Als mir im Test zu Quantum Break die Kollegen über die Schulter schauen und ich in einer hitzigen Ballerei gerade ein ganzes Sturmgewehrmagazin in einen Feind pumpe, sind sich alle einig: »Mein Gott, sieht das super aus!«Man kann es tatsächlich nicht anders sagen: Remedys neuester Actionkracher ist ein Augenöffner - eines jener Spiele, das zeigt, was man aus einer drei Jahre alten Konsole herausholen kann.
Doch die Macher von Max Payne und Alan Wake wissen natürlich, dass ein hübsches Grafikgewand allein nicht ausreicht, und setzen bei Quantum Break daher auf knifflige Storyentscheidungen, viel explosive Action, eine Prise Romantik und jede Menge Drama.
Obendrein zerrten die Finnen einige namhafte Hollywood-Schauspieler wie Lance Reddick (»Lost«), Dominic Monaghan (»Der Herr der Ringe«) sowie Aidan Gillen (»Game of Thrones«) vor die Kamera, produzierten eine eigene Live-Action-Serie und webten sie in den narrativen Faden des Spiels ein. Klingt zumindest in der Theorie nach einem echten Blockbuster. Und in der Praxis?
Alan Wake als Gratisbonus
Jeder Kopie von Quantum Break liegen Downloadcodes für Alan Wake inklusive der beiden Zusatzinhalte The Signal und The Writer dabei. Alan Wake erschien 2010 für die Xbox 360, läuft dank Abwärtskompatibilität nun aber auch auf der Xbox One. Wer Quantum Break für die Xbox One vorbestellt, erhält zudem die Windows-10-Version des Spiels sowie die Live-Action-Serie Alan Wake's American Nightmare als kostenlosen Bonus obendrauf.
Delle im Raum-Zeit-Kontinuum
Wenn ich die Zeit manipulieren könnte, würde ich jeden Tag zwei Stunden länger schlafen und trotzdem rechtzeitig ins Büro kommen, meine Downloads würden mit Lichtgeschwindigkeit laufen und ich müsste nicht mehr minutenlang auf die nächste U-Bahn warten. Dass sich die Zeit jedoch nicht einfach so missbrauchen lässt, muss Jack Joyce am eigenen Leib erfahren, in Spiel wie Serie verkörpert von Shawn Ashmore, unter anderem bekannt als Iceman aus den »X-Men«-Filmen.
Eigentlich wollte sich Jack im Urlaub entspannen, bei einem Trip durch Thailand den Kopf freikriegen und gemütlich mit Cocktail und Sonnenbrille in einer Hängematte fläzen. Doch als ihn eines Tages sein alter Kumpel Paul Serene um Hilfe bittet, packt Jack seine Sachen und kehrt nach knapp sechs Jahren in die Stadt Riverport zurück. Der Grund für den plötzlichen Besuch: Paul arbeitet im Labor der Riverport-Universität zusammen mit Jacks Bruder und Wissenschaftler William an einer Zeitmaschine. Und obwohl die Tests noch nicht abgeschlossen sind, will Paul mit Jacks Unterstützung beweisen, dass die Maschine funktioniert.
Man muss kein hellsichtiger Quantenphysiker sein, um zu erahnen, was als Nächstes passiert. Das Experiment geht in die Hose, eine gewaltige Explosion zertrümmert das Raum-Zeit-Gefüge. Mit verheerenden Konsequenzen: Seit dem Unfall friert die Zeit immer wieder ein, Vögel erstarren in der Luft, Kaffeebecher und Papierseiten schweben schwerelos durch den Meetingraum, der einst pulsierende Großstadtverkehr liegt lahm. Obendrein kann Jack ab sofort mit Superkräften die Zeit manipulieren, Paul hingegen ist plötzlich um 17 Jahre gealtert und zum Chef des zwielichtigen Monarch-Konzerns aufgestiegen. Keine fünf Minuten nach dem Vorfall wimmelt es im Labor der Uni von Monarch-Soldaten, die Jack um jeden Preis ausschalten wollen.
Spiel und TV-Serie in einem Paket
Wem jetzt vor Verwirrung die Ohren schlackern, dem geht es genauso wie dem überrumpelten Jack. Doch keine Angst, das ist gewollt. Wie in einer guten Mystery-Serie erschließen sich dem Spieler die Zusammenhänge erst nach und nach im Laufe der Handlung. Das Alleinstellungsmerkmal von Quantum Break ist dabei, wie es diese Handlung erzählt.
Wie es mit Jack, Paul und William weitergeht, erfahre ich einerseits in äußerst hübschen und cineastisch inszenierten Ingame-Zwischensequenzen, andererseits aber auch in insgesamt vier, rund 22 Minuten langen Live-Show-Episoden (siehe Kasten). Der Clou: Während ich im Spiel das Geschehen aus der Sicht von Jack erlebe, werden in den TV-Episoden vor allem die Antagonisten ausführlich beleuchtet. Dadurch bekomme ich einen guten Eindruck von den Motiven und Gefühlen der Gegenspieler, was sie um einiges greifbarer macht als beispielsweise die vage, schattenhafte Bedrohung in Remedys letztem Spiel Alan Wake.
Bei Quantum Break kann ich mich hingegen jederzeit mit den Figuren identifizieren, was vor allem den fantastischen Darstellern zu verdanken ist. Während Lance Reddick die Rolle des ebenso skrupellosen wie mysteriösen Geschäftsmannes mimt, verkörpert Aidan Gillen wie schon als Lord Petyr »Kleinfinger« Baelish in »Game of Thrones« einen wunderbar charismatischen Strippenzieher, der einerseits einen finsteren Plan verfolgt, andererseits aber auch mit persönlichen Problemen zu kämpfen hat.
Die deutschen Synchronstimmen hätten bei einigen Nebenfiguren zwar passender gewählt werden können, doch die aus Film und Serie bekannten Gesichter verleihen den Spielcharakteren angenehm Kontur und tragen maßgeblich zur Atmosphäre bei. Und überhaupt stehen die vier Folgen in Sachen Qualität einer echten TV-Serie in nichts nach.
So funktionieren die TV-Episoden
In Quantum Break sind Spiel und Film eng miteinander verflochten. Die Handlung wird zwischen den Spielabschnitten von rund 22 Minuten langen Live-Action-Episoden vorangetrieben. Insgesamt gibt es vier Episoden, jeweils eine am Ende eines Aktes. Die Filmschnipsel schließen stets nahtlos an einen Entscheidungspunkt an.
Während wir im Spiel die Handlung der »Guten« erleben, beleuchten die Episoden in erster Linie die Bösewichte des Spiels, allen voran natürlich Paul Serene. Dadurch genießen wir einen anderen Blickwinkel auf die Geschehnisse und erfahren mehr über die Gefühle, Gedanken und Handlungen der Gegenspieler. Im Prinzip haben sowohl die Episoden als auch das Spiel jeweils ihren eigenen roten Faden, die sich zwar teilweise überlappen, aber auch unabhängig voneinander funktionieren.
Die einzelnen Episoden starten nach der letzten Mission eines Aktes automatisch in einem Videoplayer, sodass wir jederzeit pausieren können. Im Menü haben wir außerdem die Möglichkeit, freigeschaltete Episoden erneut anzusehen. Die von uns getroffenen Entscheidungen wirken sich allerdings nur in Nuancen auf die ersten fünf bis zehn Minuten der TV-Episode aus. Auch im Spiel selbst nehmen wir kleine Veränderungen wahr, die Story verläuft trotzdem recht linear. Starke Auswirkungen auf den Handlungsverlauf darf man nicht erwarten.
Entscheide dich!
Sicher sind die eingestreuten Live-Action-Episoden nicht jedermanns Sache - einige dösen ja schon bei zehnminütigen Zwischensequenzen weg. Dass ich mich trotzdem immer wieder auf eine neue Folge freue, hat zwei Gründe: Zum einen bietet die Serie einen gelungenen Mix aus Schießereien, Verfolgungsjagden und Dialogen und endet stets mit einem Cliffhanger, der Lust auf mehr macht.
Zum anderen will ich in jeder Folge wissen, wie sich meine Entscheidungen auf die Handlung auswirken. Am Ende jedes Spielaktes muss ich mich nämlich für eine von zwei vorgegebenen Aktionen entscheiden, beispielsweise ob ich alle Zeugen des verunglückten Experiments beseitige oder für eine manipulative PR-Kampagne in den Medien Lügen verbreite. Meine Wahl beeinflusst sowohl den weiteren Spielverlauf als auch die Realfilm-Episoden - zumindest in Nuancen.
Die Konsequenzen fallen nämlich eher marginal aus, krasse Änderungen oder gar einen gänzlich anderen Handlungsverlauf darf man nicht erwarten. Die Story verläuft abgesehen von kleineren Abweichungen linear und mündet stets in einem vorgegebenen Ende. Trotzdem gehört die Erzählung nicht zuletzt dank der profilstarken Charaktere mit zum Besten, was das Genre zu bieten hat.
Ich will jetzt gar nicht viel verraten, denn der Science-Fiction-Plot hält einige Überraschungen und Wendungen bereit. Was wirklich hinter dem Zeitreise-Experiment steckt, welchen Plan Paul Serene insgeheim verfolgt, welche Rolle der Monarch-Konzern und Pauls rechte Hand Martin Hatch dabei spielen und wie das alles miteinander zusammenhängt, sollte jeder selbst herausfinden.
Klar, eine Zeitreisegeschichte hat meist mehr (Logik-)Löcher als ein Schweizer Käse und bietet immer Interpretationsspielraum, das lässt sich kaum vermeiden. Umso zufriedenstellender, wie sehr Remedy darauf geachtet hat, am Ende alle losen Fäden zusammenzuspinnen und offene Fragen zu beantworten. Wer alles bis ins letzte Detail verstehen will, sollte allerdings unbedingt die Augen nach den zahlreichen in der Welt verstreuten Sammelobjekten offenhalten, denn in den utzenden Tagebüchern, Mails und Audiologs findet man äußerst interessante Hintergrundinformationen und erfährt somit beispielsweise überhaupt erst, dass es zwischen den Brüdern Jack und William des Öfteren ordentlich gekracht hat.
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