Als Kind habe ich mir immer vorgestellt, wie großartig es doch wäre, wenn Pokémon real wären. Ich wusste ganz genau, dass ich dann meine sieben Sachen packen würde, um in die weite Welt zu ziehen, Pokémon zu fangen und sie zu meinen besten Freunden zu machen. Ash Ketchum war mein großes Vorbild und seine besondere Verbindung zu Pikachu war für mich der Beweis, dass es in der Pokémon-Serie sowie den Spielen um Liebe, Freundschaft und Loyalität geht.
Die dunkle Seite von Pokémon
Mit jedem Jahr, das ich älter wurde, begriff ich immer mehr Implikationen, die uns das Pokéversum vorsetzt und als familienfreundlich verkauft. Wer mit offenen Augen durch Kanto, Johto und Co. spaziert, muss zwangsläufig bemerken, wie düster und kaputt die Gesellschaft der Pokémon-Regionen eigentlich ist.
Die allererste Frage, die wir uns wohl schon als Kinder gestellt haben, ist simpel aber auch furchterregend: Werden Pokémon auch gegessen? Die Darstellung der Pokémon ist an die Tiere unserer Welt angelehnt und im echten Leben haben wir kein Problem damit, sie zu schlachten, zu kochen und zu Billigpreisen im Discounter auszulegen.
Hannes Rossow
@Treibhausaffekt
Auch für Hannes gehört Pokémon zur Kindheit einfach dazu. Für ihn umgaben die Taschenmonster aber schon immer eine zwielichtige Aura. Wieso müssen die Pokémon denn bei jedem Kampf mitmachen? Warum muss sich Pikachu verprügeln lassen, damit Ash vielleicht irgendwann einmal Poké-Champ werden kann? Und warum nutzen die Entwickler diese spannenden Fragen nicht für die Spiele aus?
Wer sich die Pokémon-Welt schön reden möchte, kann das gern tun, doch das ändert nichts an der Tatsache, dass es gleich mehrere Beweise dafür gibt, dass Pokémon-Gerichte zum offiziellen Kanon gehören. Porenta, das entenartige Pokémon mit dem Lauch-Knüppel, wurde wegen seines leckeren Fleisches beispielsweise derart intensiv gejagt, dass es beinahe ausgestorben wäre. Das steht im offiziellen Pokédex-Eintrag des Animes.
Der Schwanz des etwas dümmlichen Flegmons gilt hingegen als Delikatesse und Team Rocket hatte es sich zwischenzeitlich zur Aufgabe gemacht, die Ruten in Massen abzuschneiden und zu verkaufen (Pokémon Gold & Silber). Das Restaurant Le Yeah, das wir in der Kalos-Region finden (Pokémon X & Y), serviert die Schwänze übrigens ganz offen und ungeniert.
Wenn die Wahrheit auf den Magen schlägt
Dieses Thema können wir also schnell abhaken. Ja, Pokémon werden gegessen, damit müssen wir leben. Und es ist keinesfalls unwahrscheinlich, dass es auch Massenpokémonhaltung gibt. Nun stellt sich gleich die nächste Frage, denn welches Taschenmonster darf gegessen werden und welches nicht? Gibt es irgendwelche Konventionen, die bestimmte Pokémon von der Speisekarte ausschließen?
Dass Pikachu und Mauzi seltener gegessen werden als beispielsweise Tauros oder Owei dürfte klar sein, doch was ist mit Pantimos? Humanoide Pokémon sind nicht selten und haben trotz ihrer menschenähnlichen Gestalt den gleichen gesellschaftlichen Status wie jedes andere Pokémon auch. Gibt es in der Pokémon-Welt eine Ethik, die das Auftischen von Pantimos-Leber unter Strafe stellt?
Überhaupt scheint Pantimos ein spannendes Beispiel zu sein, denn die humanoide Seite in Verbindung mit seinem kindlichen Gemüt, lässt es Gefahr laufen, von Menschen ausgenutzt zu werden. In der Anime-Serie hilft ein Pantimos der Mutter von Ash im Haushalt und agiert wie eine Art Putz- und Kochhilfe. Ist dem Pokémon wirklich bewusst, was es da tut? Wird es irgendwie vergütet? Ließe sich diese treudoofe Ader von Pantimos noch weiter ausnutzen?
Gibt es Konzerne, die Pantimos-Gruppen in einen Keller sperren und zu Sklavenarbeit zwingen? Wie bei jeder Frage nach Moral, müssen Menschen nicht nur entscheiden, was den Taschenmonstern abgesprochen werden darf, sondern auch, was ihnen unbedingt zugesprochen werden muss. Ich fordere grundlegende Menschenrechte für Pantimos!
Eine ethische Gesetzgebung, die auch Pokémon einschließt, drängt sich angesichts der Verbrechen auf, die an Pokémon begangen werden. Es ist schon furchtbar genug, dass sie von zehnjährigen Kindern gefangen und zum Kampf gezwungen werden dürfen. Aber was ist beispielsweise mit den Gen-Experimenten, aus denen Mewtu hervorgegangen ist? Mewtu wird in Pokémon - Der Film zwar als tragische Figur dargestellt, die ohne Vertrauen in die Menschheit auskommen muss, doch darüber hinaus wird das Problem nicht näher beleuchtet. Trotz allem gehört das einzigartige Pokémon zur ganz normalen Beute und jedes Kind darf sich über Ruhm und Ehre freuen, wenn es Mewtu in einen Pokéball sperrt.
Und Mewtu steht hier nicht allein. Die modernen Generationen brachten beispielsweise auch Pokémon hervor, die ganz deutlich als Gottheiten deklariert wurden. Auch hier ist es gesellschaftlich akzeptiert, Jagd auf mythologische Wesen wie Arceus zu machen. In der Welt der Pokémon gibt es keine Differenzierung zwischen den Taschenmonstern. Egal ob Wurm oder Donnergott, wenn ein Mensch sich entscheidet, zuzuschlagen, dann hat das gefälligst in Ordnung zu sein. Die Frage nach Artenschutz oder gar Selbstbestimmung greift nicht einmal bei Gottheiten, die die Welt erschaffen haben (kein Witz).
Ihr haltet euch wohl für klug
Ein besonders beliebtes Argument, um Lebewesen bestimmte Rechte abzusprechen, ist der Verweis auf die Intelligenz und die geistigen Fähigkeiten. Das mag für manche Pokémon funktionieren, doch was ist beispielsweise mit Simsala? Das Psycho-Pokémon hat einen IQ von über 5000 und Simsalas Gehirn soll leistungsfähiger als ein Computer sein. Was bedeuten diese Umstände für den Umgang mit dem Pokémon? Wie kann es sein, dass Simsala für Kämpfe zwischen Rotznasen eingesetzt wird? Impliziert dieser hohe IQ nicht auch ein Bewusstsein?
Noch absurder wird es, wenn wir uns den Grenzgänger Mauzi anschauen. Das Katzen-Pokémon war laut Anime-Serie in der Lage, die menschliche Sprache zu lernen und agiert somit als Mensch in Pokémon-Gestalt. Wenn das Potenzial für derartiges Verhalten vorhanden ist, wie kann dann noch zwischen Pokémon und Menschen unterschieden werden?
Diese unvermutete Nähe zwischen Menschen und Pokémon eröffnet abermals eine ganze Reihe von spannenden Fragen, die uns immer deutlicher zeigen, wie kompliziert die Welt eigentlich wäre, wenn es Pokémon wirklich gäbe. Denn selbst wenn wir bestimmte Taschenmonster aufgrund ihres Intellekts schützen und sie vor Misshandlungen schützen, werden sie dann auch bei der Strafverfolgung beachtet? Das Pokémon Hypno, ebenfalls sehr intelligent, ist dafür berüchtigt, Kinder zu entführen. Müssen wir also jedes Hypno ins Gefängnis stecken? Kann man Hypno resozialisieren?
Und wo wir schon humanoide Züge angesprochen haben und uns vor Augen halten, wie düster der Mensch manchmal sein kann, sollten wir uns noch eine sehr brisante Frage stellen: Gibt es Pokémon-Pornographie? Vielleicht sogar Prostiution? Wir brauchen nur einen kurzen Blick ins Internet werfen, um zu erkennen, dass die sexualisierte Darstellung von Guardevoir die schmutzigen Fantasien vieler Pokémon-Fans beflügelt. Ist das in der Pokémon-Welt anders? Was ist, wenn es tatsächlich Menschen in den Pokémon-Regionen gibt, die sich sexuell zu Guardevoir hingezogen fühlen? Können wir erwarten, dass diese Problematik geregelt ist, wenn man sich auch sonst kaum Gedanken zu machen scheint?
Ja, ich will
Und was ist, wenn es nicht nur um Lust geht, sondern auch echte Gefühle eine Rolle spielen? Kann sich ein Mensch in ein Pokémon verlieben? Kann das Taschenmonster diese Gefühle erwidern? Rossana und ihr dicker Kussmund können vielleicht den einen oder anderen um den Verstand bringen. Und wenn wir davon ausgehen, dass das sprachbegabte Pokémon begreifen kann, was Liebe ist, dann könnte sich durchaus ein Verhältnis ergeben. Wäre das verpönt? Gibt es eine klare Trennung zwischen den Spezies, auch wenn sich Individuen möglicherweise zueinander hingezogen fühlen? Darf ich, wenn ich mich in Rossana verliebe und wir verknallt am Strand sitzen, jemals auf die Idee kommen, ihr die eine Frage zu stellen? Darf ich Rossana heiraten?
Auch wenn ich euch jetzt zu mehreren Bereichen der Pokémon-Welt mit Fragen bombardiert habe, wurde hier nur ein Bruchteil der Punkte angerissen, die es eigentlich zu besprechen gilt. Gibt es eine Nahrungskette innerhalb der Pokémon? Werfe ich Raupi seinem Fressfeind vor, der vielleicht dessen ganze Familie ausgelöscht hat, wenn ich es gegen Taubsi in den Kampf schicke? Was ist eigentlich mit dem großen Krieg, von dem in Pokémon X & Y die Rede ist? Wurden die Taschenmonster hier wie Kriegselefanten an die Front geschickt, um für einen fragwürdigen Zweck zu sterben, der sie eigentlich nicht betrifft? Hilfe, mein Kopf tut weh.
Dieser Artikel erschien am 25. März 2016 zuerst auf gamespilot.de und würde für die Neuveröffentlichung leicht angepasst. Er ist Teil unserer Pokémon-Themenwoche, weitere Artikel rund um die Taschenmonster findet ihr in unserem Sammelartikel.
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