Abgespielt
Während Pixar nur noch Fortsetzungen drehen darf, entstehen bei der Konzernmutter Disney unter der Aufsicht von Pixar-Veteran John Lasseter die neuen Ideen. Die ersten Filmminuten lassen deswegen noch hoffen: Ein unverbrauchtes Setting, Liebe zum Detail und viele schräge Ideen leiten eine amüsante erste halbe Stunde ein. Irgendwann im zweiten Drittel von Ralph reichts hat Disney aber vermutlich das Team ausgetauscht: Die Witze werden platter und die Handlung folgt immer mehr dem üblichen Disney-Schema: »Held muss sich erst selbst erkennen und rettet dann die Welt.«
Die bislang unbekannten Drehbuchschreiber Phil Johnston und Jennifer Lee setzen in ihrem Skript auf zwei sehr vermenschlichte Hauptfiguren: Ralph übernimmt dabei die Rolle eines väterlichen Helden in der Midlife-Crisis, Vanellope ist mehr das freche Mädchen, das auch mal was erreichen will. Darüber hinaus sind ein weiblicher Commander eines Ego-Shooters mit einer übertrieben dramatischen Hintergrundgeschichte und ein Super-Mario-Verschnitt mit Helfersyndrom zu sehen.
Eigentlich eine tolle Kombination, denn die unterschiedlichen Charaktere liefern jede Menge Stoff für scharfe Dialoge. Allerdings nutzen die Schreiber ihre Vorlage nicht immer konsequent aus. Außerdem verhalten sich die Charaktere zu schablonenhaft, als dass man eine Verbindung zu ihnen herstellen könnte.
Einiges dürfte auch bei der deutschen Übersetzung verloren gehen, die wir zum Redaktionsschluss noch nicht sehen konnten. Niedliche Gefahren wie ›Nesquick-Sand‹ lassen sich nur schwer aus dem Englischen übertragen. Auch lässt es sich schwer erklären, warum für ein Mädchen der Name des Spiels Hero’s Duty so komisch ist.
Abgedreht
Eine Menge Erfahrung wirft der Regisseur in die Waagschale: Bevor er Ralph reichts drehte, hat Rich Moore schon vor zwanzig Jahren Zeichentrick-Geschichte geschrieben, als er in den ersten Staffeln von Die Simpsons bei vielen Episoden Regie führte. Außerdem gehörte er zum Kreativteam, das Futurama entwickelte. Kinoerfahrung sammelte er beim Simpsons-Film. Die Handschrift eines erfahrenen Mannes merkt man Ralph reichts in jeder Sekunde an. Trotz der in Optik und Ton sehr unterschiedlichen Welten verliert er nie seinen Fokus auf die Hauptperson Ralph. Auch weiß er, wie man das Tempo variiert. Er wechselt ständig zwischen furiosen Actionsequenzen und eher langsamen Passagen, in denen die Helden charakterisiert werden.
Gewehrfeuer, Rettungen in letzter Sekunde, Explosionen, Autorennen und ein paar romantische Momente: Ralph reichts ist mit Vielem vollgepackt, was man von einem ordentlichen Kinofilm erwartet. Auch ist nicht immer alles, wie es scheint. Insgesamt zielt der Streifen damit vor allem auf den Staunfaktor. Kinder und ihre Eltern werden sicher nicht nur einmal ein erstauntes "Ah!" von sich geben. Damit ist aber auch ungefähr die Zielgruppe umrissen: Kinder und Leute ab Ende Zwanzig werden in Ralph reichts am meisten Spaß haben. Wer nicht mehr ganz Kind und gleichzeitig für die Retro-Faszination noch zu jung ist, fühlt sich beim Zuschauen sicher nicht so wohl. Dafür fällt dann umso mehr auf, dass ein paar Minuten weniger dem Ganzen sicher gut getan hätten.
Vor dem eigentlichen Film
In bester Pixar-Tradtion beginnt Ralph reichts mit einem kurzen Vorfilm. Knapp sechs Minuten lang erzählt Paperman (auf Deutsch: Im Flug erobert) die romantische Geschichte eines Büroarbeiters, der morgens auf dem Weg zur Arbeit die Frau seiner Träume trifft und gleich wieder aus den Augen verliert. Den Rest des Tages versucht er von seinem Büro aus die Aufmerksamkeit der Frau mit dem einzigen Werkzeug zu erlangen, das in seiner Nähe ist: Papier. Paperman setzt dabei auf schöne Schwarz-Weiß-Optik mit ein paar Klecksern rot. Die Animation ist dabei nicht zu hundert Prozent computergeneriert. Die Grafiken wurden vielmehr von Hand nachbearbeitet. Alles in allem eine wunderschöne Einstimmung auf den Hauptfilm, die wieder zeigt, dass man für großes Kino nicht notwendigerweise große Worte braucht.
Fazit
Christian Merkel: »So zwiegespalten kam ich schon lange nicht mehr aus einer Kinovorstellung heraus. Einerseits habe ich mich anderthalb Stunden laufend über gelungene Anspielungen und Witze aus der Videospielwelt gefreut. Andererseits bleibt Ralph reichts hinter einer tollen Oberfläche über weite Strecken erschreckend konventionell. Das hinterlässt einen kleinen faden Beigeschmack in einem Film, der im positiven Sinne in vielen Momenten an große Pixar-Werke erinnert.«
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