Seite 2: No Man's Sky - Was das SciFi-Spiel besser als The Witcher 3 macht

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Frei im Universum. Und nun?

Yapobekovo-Haft ist der Name des Planeten, auf dem mein Abenteuer in No Man's Sky begann. Zwischen den Trümmern meines Raumschiffes und den schier unendlichen felsigen Weiten vor Augen fühlte mich wie ein Kind, das zum ersten Mal in seinem Leben allein den Jahrmarkt besuchen darf: Pflanzen – mal harmlos, mal garstig - kleiden die rauen Felsen der Oberfläche in ein faszinierendes Bunt von magnetischer Wirkungskraft. Unweit meines reparaturbedürftigen Raumschiffes gräbt sich eine von grell-roten Stalagmiten bewachsene Höhle mit unzähligen Gabelungen beinahe bis ins Innerste des Planeten. Pilze, Felsen, leuchtende Fauna. Hier höre ich einen exotischen Ruf eines Planetenbewohners, dort schlängeln sich Wal-ähnliche Wesen durch den orange-gelben Himmel, die einander zu bezirzen scheinen.

Ich hätte dem Vorschlag des Spiels folgen und fehlende Materialien wie Heridium und Karitplatten craften können, die ich zur Reparatur der Rasamama S36 benötigte. Ich hätte die Aufforderung auch ignorieren und ziellos durchs Land streifen können, um für das Farmen von Units jede Lebensform zu analysieren, die mir über den Weg läuft. Die Reize der pittoresken Szenerie, die vielen Handlungsmöglichkeiten und das Wissen, die erste Person zu sein, die ihren Fußabdruck auf Yapo (so benannte ich den Stern nach dem Vorbild der Star-Wars-Planeten) hinterlassen hat, überwältigten mich in meinen ersten Spielstunden - so dürften sich Christoph Kolumbus und seine Crew im 15. Jahrhundert gefühlt haben, als sie die Bahamas-Inseln nach ihrer kräftezehrenden Seereise entdeckten.

Die Autonmie, die uns No Man's Sky gewährt, wirft mich im doppelten Sinne aus der Bahn. Während ich allmählich deren Vorzüge zu schätzen lernte, mag sie für andere als Tyrannei der Wahl erscheinen. Wohin sollen wir gehen, wenn uns niemand den Befehl erteilt, dass wir nach rechts oder links laufen müssen? Was müssen wir finden, wenn uns niemand sagt, was wir suchen sollen? In einem Spiel plötzlich nahezu ganz und gar selbst entscheiden zu dürfen, verwirrt und strapaziert das scheinbar einfach gestrickte ludische Gemüt. Plötzlich überkommt uns eine Überforderung in einer Welt, in der es gar keine Forderungen gibt. Die Kopfschmerzen, die sich aus diesem Paradoxon ergeben, sind verständlich. Immerhin sind wir es gewohnt, dass uns die meisten AAA-Titel mütterlich ans Ende führen.

Meine anfängliche Überforderung wich schnell der Erkenntnis, dass No Man's Skys Freiheit ungeahnte Schätze birgt. Der Verzicht auf eine mit Attraktionen überfrachtete Open World, wie sie uns The Witcher 3 oder viele Ubisoft-Titel wie zuletzt Far Cry Primal bieten, mündete keineswegs in Langeweile, sondern führte wider Erwarten zum großen Abenteuer.

»Du hast das Gek-Wort für Reise gelernt«

Ich scannte ein Geschöpf und wurde währenddessen hinterrücks von einem anderen Alien angegriffen. Ich flüchtete instinktiv, schoss mit dem Mining Beam wild auf das Wesen, weil ich in meiner Panik vergaß, den Gefechts-Modus meines Multi-Tools zu aktivieren. Ich rannte, schlug Haken wie ein vom Hund gejagtes Kaninchen und stolperte einen Abhang hinunter. Ich fiel in einen kleinen See, der so leuchtete, als würde der Himmel am Silvesterabend um kurz nach zwölf darin gespiegelt werden.

Schlagartig änderte sich die Situation. Den aggressiven Jäger war ich los, musste nun aber mit einer sinkenden Atemleiste und dem allgemeinen Unwohlsein in unbekannten Gewässern kämpfen. Auf panische Angst folgte Staunen, auf Staunen folgte Erschöpfung – meinerseits und auf Seiten meines Planetenwanderers, der nach diesen turbulenten Minuten so sehr röchelte, dass ich die nächsten zehn Minuten damit verbrachte, lebensrettendes Zink zu suchen, um den Kälteschutz seines Anzugs wieder aufzubauen.

Derartige Erlebnisse sind die Quintessenz von No Man's Sky. Sie finden aber auch nur dann statt, wenn wir uns auf die Welt einlassen, wenn wir akzeptieren, dass wir auf unserer Reise nur wenige NPCs treffen, dass wir unseren Blick nicht auf eine Minikarte fixieren können, die uns zur nächsten Aufgabe führt. Wir treten eine Reise an, deren Hergang so zufällig ist wie die virtuelle Welt von No Man's Sky selbst. Die daraus entstehenden Geschichten sind individuell, einzigartig. Für den Verlauf unserer Story sind wir selbst verantwortlich. Alles, was wir benötigen, ist sind ein wenig Fantasie, Neugier und Erkundungsdurst.

No Man's Sky richtet sich mit der Masse seiner 18 Trillionen Planeten gegen moderne Gepflogenheiten des An-Die-Hand-Genommen-Werdens und lässt uns allein in einer virtuellen Welt von unvorstellbarer Größe. Sean Murray und sein Team liefern uns eine Gegenantwort auf die moderne Marotte des Hochgeschwindigkeitsspielens, die manche verwirrt, mir aber die Augen öffnet und meinen Blick für das Wesen virtueller Welten schärft.

Die nahezu vollständige Autonomie und die damit einhergehende Möglichkeit, die eigene Story selbst schreiben zu können, ziehen mich tiefer in die Spielwelt von No Man's Sky hinein, als es The Witcher 3 und andere Spiele mit überladenen offenen Welten je taten. Auch jetzt verliere ich mich noch in den orange-roten oder azurblauen Himmeln, den rauen Felshängen und leuchtenden Meeren der Planeten, die ich finde. Ich bin geblendet von der Schönheit von Yapo und anderen Planeten, die ich auf meiner Expedition ansteuerte und mit meiner eigenen Flagge kennzeichnete - auch 20 Spielstunden nach meiner Ankunft auf Yapo.

Während wir uns mit dem Raumschiff in Lichtgeschwindigkeit auf einen neuen Stern zubewegen, schwingt die romantische Vorstellung einer Reise mit, die wir im tristen Alltagstrott nicht in Angriff nehmen können. No Man's Sky ist deshalb nicht unbedingt "besser" als The Witcher 3. Es verspricht Eskapismus wie das RPG auch, aber einen anderen. Gemächlich, ungezwungen und doch irgendwo aufregend. Keine pausenlos klirrenden Schwerter, keine Minimap und kein sofort sichtbarer Fortschritt. Nur wir, das Abenteuer und die Schönheit der Spielwelt.

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