Vor ein paar Tagen habe ich das Resident Evil 2 Remake angespielt und war dabei hin- und hergerissen zwischen Stress und Ekel, Nostalgie und Horror. Das war eine angenehme Überraschung, vor dem Termin plagte mich nämlich die Sorge, dass das Remake 20 Jahre nach dem Erscheinen des Originals an Biss verloren haben könnte.
Erstens sind viele Spielmechaniken nach so langer Zeit hoffnungslos veraltet. Was damals der letzte Schrei war, lockt heute vielleicht niemanden mehr hinter dem Ofen hervor oder spielt sich im Zweifelsfall sogar hinderlich und sperrig.
Zweitens entsteht Horror ja größtenteils durch das Unbekannte, doch Resident Evil 2 kenne ich in- und auswendig. Wenn ich schon weiß, was Fieses in den Schatten lauert, kann ich dann wirklich noch Angst haben?
Zuletzt wäre da noch die Sache mit der Nostalgie. Ab einem gewissen Punkt wird die nämlich zum Spielverderber. Die großen Enthüllungen sind bereits bekannt. Jeder weiß, wer und was hinter dem G-Virus steckt und dass Chief Irons ein mieser Dreckssack ist.
Horror vs Nostalgie
Während bei einem Rollenspiel wie Pokémon Let's Go wohlige Erinnerungen an alte Zeiten aufkommen, wenn ich jeden Twist in der Handlung kenne, könnte es in einem von Überraschungen lebenden Horrorspiel für gähnende Langeweile sorgen. Wie sieht das Ganze also bei Resident Evil 2 aus?
Es hat sich herausgestellt, dass Nostalgie dem Horror sogar helfen kann. Ein großer Teil von Angst ist schließlich immer auch die Erwartung vor dem eigentlichen Moment, der uns Angst macht. Sozusagen die Angst vor der Angst.
Schlimmer als je zuvor?
"Der schlimmste Zombie-Horror der gesamten Serie", sagt Producer
Hier habe ich mir in meiner Reminiszenz selbst ein Bein gestellt. Denn ich weiß ganz genau, mit was für fiesen Viechern Resident Evil aufwarten kann, und warte ab meinem Abstieg in die Kanalisation von Racoon City auf das Karussell der Abartigkeiten, von dem ich mir sicher sein kann, dass es schon bald seinen ersten Vertreter vorbeischicken wird.
Und renne dann trotzdem wie ein panisch wie ein kopfloses Huhn durch den Gang, wenn auf einmal der riesige Tyrant um die Ecke gestiefelt kommt.
Neue alte Hilflosigkeit
Ich bin es nämlich nicht mehr gewohnt, dass vor einem Feind wegzulaufen die einzige Möglichkeit ist. Weil er sich einfach nicht besiegen lässt.
Indie-Spiele wie Amnesia und Outlast wurden zwar damit berühmt, dass es auch hier vor manchen Gegnern kein Entrinnen gab. Die großen Produktionen jedoch geben mir eigentlich immer eine Möglichkeit, auch den unbesiegbar wirkenden Oberboss kleinzukriegen.
Deswegen habe ich den Tyrant im Spiel aus Reflex auch erstmal beschossen. Erst mit Kugeln, dann mit einem Raketenwerfer und Brandmunition. Ich dachte, dass er im Remake doch bestimmt irgendeine Art von Schwäche haben musste. Falsch gedacht. Der große graue Fiesling ließ sich nicht beirren und kam weiterhin hinter mir her - mit mehreren Löchern im Anzug, brennend - und stocksauer.
Ein großer, übermächtiger und bisweilen entflammter Verfolger kann ganz schön stressig sein. Vor allem, wenn man wie ich gerade eigentlich ein Rätsel in der Bibliothek lösen will. Was ich nicht kann, wenn mich ein Kinnhaken von der Seite trifft.
Negatives Herzklopfen
Bekannte Gesichter/Fratzen können also für (negatives) Herzklopfen sorgen. Ich kenne den Tyrant. Ich weiß, warum er hinter mir her ist. Aber das bedeutet nicht, dass ich nicht weniger panisch werde, wenn ich seine schweren Schritte hinter mir auf dem Holzboden höre. Vielleicht sogar das Gegenteil, weil ich eigentlich genau weiß, was mich gleich erwartet.
Das gleiche gilt für die Licker, die blind an Wänden und Decken kleben und an denen ich mit wild trommelndem Herzen vorbeischleiche, damit sie mich nicht hören - nur, um dann in der nächsten Ecke direkt gegen das offen liegende Hirn seines Kollegen zu laufen und das ganze Rudel auf mich aufmerksam zu machen.
Spätestens, wenn ich mit einer Taschenlampe durch einen dunklen Gang laufe - mit zwei Lickern, einem Tyrant und am besten noch drei Zombies auf den Fersen - zu panisch, um den Ausgang zu finden, brauche ich mir über zu wenig Angst definitiv keine Sorgen mehr zu machen.
Auch über zu wenige Schockmomente kann ich mich nicht beschweren. Jumpscares, egal ob gescripted oder durch herumstreunende Zombies verursacht, werden immer gruselig sein. Einfach, weil sie unerwartet kommen, selbst wenn ich theoretisch weiß, dass irgendetwas in der Dunkelheit lauert.
Hier macht die Erwartung eines Schreckens den Schrecken im Vorfeld größer, als er vielleicht am Ende ist. Gepaart mit der atmosphärischen Soundkulisse entsteht so das Gefühl, dass das Grauen stetig gerade außer Sichtweite auf mich lauert.
In Sachen Atmosphäre ist das Resident Evil 2 Remake also fies und gruselig wie eh und je. Doch was ist mit der Handlung? Wie spannend spielt sich eine Story, die ich schon kenne?
Gähnen oder Gänsehaut?
Wie ich bereits oben erwähnte, leidet die Spannung einer Story, wenn man gewisse Aspekte schon kennt. Ich weiß, wer überlebt, weil sie in späteren Teilen wieder auftreten. Ich weiß, wer Dreck am Stecken hat, weil ich ihren Verrat bereits vor ein paar Jahren miterlebt habe.
Aber dieses vermeintliche Wissen birgt auch seine Tücken: Wenn ich mir Sicher bin, dass einer Person in einer bestimmten Situation nichts passieren kann, bin ich umso mehr überrascht, wenn doch etwas geschieht. Und genau mit dieser Erwartungshaltung spielt das Remake. Zwar kann an den Grundpfeilern der Story nicht gerüttelt werden, alles dazwischen ist jedoch variabel.
Wie zum Beispiel die Figuren, die wir spielen. Wir haben nicht mehr länger nur Leon und Claire in der Hand, auch Ada Wong hat jetzt ihren großen Auftritt. Abgesehen davon, dass ich schon immer in die Rolle der taffen Geheimagentin schlüpfen wollte, bringt ihr Handlungsstrang neben neuen Informationen auch ganz neues Gameplay.
Neu trifft alt
Remake bietet geheime Spielmodi, neue Gebiete & überarbeitete Story
Ada besitzt einen Scanner, mit dem sie die Stromkreise der Umgebung scannt und überlastet, um Türen zu öffnen. Für sich allein ist das eine nette Rätselmechanik. Aber die Agentin ist selten allein, sondern in der Gesellschaft von sehr hungrigen Infizierten.
In ihren Passagen wechsle ich also andauernd zwischen Scanner und Waffe hin und her, folge den Kabeln durch verzweigte Kellergänge und halte mir gleichzeitig gefräßige Infizierte vom Leib. Als wäre das nicht schon stressig genug, muss Ada für eine erfolgreiche Systemüberlastung ruhig stehen. Wehrlos. Während aus den dunklen Ecken das Stöhnen und Schreien diverser widerlicher Viecher immer näher kommt.
Hier gehen Gameplay und Story Hand in Hand, um Spannung zu erzeugen, meiner Meinung nach sehr erfolgreich. Ob das für das gesamte Spiel genau so funktioniert, kann ich natürlich nicht sagen, schließlich habe ich nur einen kleinen Teil angespielt.
(Un)angenehm überrascht
Diese Stunden haben mich jedoch (un)angenehm überrascht. Die Atmosphäre ist dank neuen Soundeffekten und besserer Grafik (jetzt mit noch mehr Maden auf den Monstern!) ungebremst gruselig. Neue Story- und Gameplayelemente sorgen für ein gesundes Maß an Abwechslung.
Und die Nostalgie hat, zu meiner großen Überraschung, die Spannung nicht vermindert, sondern verstärkt. Es ist ein bisschen, wie auf eine Herdplatte zu fassen: Hat man sich einmal verbrannt, weiß man, was auf einen zukommt, sollte man sie noch einmal berühren. Das gilt auch für Begegnungen mit G-Virus-Infizierten.
Für mich war die Mischung aus Bekanntem und Neuem genau richtig. Ich hab geschrien, mich erschrocken, war angeekelt und dank Monster-Parade beinahe durchgehend gestresst. Also genau so, wie ich mich bei einem Resident Evil fühlen möchte. Umbrella Corporation sei Dank.
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