreative Superhirne sind entscheidend für den Aufstieg Nintendos zur Videospiel-Supermacht: Shigeru Miyamoto erfindet Donkey Kong, Mario und Zelda, Gunpei Yokoi die Game&Watch-Handhelds, das NES-Pad und den Game Boy. Und noch einiges mehr: Yokoi, der 1965 als Maschinenwart zu Nintendo kommt und sich wegen Unterforderung die Zeit mit dem Erfinden von Spielzeug vertreibt, beschert seinem Arbeitgeber den ersten Millionenhit fürs Kinderzimmer. Ultra Hand heißt Yokois Teleskop-Greifarm, auf den Nintendo-Chef Hiroshi Yamauchi durch Zufall aufmerksam wird und der sich Ende der 1960er rund 1,2 Millionen Mal verkauft.
Yokoi wird Chef der Research & Development-Abteilung Nintendos, erfindet den neckischen Love Tester und die Rubik's Cube-artige Teufelstonne, verantwortet eine Reihe höchst erfolgreicher Lichtpistolen-Spielzeuge (darunter Duck Hunt von 1976), produziert Spielautomaten- (Donkey Kong, Mario Bros.) und NES-Titel (Kid Icarus, Metroid). Gunpei Yokoi ist der Mann hinter dem erfolgreichsten Produkt Nintendos, dem Game Boy, aber auch hinter einem der größten Flops, der 3D-Konsole Virtual Boy. Nach 31 prägenden Jahren bei Nintendo verlässt er 1996 das Unternehmen und gründet die Firma Koto, wo er an dem Bandai-Handheld Wonderswan arbeitet. Dessen Veröffentlichung erlebt Yokoi nicht mehr: Unter mysteriösen Umständen wird er am 4. Oktober 1997 das Opfer eines Verkehrsunfalls.
Zweiter Frühling
Erst 1996 veröffentlicht Nintendo ein echtes Hardware-Update: Der Game Boy Pocket ist kleiner und leichter als sein Vorgänger, liefert ein schwarzweißes (und nicht mehr grünstichiges) Bild, reduziert Verschmier-Effekte auf ein Minimum und benötigt nur noch zwei AAA-Batterien für eine Laufzeit von etwa zehn Stunden.
Ein echter Nachfolger ist der Game Boy Pocket nicht, und das hat einen guten Grund: 1996 erscheint in Japan das Game Boy-Rollenspiel Pokémon, das sich rasch zum Spielephänomen mausert und zwei Jahre später die restliche Welt erobert. Die Millionenverkäufe spülen Geld in die Nintendo-Kassen und geben den Ingenieuren Zeit, die Erbfolge zu regeln.
Statt aber eine neue Handheld-Generation anbrechen zu lassen, veröffentlicht Nintendo Ende 1998 den Game Boy Color: Das in seiner Form am Game Boy Pocket orientierte Gerät nutzt den bekannten Prozessor (der allerdings in einem zweiten Modus auch mit 8 statt den ursprünglichen 4 MHz getaktet sein kann) und die altgediente Auflösung, besitzt dafür aber mehr Arbeitsspeicher (32 + 16 KB) und bringt 56 aus 32.768 Farben gleichzeitig aufs Display.
Der Game Boy Color ist voll abwärtskompatibel und bekommt in den folgenden drei Jahren noch mal einige hundert Spiele mehr auf den Chip geschneidert, bis er und sein bahnbrechender Vorgänger 2001 schlussendlich vom 32-Bit-Handheld Game Boy Advance beerbt werden – nach 12 Jahren und über 100 Millionen verkauften Geräten. Auch den Advance gibt es in mehreren Modellvarianten, von der lila Urfassung bis hin zum schick aufklappbaren und beleuchteten Advance SP oder dem glücklosen Minigerät Game Boy Micro. Mit rund 80 Millionen verkauften Einheiten ist die Advance-Reihe nicht ganz so erfolgreich wie die Ur-Game Boys, im Jahr 2005 wird sie schließlich in Europa vom Nintendo DS in den Ruhestand versetzt.
Handheld-Musik
Während die Spieleprogrammierer der 1990er-Jahre den 5-Kanal-Sound-Chip (in der Literatur werden häufig nur vier genannt und ein zusätzlicher externer Kanal ausgeklammert) des Game Boy als Herausforderung empfinden, ist das Nintendo-Handheld heute als cooles Elektro-Musikinstrument beliebt. Zahlreiche Chiptunes-Musiker (zum Beispiel das US-Duo 8-Bit Weapon oder der österreichische gameboymusicclub) nutzen den klassischen Game Boy zur Variation beliebter Spielmelodien, der Komposition neuer Stücke oder als Synthesizer bei Live-Auftritten.
Außer ein wenig technischem Verständnis und einer gewissen Musikalität brauchen Handheld-Musiker nicht viel: Ein Game Boy (über den Kopfhörer-Anschluss gibt das Gerät Stereo aus) und ein spezielles Sequenzer/Synthesizer-Modul bzw. entsprechende Software genügen. Zu den beliebtesten Chiptunes-Utilities für den Game Boy gehören Nanoloop des Deutschen Oliver Wittchow sowie Little Sound DJ des Schweden Johan Kotlinski. Selbst mit der Game Boy Camera lassen sich eigene Chiptunes erstellen: Das Kameramodul enthält die Sequenzer-Software DJ.
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